Gerhard-Richter-Ausstellung

"Farbenprächtig, explosiv – und überraschend"

Eine Frau betrachtet ein Gemälde des Malers Gerhard Richter.
Gerhard Richters aktuelle Werke überraschen selbst Kenner, ist Dietmar Elger sicher. Das Museum Ludwig in Köln zeigt sie in einer Ausstellung zum 85. Geburtstag des Malers. © dpa picture alliance/ Oliver Berg
Dietmar Elger im Gespräch mit Marietta Schwarz · 08.02.2017
Pünktlich zu seinem 85. Geburtstag zeigt das Museum Ludwig in Köln eine Ausstellung mit diesen Werken. Richter-Kenner Dietmar Elger ist begeistert: Selbst für Kenner seien sie eine Überraschung.
Marietta Schwarz: Gerhard Richter gehört zu den weltweit gefragtesten Gegenwartskünstlern. Sein Werk umfasst tausende Malereien, von fotorealistischen Bildern aus den 60er-Jahren über die abstrakten Schabebilder späterer Jahrzehnte bis zu den monochromen Flächen, teilweise mit Glasscheiben versehen, in denen sich der Betrachter selbst spiegelt. Seit seiner Flucht aus der DDR lebt Gerhard Richter in Köln, dort gestaltete er vor zehn Jahren einige hochmoderne Fenster im Dom, deren Ursprung auf seine Arbeiten mit Farbtafeln aus den 70er-Jahren zurückgeht. Die Auseinandersetzung mit dem Medium Bild hat ihn immer umgetrieben, jenen deutschen Künstler, der ungern über sein Werk spricht und morgen 85 Jahre alt wird. Der Kunsthistoriker Dietmar Elger ist ein Freund und wohl der beste Kenner Gerhard Richters. Er leitet das Gerhard-Richter-Archiv in Dresden und jetzt ist er uns aus Köln zugeschaltet. Guten Abend!
Dietmar Elger: Guten Abend!
Schwarz: Herr Elger, vor fünf Jahren zu Richters 80. Geburtstag gab es eine große Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Jetzt zeigt das Museum Ludwig neue Bilder, alle im vergangenen Jahr entstanden. Was sind das für Werke?
Elger: Gerhard Richter hat ja in den Jahren davor nicht wirklich gemalt. Er hat Bilder gemacht, die sogenannten Strips, wo er einen Computer eingesetzt hat, und er hat Hinterglasbilder gemacht, die zwar mit Ölfarbe oder mit Lackfarbe gemacht worden sind, aber nicht in der Technik, wie er seine Bilder malt. Und nach einer langen Unterbrechung durch diese zwei Werkphasen hat er 2015 wieder begonnen oder 2014 sogar schon wieder begonnen, richtige Bilder mit Ölfarbe auf Leinwand zu malen. Zu sehen sind jetzt die allerneusten Bilder, die tatsächlich letztes Jahr entstanden sind und die noch mal anders sind als die Bilder davor. Sie sind farbprächtiger, sie sind explosiver, sie sind komplexer auch in ihrer Struktur, es ist auch für diejenigen, die Richters abstrakte Bilder kennen, eine Überraschung. Und abstrakte Bilder gibt es immerhin seit mehr als 30 Jahren in seinem Werk.
Schwarz: Kombiniert werden sie aber auch mit Ikonen aus den vergangenen Jahrzehnten. Immer ist zum Beispiel zu sehen aus den 60er-Jahren dann die Porträts deutscher Geistesgrößen von 71/72, und das Bild "Krieg", um nur mal einige zu erwähnen. Also ist das ein chronologischer Blick auf sein Leben?
Elger: Das würde ich nicht sagen, weil, das, was zusätzlich gezeigt wird zu den neuen Bildern, ist tatsächlich der Bestand, der komplette Bestand des Museum Ludwig, sodass es eben tatsächlich davon auch abhängig ist, was dieses Museum durch Herrn Ludwig meistens in den letzten Jahrzehnten gesammelt hat. Dazu sind einige neue Grafiken gekommen, die jetzt als Schenkungen in den Bestand des Hauses gegangen sind, aber es ist eben davon abhängig, von dem, was das Haus selber als Werke von Gerhard Richter besitzt, sodass das kein kuratierter Bereich ist.

"Richter arbeitet an sechs, sieben Bildern parallel"

Schwarz: 26 Bilder aus einem Jahr. Wir wissen, dass Gerhard Richter häufig sehr großformatig arbeitet. Das hört sich danach an, als ob er immer noch unglaublich produktiv ist. Das sind alle zwei Wochen ein Bild.
Elger: Nein, es ist dann, wenn es entsteht, sogar mehr als alle zwei Wochen ein Bild. Die Bilder entstehen ja parallel. Also, sechs, sieben Bilder gleichzeitig, an denen er arbeitet, an denen er immer wechselhaft arbeitet. Sie entstehen auch relativ schnell und innerhalb eines kurzen Zeitraums, hier waren das sicherlich so zwei, drei Monate, in denen die Bilder entstanden sind. Häufig sind dazwischen größere Phasen, zeitliche Phasen, in denen er eben gar nicht an Bildern arbeitet, sondern mit vielen anderen Dingen beschäftigt ist.
Schwarz: Wie hat man sich diese Produktion vorzustellen? Also, Sie selbst waren ja auch in den 80er-Jahren Assistent Gerhard Richters und man hat das ja auch mal in diesem Dokumentarfilm gesehen über ihn, dass er die Assistenten auch eben machen lässt und dann entscheidet, bleibt so das Bild, oder man macht es noch mal neu, man geht bei diesen abstrakten Schabebildern noch mal mit einer Lage drüber. Also, nimmt er selbst denn noch Malerwerkzeug in die Hand?
Elger: Ja, er malt diese Bilder im Grunde alleine. Und diese neuen Bilder sind auch ganz allein entstanden. Was man in dem Film sieht, wo mal ein Assistent mit anfasst, da ist es wirklich so, dass ... Sie müssen sich ja vorstellen, da ist eine riesige Rakel, da ist viel Farbe drauf. Und wenn Sie den oben ansetzen auf dem Bild und nach unten ziehen, benötigen Sie eine unheimliche Kraft, um diese Rakel überhaupt durch die Farbe zu ziehen, weil das einfach klebt aneinander. Und da hat einer der Assistenten mitangefasst, damit das überhaupt rein technisch und vom Kraftaufwand geht. Ansonsten entstehen diese Bilder von Gerhard Richter ganz alleine, ohne Hilfe.

"Es geht immer wieder um das Thema, was ist ein Bild"

Schwarz: Gerhard Richter war stets für stilistische Brüche bekannt. Man kennt von ihm diese weichgezeichneten Porträts, Landschaften, diesen RAF-Zyklus in schwarz-weiß, die abstrakten Schabbilder, die ich eben schon erwähnt habe mit diesen vielen Farbschichten übereinander. Und dann neueren Datums, Sie haben das auch schon erwähnt, diese relativ kalten, monochromen Lackflächen. Wie würden Sie, Herr Elger, das beschreiben, was dieses Werk Richters zusammenhält?
Elger: Im Grunde - und das ist das Erstaunliche - geht es immer wieder um das Gleiche, um das Thema, was ist ein Bild, wie kann ein Bild entstehen, wie kann sich ein Bild gegenüber anderen Medien behaupten. Diese neuen Bilder, die sogenannten Strips, die mithilfe eines Computers entstanden sind, gehen zurück auf ein abstraktes Bild von Gerhard Richter, aus dem Jahr 1990 ist das, glaube ich, das hat er abfotografiert, er hat Details vergrößert, hat das dann anders kombiniert, hat diese Details sozusagen in Streifen gezogen, in längliche Streifen gezogen, sodass diese Bilder, die so abstrakt wirken und so distanziert wirken, zurückgehen auf ein ganz normal gemaltes abstraktes Bild. Das ist ein Bild, oder diese Werkserie ist ein Produkt oder ein Surrogat aus seinen abstrakten Bildern. Das ist ein ganz toller Prozess, wie er aus einem abstrakten Bild eine völlig neue Werkgruppe entwickelt mit Bildern, von denen man ... oder bei denen man den Ursprung, die Quelle gar nicht mehr sieht. Und diese Quelle ist eben eins seiner Bilder.
Schwarz: Auch Ihr Archiv in Dresden würdigt Richters 85. Geburtstag. Ende Januar haben Sie eine kleine Ausstellung eröffnet. Was sieht man denn bei Ihnen, was man in Köln im Museum Ludwig nicht sieht?
Elger: Bei uns sieht man im Moment Fotografien von Benjamin Katz, der Richter ja seit mehr als 30 Jahren begleitet und ihn immer wieder im Atelier fotografiert hat, auch Porträts immer wieder gemacht hat. Das ist ein sehr schöner Einblick in das Atelier, in die Arbeit im Atelier. Wir haben diese Fotos vor einigen Jahren erworben und zeigen sie jetzt selbst das erste Mal öffentlich. Und wir zeigen aber auch als quasi zweite Station die Ausstellung, die jetzt im Museum Ludwig zu sehen ist, allerdings nur die neuen 26 Gemälde.
Schwarz: Herr Elger, wie geht es denn Gerhard Richter?
Elger: Er ist fit, er arbeitet viel und er zieht sich jetzt aber zurück zu seinem Geburtstag und ist mit der Familie in Urlaub gefahren. Und das ist für ihn sicherlich das schönste Geburtstagsgeschenk, was er sich selber machen konnte.
Schwarz: Dietmar Elger über den Maler Gerhard Richter, der morgen seinen 85. Geburtstag feiert. Und wie wir eben gehört haben: Morgen beginnt auch die große Retrospektive im Museum Ludwig in Köln. Vielen Dank, Herr Elger!
Elger: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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