Geschichte einer Leidenschaft

16.09.2013
Wer ein Idol hat, der versucht alles, um diesem Idol möglichst nahe zu kommen. Patrick Roth ist dies gelungen und er hat ein Buch über seine Leidenschaft für Charlie Chaplin geschrieben. Lange war es vergriffen, kurz vor dem 125. Geburtstag Chaplins ist es neu aufgelegt worden.
Als junger Filmstudent reiste der Autor in die Schweiz, um seinem Kinoidol nahe zu sein. Er schrieb Chaplin einen Brief und bekam als Antwort ein mit zittriger Schrift signiertes Foto. 20 Jahre nach Chaplins Tod 1997 erschien dieses literarische Zeugnis einer besonderen Liebe und Leidenschaft zum ersten Mal, Patrick Roth war 44 Jahre alt, hatte die längste Zeit seines Lebens in Los Angeles verbracht, wo er als 22-jähriger Student in einem Kino mit dem schönen Namen "Encore" jenen Chaplin-Film zum ersten Mal sah, der ihm fürs Leben der liebste werden sollte: "City Lights/Lichter der Großstadt". Dieser Film war es, der ihn auf die Reise in die Schweiz schickte, um dem bewun-derten Kinogenie persönlich seinen Brief zu überreichen.

Lange war dieses Zeugnis einer Kinoleidenschaft und Initiation vergriffen, der Autor hat inzwischen den Verlag gewechselt und ist zurück gekehrt nach Deutschland, lebt in Mannheim, wo er gerade seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. Kurz vor Chaplins 125. Geburtstag ist die Erzählung nun wieder neu aufgelegt worden. Zum Glück.

Die Geschichte beginnt im Dunkeln, als der Fünfjährige fieberkrank den ersten Film mit Charlie Chaplin im Fernsehen anschauen darf. Acht Jahre später kommt der 13-jährige aus "Doktor Schiwago" und kann den Blick von Geraldine Chaplin nicht vergessen. Im selben Jahr verliebt sich der Knabe auf dem Schulhof in ein Mädchen, das Chaplins Tochter ähnlich sieht. Und dann - er ist 22 Jahre alt und Anglistik-Student in Freiburg - gibt es wieder eine schicksalhafte Beziehung zu Chaplin: In einer Nacht, die über sein ganzes Leben entscheiden wird, hängt ein "City Light"-Plakat an wichtiger Stelle. Sehen wird er den Film erst dort, wo Chaplin ihn Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre gedreht hat, in Los Angeles, ganz in der Nähe jenes Kinos, in dem der junge Deutsche gebannt miterlebt, wie der arme Tramp sich in die blinde Blumenverkäuferin verliebt.

Der junge Filmenthusiast will wenigstens "die Blätter der Hecke vor seinem Haus" berühren. Er fährt nach Vevey, schleicht um Chaplins Haus, gibt seinen Brief ab, wartet und hofft auf Antwort, er läuft und träumt und wird am Ende tatsächlich hereingelassen, spricht mit dem Butler, darf Chaplin zwar nicht sehen, aber bekommt als Antwort auf seinen ehrerbietigen Brief ein Foto mit Widmung. Mit zittriger Schrift geschrieben bedankt sich der große alte Künstlers für die Zeilen des jungen Verehrers. Das Bild ist abgedruckt in diesem Buch, das neben der Erinnerung an jenen Tag und der schönen und innigen Beschreibung der letzten Szene aus "City Lights" vor allem davon erzählt, was das Kino mit dem Leben zu tun hat und wie sehr das Leben manchmal dem Kino gehört.

Als die Freundin des Erzählers ihm am Ende Einhalt gebieten will, er solle sie nicht immer mit Film-Geschichten langweilen, die hätten schließlich nichts mit der Wirklichkeit zu tun, erzählt er ihr eine wahre Begebenheit, aber die endet so, wie sie eigentlich nur im Kino erlebt werden kann.

1997 hatte Roth dieses Zeugnis einer großen Bewunderung noch dem Schriftsteller Louis Begley zugeeignet, die Neuausgabe trägt die Widmung "Für den 1.7.2003": Vielleicht verbirgt sich dahinter auch eine Kino-Geschichte.

Besprochen von Manuela Reichart

Patrick Roth: Meine Reise zu Chaplin - Ein Encore
Wallstein Verlag, Göttingen, 2013
88 Seiten, 13,90 Euro
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