Gerbereien

Haltbar, sexy und für den Export

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Die Arbeit in den Gerbereien ist hart - wie hier in Indien. © picture-alliance / dpa
Von Christian Brüser · 03.03.2014
Es ist ein Millionengeschäft: Alleine im Jahr 2012 hat Bangladesch Leder und Lederwaren für mehr als eine halbe Milliarde Euro exportiert. Doch die Art, wie das Leder verarbeitet wird, gefährden Menschen und Umwelt.
Für Lederfans ist das hier das Schlaraffenland. Es duftet nach Leder. An den Messe-Ständen kann man alle Arten und Farben von Leder bewundern, außerdem Schuhe, Taschen, Jacken und Gürtel. Die lineapelle in Bologna ist die wichtigste Ledermesse der Welt. Alle sechs Monate treffen sich hier Vertreter von Gerbereien und die Ledereinkäufer vieler Schuh- und Modefirmen. Die Aussteller und Fachbesucher repräsentieren 50.000 Unternehmen, die 40 Prozent des Welt-Ledermarktes ausmachen. Der jährliche Umsatz dieser Firmen beträgt 85 Milliarden Euro. Die größten Lederproduzenten der Welt sind China, Indien, Brasilien und die USA, aber auch kleinere Länder wie Pakistan und Bangladesch steigern ihre Lederproduktion und punkten durch niedrige Preise. Aus Bangladesch sind vier Aussteller nach Bologna gekommen. Muhammad Hedayetullah ist der Direktor der Gerberei Apex.
"Wir sind die größte Gerberei in Bangladesch und produzieren 230.000 Quadratmeter Leder im Monat. Wir erzeugen Kuhleder und Ziegenleder für Schuhe und Handtaschen. Seit 30 Jahren verkaufen wir Leder vor allem nach Deutschland und Italien, doch da viele deutsche und italienische Kunden ihre Schuhfabriken mittlerweile nach China verlagert haben, verkaufen wir sehr viel Leder nach China."
Bangladesch hat im Jahr 2012 Leder und Lederwaren für rund 600 Millionen Euro exportiert. Tendenz stark steigend.
"Ständig werden in Bangladesch neue Schuhfabriken eröffnet, denn viele Firmen verlagern nun ihre Produktion von China zu uns. In China steigen die Löhne und die Grundstückspreise. Es kann leicht sein, dass sie in Deutschland einen Schuh kaufen, der in Bangladesch hergestellt wurde."
Acht bis zehn Millionen Kühe an einem Tag geschlachtet
Und wie wird Leder in Bangladesch hergestellt? Ortswechsel. Ein sonniger Vormittag in der 12 Millionen Metropole Dhaka. Festtagsstimmung und vergleichsweise wenig Verkehr in der Hauptstadt von Bangladesch. Man feiert das Opferfest, das höchste islamische Fest. Auch für die Gerberei-Industrie ist dies der wichtigste Tag des Jahres. An diesem Tag werden in ganz Bangladesch acht bis zehn Millionen Kühe und Ziegen geschlachtet. In den Monaten danach laufen die Gerbereien auf Hochtouren.
Das große Schlachten beginnt morgens etwa um acht Uhr. In Banani, einem Wohnviertel der Mittelklasse, steht fast vor jedem Haus eine Kuh auf der Straße. Einige Männer haben die Beine einer Kuh mit Schnüren zusammen gebunden. Mit vereinten Kräften bringen sie das Tier zu Fall. Dann kommt ein islamischer Geistlicher. Sein weißes Gewand ist bereits mit Blutflecken übersät. Er setzt sein langes Messer am Hals des Tieres an und durchschneidet ihn mit ganzer Kraft. Das Blut spritzt und rinnt in einem dicken Strom auf die Straße. Röcheln dringt aus der Luftröhre der Kuh, sie zappelt mit dem ganzen Körper. Der Blutstrom wird dünner. Der Imam geht weiter. Nun machen sich die Fleischer und ihre Helfer an die Arbeit. In zwei bis drei Stunden zerlegen sie die ganze Kuh. Das Fleisch wird in die Höfe getragen und auf Bastmatten gelegt.
"Wir opfern die Tiere im Namen Gottes. Das Fleisch teilen wir in drei Teile auf. Ein Teil ist für die Armen, der zweite Teil ist für Nachbarn und Verwandte. Den Rest behalten wir selbst. Wir essen nicht alles auf einmal. Wir frieren einen Teil ein und essen einen ganzen Monat oder länger davon."
Faruk Ahmed, ein Armeeoffizier im Ruhestand erklärt, dass eine Kuh umgerechnet rund 150 Euro kostet. Eine Ziege ist bereits für 50 Euro zu haben. Etwa um 10 Uhr liegen die ganze Straße entlang mehrere Dutzend toter Kühe, einige bluten gerade aus, andere sind schon weitgehend zerlegt. Am Ende des Vormittags liegen nur noch die Häute auf der Straße. Der Hauthändler Mohammad Satter hat einen Lasten-Rikscha-Fahrer engagiert und kauft die Häute auf.
"Heute mache ich an einem einzigen Tag so viel Geschäft wie sonst in zwei oder drei Monaten. Ich kaufe so viel ich kriegen kann. Wenn es gut geht 100 oder sogar 200 Häute. Pro Kuhhaut bezahle ich 2000 bis 2100 Taka, rund 20 Euro. Ich verkaufe sie dann im Gerberei-Viertel Hazaribagh."
Gerberein statt Gärten
Hazaribagh – wörtlich bedeutet das "Tausend Gärten". Doch nichts kann man sich im heutigen Hazaribagh schwerer vorstellen als Tausend Gärten. Hazaribagh ist ein Stadtviertel von Dhaka und gleichzeitig das Zentrum der Lederindustrie in Bangladesch. In 155 Gerbereien arbeiten etwa 15.000 Menschen. Es liegt an der Buriganga, dem Hauptfluss der Metropole.
Mohammad Saiful Islam arbeitet seit vielen Jahren in der Gerberei. Er trägt ein Hemd und einen Lungi – ein Hüfttuch. Mit Flipflops stapft er durch Pfützen aus Wasser und Chemikalien und führt in eine von vielen düsteren Fabrikhallen. Wenn man von einer Ecke des großen Raumes zur anderen gelangen will, muss man über schwabbelige Kuhhäute steigen. Beißender Geruch steigt in die Nase. Das Auffallendste sind die gewaltigen Holztrommeln, die aussehen wie Laufräder für Riesenhamster. Diese Trommeln werden mit Hunderten von Häuten beladen. Daneben lagern Chemikalien in Plastiksäcken und blauen Plastikfässern. Orangefarbene Gefahrensymbole signalisieren: "ätzend", "giftig", "umweltgefährlich".
"Wir konservieren die Häute mit Salz. Dann kommen sie in diese großen Trommeln. Ich gebe sechs bis sieben verschiedene Chemikalien und Wasser hinzu. Die Häute werden 20 bis 24 Stunden in dieser Trommel gewaschen."
Dadurch werden die Häute gereinigt und die Haare entfernt. Anschließend befreit man sie in einer speziellen Maschine von Fett und Fleisch.
"Was hier so riecht, das sind die Gase von Chemikalien und von verrottendem Fleisch. Aber das ist kein Problem. Man gewöhnt sich daran. Nur wenn Arbeiter frisch vom Dorf kommen, leiden sie manchmal so unter dem Geruch, dass sie aufhören müssen."
Viele der Gase sind äußerst giftig, wie z.B. der nach faulen Eiern riechende Schwefelwasserstoff. Sie können zu Augenbrennen, Hornhautschäden und Atemwegserkrankungen führen. Obwohl die Männer mit giftigen Chemikalien hantieren, tragen sie keine Schutzkleidung. Die meisten sind barfuß, nur wenige Arbeiter tragen Gummistiefel. Eine Atemschutzmaske hat hier niemand. Im oberen Stockwerk sitzen mehrere Jungen auf dem Boden, 13, 14 Jahre alt, bekleidet mit einem Tuch um die Hüften und einem Unterhemd. Sie schneiden die unbrauchbaren Kanten kleiner Lederstücke ab. An der Wand hinter ihnen hängt ihre Kleidung. Die Jugendlichen schlafen auch in der Fabrik. Die vielen Stunden zwischen gefährlichen Maschinen und giftigen Chemikalien fordern ihren Preis. Fast alle Arbeiter klagen über Augen- oder Atemwegserkrankungen, über Herz- und Hautkrankheiten, berichtet Professor Belal Ahmed vom Dhaka National Medical College. Zweimal pro Woche hat er im Gerber-Viertel Sprechstunde.
"Generell weisen die Arbeiter einen sehr schlechten Gesundheits- und Ernährungs-zustand auf. Häufig leiden sie an Mangelernährung und chronischen Krankheiten wie Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren. Viele klagen über Schmerzen im Unter-leib. Sie essen nicht das richtige, nicht zur richtigen Zeit und sind chronisch überarbeitet."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Eine Arbeiterin läuft an Fellen vorbei.© picture-alliance / dpa
Trotz Arbeitsschichten von zehn Stunden oder mehr, verdienen viele Arbeiter nur 60 bis 80 Euro im Monat. Mohammad Munir Hussain hat viele Jahre in einer Gerberei gearbeitet. Er hat nicht genug verdient, um seine Familie zu ernähren. Heute hat er eine Teebude im Gerberviertel. Neben der schlechten Bezahlung stört ihn an den Gerbereien, dass sie ihre Abfälle nicht entsorgen. Die Freiflächen des Viertels, auf denen Kinder spielen, sind stinkende Deponien für verfaulende Haut- und Leder-reste. Der größte Bach des Viertels ist zu einer stinkenden Kloake verkommen, die Krankheiten verbreitet und sich in den Hauptfluss von Dhaka ergießt.
"Als Kind habe ich im Fluss Fische gefangen. Ich kann mich erinnern, dass mein älterer Bruder einmal einen Wels gefangen hat, der größer war, als er selbst. Heute finden sie dort keinen einzigen Fisch mehr. Die Gerbereien leiten ihr ganzes Schmutzwasser ein. Sie haben alle Fische getötet und die Menschen sterben auch."
Umweltverschmutzung und Verletzungsgefahr
Die Gerbereien leiten Tag für Tag 20.000 Kubikmeter giftiger Abwässer ungeklärt in den Fluss. Laut einem Bericht von Human Rights Watch überschreiten die Werte vieler Giftstoffe wie Chrom oder Blei die gesetzlichen Grenzwerte um das tausend-fache. Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es den Plan, die Gerbereien aus dem Stadt-zentrum in ein 20 Kilometer entferntes, neu erschlossenes Industriegebiet mit zentraler Kläranlage zu verlegen. Grundstücke, Straßen und Stromversorgung stehen bereit, doch die Gerbereien kommen nicht. Die Eigentümer haben kein Interesse am Umzug. Neue Fabriken kosten viel Geld. Außerdem müssten sie für den Transport der Arbeiter sorgen oder Quartiere bauen.
In Hazaribagh leben die Arbeiter direkt neben den Fabriken. Mehrfach hat sogar der Oberste Gerichtshof die Regierung aufgefordert, für den Umzug der Gerbereien zu sorgen. Angeblich soll es 2016 endlich soweit sein. Der Teebuden-Besitzer erzählt, dass es in den Gerbereien ständig zu Unfällen kommt. Das neueste Opfer ist Harun ar Rashid. Der 45-Jährige liegt in seinem Zimmer auf dem Boden. Vor drei Wochen hat er seinen linken Arm verloren. Der Arm endet in Höhe des Ellbogens in einer frischen, roten Narbe. Es sieht aus, als hätte ein Raubtier daran gefressen. Doch es war die so genannte flushing machine, in der die Häute zwischen zwei Walzen ausgepresst werden.
"Auf der Rückseite der Maschine ist eine Haut runter gefallen. Ich wollte hin gehen, um sie aufzuheben, dabei bin ich ausgerutscht und mein Arm geriet in die Maschine.
Im Krankenhaus hofften die Ärzte, meinen Arm retten zu können. Dann haben sie mich geröntgt und gesehen, dass es nicht möglich war. Sie haben dann alles abgeschnitten."
20 Jahre lang hat Harun ar Rashid in verschiedenen Gerbereien gearbeitet. In der Bangla Tannery, in der der Unfall passiert ist, war er erst vier Wochen beschäftigt. Er war nicht angestellt, sondern wurde nach Stück bezahlt. Nach dem Unfall hat ihm ein Vorgesetzter umgerechnet 130 Euro gegeben. Doch wie es weitergeht, ist völlig ungewiss. Mit einem Arm wird er nicht wieder in der Gerberei arbeiten können.
"Der Eigentümer der Gerberei ist derzeit nicht in Bangladesch. Ich weiß nicht, was passiert, wenn er zurückkommt. Ich habe keine Ahnung, ob er mir eine Entschädigung zahlen wird oder nicht."
Bangladesch exportiert Leder in 70 Länder weltweit. Nach China für 140 Millionen US-Dollar im Jahr und nach Deutschland für 40 Millionen Dollar. Außerdem exportiert Bangladesch fertige Lederwaren, hauptsächlich Schuhe, z. B. nach Deutschland im Wert von 10 Millionen Dollar. Gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, keine feste Anstellung, keine Arbeitsverträge, keine Versicherung, kein Schutz bei Unfällen oder Krankheit – das ist der Normalfall in den Gerbereien von Hazaribagh, dem Zentrum der Lederindustrie in Bangladesch. Dieser Stadtteil belegt auf der Liste der am meisten verschmutzten Orte der Welt Platz 5. Wissen die Einkäufer aus Europa von den Produktionsbedingungen oder fragen sie danach? Kashef Hoda ist Direktor einer NGO, die sich auf Recherchen im Textil- und Lederbereich spezialisiert hat. Er hat selbst mehrere Jahre Leder exportiert, um sich sein Studium zu finanzieren und dabei Insider-Kenntnisse erworben.
"Die gesamten Verhandlungen drehen sich ausschließlich um den Preis. Manchmal entscheidet ein einziger Cent über den Auftrag. Die Einkäufer fragen nie, wie der Auftrag erledigt wird. Er gibt seine Bestellung auf und sagt, was er bereit ist, dafür zu bezahlen. "Besorgen Sie mir das! Egal wie!" Ob die Gerberei eine Kläranlage hat, interessiert ihn nicht. Ob dort Kinder arbeiten, interessiert ihn nicht. Sie fragen gar nicht danach. Sie fragen nach der Verpackung, und nach den Zeiten für den Schiffs-transport. Darum sorgen sich die Einkäufer. Warum sollte der Exporteur diese Themen ansprechen?"
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