Gesänge des Abschieds

Von Albrecht Dümling · 21.09.2010
Ähnlich wie Debussy und Ravel haben sich auch die Altersgenossen Gustav Mahler und Richard Strauss nicht als Rivalen gesehen, sondern als Kollegen respektiert. Mahler war überzeugt, "dass ich wohl mit meinen Werken als Monstrum dastehen würde, wenn nicht die Straußischen Erfolge mir die Bahn geöffnet".
Obwohl die Tondichtungen von Strauss sich ästhetisch von den Symphonien Mahlers wesentlich unterschieden, wurden sie in ihrer opulenten Klanglichkeit zu deren Wegbereitern. Strauss setzte sich tatkräftig für die Werke seines Wiener Kollegen ein, worauf auch Mahler häufig Kompositionen seines "Mitkämpfers und Mitstreiters" zur Aufführung brachte. Allerdings scheiterte er bei dem Versuch, die Wiener Hofoper für "Elektra" zu gewinnen. Ebenso vergeblich bemühte sich Strauss um weitere Aufführungen von Mahler-Symphonien nach 1933.

Beiden Komponisten gemeinsam war das Interesse am Kunstlied. Während das Lied aber bei Strauss eine eigene Welt abseits seiner Orchester- und Bühnenwerke verkörperte, war es für Mahler untrennbar mit den Symphonien verbunden. Wie Schönberg durch Lieder zur Atonalität kam, so stieß auch Mahler in Vokalmusik in neue Klangwelten vor, die er dann auf seine Instrumentalmusik übertrug. Die Wunderhorn-Lieder bereiten die ersten vier Symphonien vor, die sogenannten "Wunderhorn-Symphonien", während die zwischen 1900 und 1904 geschriebenen Lieder nach Gedichten Friedrich Rückerts Vorstufen zu den drei Symphonien Nr. 5, 6 und 7 darstellen.

Mit seinen Rückert-Vertonungen betrat Mahler eine neue Welt kammermusikalischer Intimität. Das Gedicht "Um Mitternacht", das jede Strophe mit diesen beiden Worten beginnen und enden lässt, verwandelte er zu einer konzentriert gearbeiteten Variationenkette über drei kurze Motive. Mit dem Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" nahm er schon das berühmte Adagietto der Fünften Symphonie vorweg.

Nathalie Bauer-Lechner berichtete, dass Mahler hiermit die Arbeit an seinen Rückert-Liedern abschloss: "Er selbst sagte über die ungemein erfüllte und gehaltene Art dieses Liedes, es sei Empfindung bis in die Lippen hinauf, die sie aber nicht übertritt! Auch sagte er: das sei er selbst!" Zum Ausdruck kommt der meditative Rückzug vom "Weltgetümmel", den der Komponist regelmäßig vollzog, um sich in völliger Isolation allein der schöpferischen Arbeit zu widmen. Das "Ich bin" als autobiographisches Signet Mahlers erklingt zu Beginn dieses Liedes gleich dreimal. Dabei erweitert sich ganz allmählich der Ambitus der Melodie, die in ihrer reichen Melismatik und dem äußerst langsamen Tempo Züge des Unwirklichen besitzt.