Gesa Ufer liest Musik

"Borders" von M.I.A.

M.I.A.
M.I.A. bei einem Konzert auf einem Festival © picture alliance / dpa / Ennio Leanza
03.12.2015
Mit dem Song "Borders" nimmt sich die Rapperin M.I.A. dem Flüchtlingsthema an. Und es gelingt ihr, im selben Stück auch Genderfragen und Musik unterschiedlichster Einflüsse zu kombinieren - cool anzuschauen ist das im zugehörigen Clip noch dazu.
"Freedom, 'I'dom, 'Me'dom
Where's your 'We'dom?
This world needs a brand new 'Re'dom
We'dom - the key
We'dom the key'dom to life!"
Für Mathangi "Maya" Arulpragsam, wie M.I.A. eigentlich heißt, ist "Freiheit" nur noch für ein narzistisches Kreisen um die eigene Person. Um Me, Myself and I. Freedom – das ist nur noch I-Dom und Me-Dom. Die Welt braucht eine Korrektur, ein "Redo", um wieder das Wir zu feiern.
M.I.A. ist die Tochter eines tamilischen Aktivisten und eine der ersten Popstars, die sich in ihren Songs überhaupt mit Flüchtlingen beschäftigt. Und uns mit ihrem eindringlichen Beat und dem wütenden Text von unseren bequemen Sofas holen will.
"Borders (What's up with that?)
Politics (What's up with that?)
Police shots (What's up with that?)
Identities (What's up with that?)
Your privilege (What's up with that?)
Broke people (What's up with that?)
Boat people (What's up with that?)
The realness (What's up with that?)
The new world (What's up with that?)
Am gonna keep up on all that"
Was ist mit den Grenzen? Was mit der Politik, mit den Schüssen der Polizisten, den eigenen Privilegien, den Gestrandeten, den Boat-People und was ist andersherum mit all unserem Gequatsche von Authentizität, Wahrhaftigkeit und einer neuen Welt? Alles Blabla, so M.I.A.s schonungsloses Fazit.
Das Video zum Song irritiert. Da singt diese wunderschöne junge Frau in pfirsichfarbenem Lackmantel mit farblich perfekt abgestimmtem Hütchen auf dem sorgfältig geschminkten und frisierten Kopf. Im Hintergrund fräsen sich rechts und links zwei endlose Menschenschlangen durch den Sand, die an Ameisenstraßen erinnern.
Stark ästhetisiert führt M.I.A. die riesige – vermeintlich echte - Flüchtlingskarawane an. Nicht zufällig ein Heer von jungen Männern mit einheitlich kurz geschorenen Haaren und entschlossenem Blick. Die Multi-Media-Künstlerin, Musikerin und Regisseurin treibt das medial vermittelte Stereotyp der anonymen "Flüchtlingsströme" auf die Spitze. Inmitten hunderter gesichtsloser Männer liegt sie als einzige Frau auf einem überfüllten Schiff, nicht ohne ständig ihre perfekte Garderobe zu wechseln. Um sie herum formiert sich ein schier endloser Flottenverband aus ähnlich überlaufenen Booten. Fast biblisch muten diese Szenen an, besonders als M.I.A. halb traumwandlerisch übers Wasser geht und dabei nicht aufhört, ihre eindringlichen Fragen an uns zu stellen.
Queen (What's up with that?)
Killing it (What's up with that?)
Slaying it (What's up with that?)
Your goals (What's up with that?)
Being bae (What's up with that?)
Making money (What's up with that?)
Breaking internet (What's up with that?)
Love wins (What's up with that?)
Living it (What's up with that?)
Being real (What's up with that?)
Aber darf das Flüchtlingsthema überhaupt so überhöht und überästhetisiert inszeniert werden?
Ja. M.I.A. darf das. Denn wenn SIE über Flüchtlinge spricht, dann reflektiert sie ihre eigene Geschichte und die ihrer tamilischen Community. Das Thema "Grenzen" hat sie nicht nur abstrakt und künstlerisch, sondern sehr real durchdrungen - auf ihrer Flucht von Sri Lanka nach England. Aus dem Flüchtlingskind von einst ist eine Rapperin geworden, die Flüchtlingsdiskurs, Genderfragen und Musik unterschiedlichster Einflüsse unter einen Hut bekommt. Und zwar einen Hut, der noch dazu sehr cool anzuschauen ist.
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