Geschäft mit Risiko

Von Markus Plate · 10.09.2013
Die weltweite Nachfrage nach Palmöl fordert ihren Preis: die Ausbreitung der Ölpalmplantagen macht auch vor Mexiko nicht halt. Bis 2020 sollen im Süden des Landes bis zu eine Million Hektar Ölpalmen in Monokultur angebaut werden. Auch in Chiapas.
Chiapas, der Bundesstaat im Süden von Mexiko, der mit Guatemala das Stammland der Maya-Bevölkerung bildet. Die kurvenreichen Bundesstraße 199 von der kolonialen Kreishauptstadt San Cristóbal de las Casas in Richtung Golf von Mexiko eröffnet zwei der bekanntesten Highlights von Chiapas. Bis zu den Cataratas de Agua Azul, den türkisblauen Wasserfällen, sind es zwei Stunden Fahrt, die berühmte Maya-Stadt Palenque erreicht man 60 Kilometer später. Die Straße windet sich über bewaldete Bergrücken und durchquert Flusstäler, in denen die Menschen in kleinen Dörfern wie eh und je von der Landwirtschaft leben. Ein paar Kilometer weiter steht am Straßenrand eine Gruppe Menschen - zwischen einem mannshohen Haufen rot leuchtenden Palmbüschel, einer Schubkarre und einem Pickup, an dem eine Waage hängt. Jerónimo Ruiz Silvano, sein Bruder und ein Cousin sind gerade dabei, eine Monatsernte Palmbüschel dem Coyoten, dem Zwischenhändler zu verkaufen.

Unter den Augen von Jerónimos Frau, die ein Neugeborenes im Arm hält, spießen die Männer mit Eisenstangen die Palmbüschel auf und wuchten sie auf die Waage. Der dreißigjährige Jerónimo trägt eine lange Jeans, von der Arbeit nicht mehr ganz weiße Turnschuhe, eine cremefarbene Basecap bedeckt sein dichtes schwarzes Haar. Er schuftet mit nacktem Oberkörper, was im konservativen Chiapas Seltenheitswert hat. Aber die Büschel mit hunderten Palmfrüchten wiegen locker 30 Kilo. Und das ist, auch in den mit knapp über 20 Grad noch einigermaßen kühlen Morgenstunden, eine schweiß-treibende Angelegenheit.

Die Ruiz Silvanos leben äußerst bescheiden, wie fast alle Maya-stämmigen Kleinbauern in der Region. Ein altes mit Palmblättern gedecktes Holzhaus konnte durch einen Neubau aus Betonziegeln und Wellblech erweitert werden, für ein Dutzend Familienmitglieder ist aber dennoch sehr wenig Platz. Gekocht wird immer noch mit Leña, mit Feuerholz, in einer rußgeschwärzten Küche, die gleichzeitig Wohnzimmer ist. Die Ölpalme ist das einzige, was auf dem immerhin fünf Hektar großen Hof Geld bringt, um die mittlerweile sechs Kinder durchzubringen und drei Geschwister und Jerónimos Eltern zu ernähren. Jerónimos Leben hat die Palme einfacher gemacht.

"Mit der Palme geht es uns viel besser als mit dem Mais oder dem Kaffee. Denn der Kaffeeanbau erfordert viel Arbeit! Den Kaffee musst Du aufwendig ernten, waschen trocknen! Und in schlechten Zeiten verlierst Du die Hälfte der Ernte. Das ist bei der Ölpalme nicht so! Du musst nur warten, bis die Frucht reif ist, dann schneidest Du sie und bringst sie zur Fabrik, oder es kommt der Kojote und nimmt sie mit."

Palmfrüchte können das ganze Jahr über geerntet werden, auch das ist für die Bauern sehr attraktiv, bedeutet es doch regelmäßige Einkünfte. Seit zehn Jahren hat Jerónimo Ölpalmen auf seinem Grund stehen. Mais und Bohnen, die die Familie immer noch, wenn auch in immer geringerem Umfang zur Selbstversorgung anbaut sowie ein bisschen Federvieh sind von der Palme vom Flussufer weiter nach oben zum Haus und zur Landstraße hin verdrängt worden. Dabei war die Ölpalme für Jerónimo alles andere als ein Senkrechtstarter:

"Wir konnten nicht sofort ernten, du musst zunächst warten, bis die Pflanze groß genug ist. Bis dahin musst du die Plantage pflegen, vor allem den Boden frei von Bewuchs halten. Erst nach drei Jahren kommen die ersten Nüsse, die sind am Anfang aber noch relativ klein. Mittlerweile geht es uns aber gut. Ein paar Kilometer weiter ist die Baumschule. Zehn Hektar groß ist sie im Moment, wir bekommen noch eine zweite dazu, dann werden es 25 Hektar sein. Das heißt, wir werden in Zukunft mehr Produzenten sein und auch ich werde mehr produzieren."

Miguel Angel García aus San Cristóbal, Gründer und Leiter der Umweltorganisation Maderas del Pueblo, ist auf der 199 unterwegs in Richtung Palenque. Der grauhaarige und graubärtige García ist ein prominenter Kritiker des Palmölbooms, der Chiapas vor etwa 15 Jahren erfasst hat.

"Früher gab es hier große Flächen, auf denen Reis angebaut wurde. Mit der wirtschaftlichen Öffnung und den Freihandelsverträgen konnte der mexikanische Reis nicht gegen die günstigere Konkurrenz aus Asien bestehen. Die Reisfabrik hier musste dicht machen. Viehhaltung und Fleischproduktion erging es ebenfalls schlecht. Und so ist auch die Fleischfabrik Geschichte. Da wo vorher Rinder und Reis standen, breitet sich heute die Ölpalme aus."

Wie mit Jerónimo spricht Miguel Angel mit vielen Palmölbauern in Chiapas. Er kann verstehen, dass viele Bauern die Ölpalme für einen Segen halten, gerade weil andere Betriebe wie die Reis- und Fleischfabrik in den letzten 20 Jahren schließen mussten. Aber die Ausbreitung der Ölpalme auf den fruchtbarsten Böden und gerade im indigen geprägten Hochland von Chiapas berge gewaltige Risiken.

"Die Palme stellt eine Aggression gegenüber der Natur und der Kultur der Chol-Indígenas dar. Die Grundnahrungsmittelproduktion von Mais, Bohnen, Chayote, Kürbis wird von der Palme aus den fruchtbarsten Gegenden in den Tälern verdrängt. Wenn mehr und mehr Ölpalmen in den Flusstälern gepflanzt werden, sehen sich die Bauern gezwungen, für ihre Grundnahrungsmittelproduktion andere Flächen zu suchen. Wenn sie die Möglichkeit haben, roden sie zur Gewinnung von Ersatzflächen Primärwald auf den Bergen. So wird Wald zwar nicht direkt für die Palme gerodet, aber indirekt. Wenn die Grundnahrungsmittelproduktion zu Gunsten der Palme aufgegeben wird, verlieren die Bauern außerdem die Möglichkeit der Selbstversorgung und begeben sich in die Abhängigkeit des Weltmarktes, wo die Preise weit weg festgelegt werden."

Kurz vor Palenque taucht über der Hauptstraße der Schornstein der Fabrik auf, in der die Palmbüschel samt Früchten zu Palmrohöl verarbeitet werden. Dicker schwarzer Rauch steigt in den Himmel. Umweltschutz ist bei Fabriken im ländlichen Mexiko bis heute ein Fremdwort, egal ob dort Palmöl, Zucker oder Bier hergestellt wird. Immerhin raucht der Schornstein der Palmölfabrik, immerhin wird hier im Gegensatz zur Reisfabrik noch produziert.

In der Palmölfabrik klettern Umweltschützer Miguel Angel und eine Gruppe von Besuchern über Metallrosttreppen an Förderbändern, Pressen und Öfen vorbei und lassen sich vom technischen Leiter der Fabrik den Prozess der Ölextraktion erläutern.

Wiegen, Sterilisieren unter Dampf, mechanische Trennung von Frucht und Büscheln, Einkochen, Pressen der Frucht; Zentrifugieren, Filtern zur Gewinnung des Öls: Silvano Gonzalez, ein weißer und weißhaariger Mann Ende Fünfzig, ist ganz Ingenieur, der sich für das Machbare begeistern kann und in Neuerungen und Technik die Vorteile sieht. Was man nicht alles herstellen kann aus der Ölpalmfrucht: Biotreibstoffe für Dieselmotoren, Speiseöle für die Konfiserie und Seifen für die Kosmetik. Margarine für Menschen und Futtermehl für Tiere. Für Mexiko sei die Ölpalme ein absoluter Gewinn.

"Mexiko hat ein großes Defizit an pflanzlichen Ölen. Bislang muss ein Großteil Speiseöl importiert werden. Volkswirtschaftlich ist die Palmölproduktion also ein Gewinn, weil die Importe reduziert werden können. Außerdem ist die Palme für die hiesige Landwirtschaft von Vorteil, denn es werden große Flächen neu genutzt, die vorher Viehweiden waren und lange brach lagen. Die Palme schafft Arbeitsplätze und den Bauern bringt sie eine erhöhte Rentabilität ihrer Felder. Auf einer gut gepflegten Plantage können 30 Tonnen pro Hektar geerntet werden und der Preis pro Tonne liegt bei etwa 1400 Pesos. Die Einnahmen sind für die Produzenten also üppig!"

Das macht umgerechnet knapp 2500 Euro pro Hektar und Jahr: Selbst wenn Ingenieur Gonzalez sowohl die Erntemenge, als auch den Abnahmepreis am Maximum kalkuliert und der Durchschnittsertrag eher bei weniger als der Hälfte liegen dürfte: Für die indigenen Kleinbauern, die zuvor oft weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung hatten, ist das eine Menge Geld. Die Landesregierung des mexikanischen Bundesstaates Chiapas will die Ölproduktion bis 2020 auf eine Million Hektar ausdehnen, also auf eine Fläche von 100 mal 100 Kilometern. Sollten diese Pläne Realität werden, dürfte von dem Versprechen, keinen Urwald zu roden, nicht mehr viel übrig bleiben. In Indonesien und Malaysia, den beiden weltweiten Hauptanbauländern, bedecken Monokulturen ganze Landstriche. Viele Millionen Hektar Wald sind laut der Organisation "Rettet den Regenwald" für die Ölpalmen abgeholzt – oder noch schlimmer – durch Brandrodung vernichtet worden. Auch in Ecuador und Kolumbien geht dieser "Ölboom" auf Kosten der Wälder. Die Ölpalme als Regenwaldkiller. Und in Mexiko umschließen die Palmen gerade eines der letzten großen Urwaldgebiete der Region: den lakandonischen Regenwald.

Miguel Angel macht auf seiner Recherchereise Station bei Josué Ramírez. Auch Josué hat sich wie Jerónimo vor rund zehn Jahren überzeugen lassen und eine Ölpalmenplantage angelegt. Denn in den ersten Jahren erhielten die Bauern Unterstützung in Form von kostenlosen Setzlingen, Düngern und Pestiziden. Doch waren Josués Erfahrungen längst nicht so gut.

"Das war schon schwierig am Anfang, denn wir wussten nichts über die Palme. Die haben die Palme promotet, viel versprochen, aber als wir die Palme einmal hatten, waren wir auf uns gestellt. Keine Beratung, nichts! Als wir gemerkt haben, dass das alles Stacheln sind, waren wir schon mittendrin. Ich habe drei Jahre Ernten verloren, weil es noch keine Extraktionsfabrik gab. Also haben wir alles an die Tiere verfüttert. Aber die vertragen das nicht. Dann haben sie gesagt, wir könnten unter der Palme auch noch andere Nutzpflanzen ziehen. Aber das funktionierte auch nicht, weil die Wurzeln so dicht sind. Die Palme absorbiert alles und lässt nichts wachsen. Ich habe vor zwei Jahren Kakao gepflanzt und der wächst einfach nicht."

An fünf Meter langen Stangen ist ein Messer befestigt, mit dem Bauer Josué und sein Sohn Adduar überzählige Palmblätter vom Stamm schneiden. Oder sie reißen damit eine Palmfrucht herunter. Ungefährlich ist das nicht, wenn die bis zu vierzig Kilo schweren Fruchtbüschel, aus denen auch noch unzählige große Dornen ragen, krachend zu Boden fallen. Von den Giftschlangen, die über den Boden kriechen und die man beim Blick nach oben gerne übersieht, ganz zu schweigen.

"Ich kann den Anbau aus eigener Erfahrung nicht empfehlen! Wenn Du Dir anschaust, wie viel Arbeit das bedeutet und wie viel am Ende dabei herausspringt, dann ist das kein Geschäft. Das große Geschäft macht die Industrie, aber die Arbeit in den Plantagen ist schwierig und extrem schlecht bezahlt!"

Fünf der mittlerweile sechs Extraktionsfabriken in Chiapas gehören großen Unternehmen, nur eine ist im Besitz einer Kooperative, die den Bauern gehört. Alle anderen Produzenten, auch Jerónimo und Josué müssen schauen, was die Fabrik in ihrer Nähe zu bezahlen bereit ist. Oft würden miese Preise diktiert, so Josué.

Und noch eine andere Industrie macht ihre Profite: Die Agrochemie. Denn die Palmenhaine müssen oft noch gedüngt und immer mit Pflanzenschutzmitteln und Unkrautvernichtern besprüht werden. Das ist erstens teuer, und aus Sicht von Miguel Angel alles andere als umweltverträglich:

"Vor allem in den ersten drei Jahren, in denen die Palme wächst, muss viel gesprüht werden, da die Palme in Konkurrenz zum schnell nachwachsenden tropischen Wald steht. Das Gift wird oft ohne Sicherheitsvorkehrungen eingesetzt, ohne Schutzanzüge und Masken. Bei den Regenmengen, die hier fallen, wird die Hälfte des Giftes weggeschwemmt und gelangt entweder ins Grundwasser, oder in die Flüsse. Das heißt, mit jedem Fisch, den die Menschen essen und mit jedem Schluck Wasser, den sie aus dem Brunnen trinken, nehmen sie Gift zu sich und je mehr Plantagen es gibt, desto mehr vergiften sich die Menschen."
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