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Das "Horrorhaus" von Berlin-Schöneberg

Die Fassade der Grunewaldstraße 87 in Berlin-Schöneberg im Sommer 2015. Derzeit ist davon wenig zu sehen, das "Horrorhaus" aus den Schlagzeilen ist seit Monaten eingerüstet.
Die Fassade der Grunewaldstraße 87 in Berlin-Schöneberg im Sommer 2015. Derzeit ist davon wenig zu sehen, das "Horrorhaus" aus den Schlagzeilen ist seit Monaten eingerüstet. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
von Kemal Hür · 16.03.2017
"Das Horrorhaus von Berlin" titelten viele Medien im Sommer 2015. Die sanierungsbedürftige Immobilie war zeitweise mit 400 Menschen maßlos überbelegt - Müll, Lärm und Kriminalität die Folge. Mittlerweile ist es ruhiger um das Haus geworden, aber hat sich die Lage auch gebessert? Ein Besuch bei den Bewohnern.
"Guten Abend, ihr Lieben. Schön, dass ihr alle wieder da seid. Ich hoffe, das Essen war gut. Jetzt müssen wir gucken, wie wir vorgehen mit der Betriebskostenabrechnung. Der andere Punkt ist, dass dieses Gerüst nach einem Jahr wieder weg ist."
Rolf Raabe spricht in seiner Küche zu seinen Nachbarn. Sie haben sich wie jeden Donnerstag zum gemeinsamen Abendessen getroffen und diskutieren über die Situation in ihrem Haus in der Grunewaldstraße 87 in Berlin-Schöneberg.
Um den großen Esstisch sitzen diesmal nur sechs Personen. Die meisten Mieter des Hauses haben eine Nachzahlung für das Jahr 2015 bekommen, berichten sie. Besonders die Kosten für die Müllabfuhr seien zu hoch angesetzt. Und das führen sie auf die Situation von vor zwei Jahren zurück. In dem Haus waren im Sommer 2015 zeitweise bis zu 400 Menschen einquartiert, erinnert sich Rolf Raabe:
"Sie haben viel mehr Müll produziert - wie auch immer –, als andere Leute das machen würden. Und die Müllabfuhr musste öfter kommen, um irgendwelche Sondermüllaktionen machen zu müssen. Wenn diese Kosten jetzt in der Abrechnung drin sind, dann denke ich mir, das sind keine normalen Kosten, die wir alle Mieter tragen sollten. So mein Standpunkt an der Stelle."

Sommer 2015: Lärm, Vermüllung, "Horrorhaus"

Das fünfstöckige Haus aus der Gründerzeit hat zwei Quergebäude und zwei Seitenflügel. Es ist stark sanierungsbedürftig, viele Wohnungen sind nicht bewohnbar und aus Sicherheitsgründen verriegelt. Im Sommer 2015 wurden Roma-Familien aus Rumänien in den leerstehenden Wohnungen einquartiert. Das Haus war überbelegt. Die Polizei hatte keine Erkenntnisse über Zahl und Status der Mieter, musste aber täglich Einsätze fahren, weil Wohnungstüren und Kellerräume aufgebrochen wurden und Anwohner sich über Lärm und Vermüllung beschwerten.
Das Haus machte Schlagzeilen als "Horrorhaus". Die Überbelegung bestehe heute nicht mehr, sagt der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bauen, Jörn Oltmann:
"Der Eigentümer hat glücklicherweise in den letzten Monaten seine Vermietungspraxis eingestellt, an verschiedene Roma zu vermieten. Wir haben derzeit eine Belegung von etwa 60 Prozent des gesamten Gebäudes an der Stelle. Wir haben keinerlei Erkenntnisse, wie der Eigentümer mit dem Gebäude in der Zukunft umgehen will."
Seit einem Jahr ist das ganze Haus eingerüstet - ohne dass Bauarbeiten stattfinden. Regelmäßig gebe es Wasserschäden in den Wohnungen, die Keller liefen voll, beschweren sich die Mieter. Die Hausverwaltung schicke erst auf Druck des Bezirksamtes Handwerker. Von alleine werde sie nicht aktiv.

Sorge vor Luxus-Sanierung und Verdrängung

Als vor zwei Jahren Dutzende Roma-Familien in das Haus einzogen, spekulierten die Altmieter, der Eigentümer wolle sie vergraulen. Auch habe er den langjährigen Mietern Geld angeboten, wenn sie auszögen. Eine schriftliche Kündigung hätten die Mieter nicht bekommen, sagt Marija Kühn-Dobos, die seit elf Jahren in dem Haus wohnt.
"Ich bin bei 15.000 Euro gewesen für meine Wohnung, wenn ich sie aufgebe. Mündlich haben sie alles versprochen, aber nichts gehalten. Ich habe immer wieder neue Käufer hier. Die Leute kommen, gucken sich das an, quatschen, drehen sich um und sagen sich: Ist er bescheuert, dass er siebeneinhalb Millionen für das Haus haben will? Ah, jetzt sind wir bei fünf Millionen angekommen."
Die Sorge der Mieter und Nachbarn ist nach wie vor, dass der Eigentümer das Haus luxussanieren und teuer vermieten oder verkaufen wolle. Beim Mietertreffen wird nicht nur über das einzelne Haus, sondern den ganzen Kiez diskutiert:
"Die Leute kaufen sich hier ein, weil sie das Milieu so schön finden. Und wenn sie dann alle unter sich sind, weil alle anderen verdrängt sind, was haben sie dann davon? Dann ist das Milieu kaputt. Die können nur mit dem Geld angeben. Dieser ganze Kiez mit dem Markt und mit allem… Also ich will hier ums Verrecken nicht weg."

Eigentümer und Bezirk widersprechen sich gegenseitig

Die genauen Pläne des Eigentümers kennen die Mieter nicht. Bekannt ist, dass er beim Bezirksamt einen Sanierungsantrag gestellt hat. Dieser sei aber abgelehnt worden, sagt der Vertreter des Eigentümers, Richard von Groeling.
"Das wiederum stellt uns vor die Frage, wie es mit dem Objekt insgesamt weitergehen soll. Verkaufen kann man es nicht ohne Baugenehmigung, sanieren kann man es auch nicht, wobei hier vor allen Dingen problematisch ist, dass die gesamten Versorgungsleitungen deutlich veraltet sind. Ich schätze, sie sind zwischen 80 und 100 Jahren alt. Speziell die Trinkwasserversorgung ist davon betroffen, eine Heizung gibt es nicht, da sind Kohleöfen in den Wohnungen."
Die gesamte Sanierung würde laut Groeling etwa vier Millionen Euro kosten. Da sich das Haus in einem sozialen Erhaltungsgebiet befindet beziehunsweise unter Milieuschutz steht, müssen alle baulichen Veränderungen vom Bezirksamt genehmigt werden. Auch kann der Bezirk vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen.
In diesen Punkten gibt es widersprüchliche Aussagen zwischen dem Eigentümer und dem Bezirk. Bezirksstadtrat Oltmann sagt, der Bezirk habe den Antrag auf Sanierung abgelehnt, weil die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig gewesen sein. Der Vertreter des Eigentümers, Groeling, behauptet, der Bezirk wolle den Eigentümer zum Verkauf drängen. Baustadtrat Oltmann entgegnet, der Bezirk vertrete nur die Interessen der Mieter:
"Im Rahmen der sozialen Erhaltungsverordnung haben wir das angesprochene Vorkaufsrecht. Aber da es momentan keinen Verkaufsfall gibt, können wir dieses Vorkaufsrecht momentan nicht ausüben. Sie können aber vergewissert sein, dass das Bezirksamt ein großes Interesse daran hat, eine nachhaltige und gute Lösung für das Haus und vor allem für die Mieterinnen und Mieter zu finden. Daran arbeiten wir derzeit, ich kann aber zu den näheren Umständen aktuell nichts sagen."
So viel verrät der Baustadtrat aber dann doch: Oltmann wird Ende März die Bewohner treffen und sie über die zukünftigen Pläne genauestens informieren.
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