Gerhard-Falkner-Ausstellung in Berlin

Poesie als multimediale Kraft

Dichter Gerhard Falkner
Der Schriftsteller und Dichter Gerhard Falkner - das Berliner Literaturhaus widmet ihm jetzt eine intermediale Ausstellung © imago/gezett
Von Susanne von Schenck · 20.04.2016
Der Lyriker Gerhard Falkner liebt Grenzüberschreitungen zu anderen Künsten und Medien. Poesie kann auch im Videoformat stattfinden, sagt er. Anlässlich seines 65. Geburtstags zeigt das Berliner Literaturhaus eine intermediale Ausstellung über den vielseitigen Künstler.
"Der Film über den Abriss des Palasts der Republik ist, wenn ich so salopp mich ausdrücken darf, der Renner unter den Videoarbeiten."
Und hat Gerhard Falkner ein breites, internationales Publikum beschert. 2010 entstand der Film "Der letzte Tag der Republik", gemeinsam mit dem Videokünstler Reynold Reynolds. Poetische Texte zu Bildern im Zeitraffer: Kräne und Bagger, Dinosauriern gleich, zerstören den Berliner Palast der Republik, fressen sich durch die Mauern, bringen sie zu Fall – die Texte entrücken die Szenen ins Zeitlose.
Am Eingang der Ausstellung im Berliner Literaturhaus hängt ein lebensgroßes Schwarz-Weiß-Foto: ein Mann in Jeans und Sakko, auf einem Schemel sitzend, blickt durch eine schwarze Brille etwas verhalten auf den Betrachter. Jim Rakete hat Gerhard Falkner fotofiert, den Dichter, dessen Werk wegen seiner poetischen Techniken als schwer zugänglich gilt. Die beiden lernten sich vor vier Jahren während eines Stipendienaufenthaltes in Istanbul kennen. Vor kurzem feierte Gerhard Falkner seinen 65. Geburtstag, Anlass für den engagierten Kurator Constantin Lieb, den gebürtigen Franken mit einer Ausstellung zu würdigen:
"Poesie und Lyrik kann natürlich im Buch gedruckt werden, sie kann aber auch ganz anders stattfinden. Sie kann im Videoformat stattfinden, im Klanglichen stattfinden oder sie kann auch im Performativen stattfinden."
Auszüge aus Gerhard Falkners letztem Gedichtband "Ignatien – Elegien am Ende des Nervenzusammenbruchs" sind nicht nur als Klangcollage zu hören, sondern auch in einer Arbeit von Yves Netzhammer zu sehen. In dessen faszinierenden Computeranimationen fließen Menschen, Tiere, Pflanzen und Dinge ineinander, verwandeln sich, lösen sich auf, werden zu Skeletten oder verschwinden in Pflanzen.

Falkner setzt Maßstäbe für eine neue Dichtung

Immer wieder werden Passagen aus den "Ignatien" eingeblendet, die schnell wieder verblassen, so dass man sich mit dem Lesen beeilen muss. Von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart spannt sich der Bogen. Besonders intensiv, sagt Gerhard Falkner, sei die Zusammenarbeit mit Johan Lorbeer gewesen. Auf dessen schemenhaft, leicht verblichenen Fotografien wellen sich die Texte Gerhard Falkners auf einer Folie - 1981 setzten sie dann in dem Band "so beginnen am körper die tage" Maßstäbe für eine neue Dichtung:
"Ich habe auch bei mir gemerkt, dass da tatsächlich ein Sprung passiert ist in meiner Arbeit. Ich habe plötzlich eine ganz andere Prägnanz gefunden, weil ich mich durch diese Fotos sehr stark herausgefordert gefühlt hab. Ich dachte, ich müsste da was dagegensetzen, das von einer großen Dichte und Klarheit ist und das das Bild nicht überfrachtet und nicht zudeckt. Deswegen waren die Texte auch sehr reduktionistisch."

Zusammenarbeit mit Penck, Münch und Matocza

In Vitrinen liegen zahlreiche Künstlerbücher, Ergebnisse von Falkners Zusammenarbeit mit A.R. Penck, Horst Münch oder Nora Matocza. Gemeinsam mit letzter entstand auch das neuste Werk: "Deconstructing Gisèle". Ausgangspunkt dafür waren die Künstlerbücher "Atemkristall" und "Schwarzmaut" von Paul Celan und Gisèle Lestrange, die die Radierungen zu Celans Gedichten schuf. Ein Stipendium in dessen Geburtsort Czernowitz inspirierte Gerhard Falkner und Nora Matocza zu dieser Arbeit:
"Was auch dekonstruierend war, ist, dass ich die Radierungen erst mal mit dem Sinn für Czernowitz befrachtet hatte und eine ganz andere Herangehensweise gehabt habe, auch die Technik hat sich verändert. Wobei ich schon versucht habe, einiges zu übernehmen, dieses tief Geätzte, dass so Löcher zum Durchgucken entstehen, das hat sie auch, das habe ich auch versucht zu machen."
"Materie: Poesie" – diese feine und besondere Ausstellung erweitert das Spannungsfeld von poetischer Sprache und erschließt neue Lesarten der Texte von Gerhard Falkner:
"Mir war es immer wichtig, nicht nur den literarischen Fokus, der ja bei meinen Gedichten recht streng ist zum Teil, sondern eigentlich immer den doch oft viel lebensvolleren Blick der Bildenden Kunst zu haben."

Materie: Poesie. Gerhard Falkner, Künstlerbücher – Filme – Klänge
Literaturhaus Berlin
17. April bis 7. Mai 2016

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