Geplanter Zufall im Waldorf Astoria

Von Claus Menzel · 14.03.2005
Die Reise des westdeutschen Bundeskanzlers Adenauer in die USA im März 1960 galt als "inoffiziell" - angeblich machte Adenauer auf seiner Reise nach Japan in New York und Washington nur Zwischenstops. Aber die offizielle Version war eine Täuschung: Zum ersten Mal sollte ein deutscher einen israelischen Regierungschef treffen - Adenauers Gespräche mit David Ben Gurion führten zwar nicht zum Austausch von Botschaftern, wohl aber zur Intensivierung der deutschen Hilfe für Israel.
Danach logen die beiden alten Herren genau so dreist und ungeniert wie davor: Nein, so der eine, der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, geplant habe er dieses Treffen am 14. März 1960 ganz und gar nicht. Auch für den anderen, den israelischen Premierminister David Ben Gurion war die Begegnung im 37. Stock des New Yorker Waldorf-Astoria-Hotels ausschließlich einem glücklichen Zufall zu verdanken. Das, erklärte er wenige Tage später, habe sich einfach so ergeben - wie es sich eben so ergibt, wenn ein Regierungschef im Flur eines Hotels dem anderen über den Weg läuft.

An den glücklichen Zufall hat denn auch niemand glauben mögen. Jeder wusste schließlich, welche diplomatischen Probleme das Verhältnis zwischen den Regierungen in Bonn und Tel Aviv belasteten: Während Ben Gurion vor allem ökonomische Hilfe aus Deutschland erhoffte, mochten die meisten israelischen Bürger Hitler und seine Verbrechen nicht vergessen. Und Konrad Adenauer musste damit rechnen, dass so gut wie alle arabischen Staaten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel mit einer Anerkennung der DDR quittieren würden.

Was Wunder also, dass die Deutschen stets geflissentlich weggehört hatten, wenn Ben Gurion wie im Juli 1957 eine Normalisierung des deutsch-israelischen Verhältnisses vorschlug.

"Bis jetzt haben wir nur Handels- und Finanzbeziehungen. Ich sähe es gern, wenn es zwischen beiden Staaten volle diplomatische Beziehungen gäbe."

Die Reaktion der öffentlichen Meinung seines Landes machte Ben Gurion keine großen Sorgen.

"Nun, ich glaube, dass viele Leute aus verständlichen, emotionalen Gründen dagegen sein könnten. Ich teile ihre Gefühle, aber nicht ihre Ansichten. Ich glaube, dass die Vergangenheit die Vergangenheit bleiben sollte und die derzeitige Regierung ist für das, was einst in Deutschland geschah, nicht verantwortlich. Und ich persönlich glaube, dass normale Beziehungen zwischen den beiden Ländern ein Segen für die Welt wäre."

Genau das sahen die Deutschen freilich anders. In nicht allzu ferner Zukunft, ließ Adenauers Pressechef Felix von Eckardt erklären, werde man Ben Gurions Wunsch sicher erfüllen. Mit anderen Worten: Jetzt nicht. Doch auch die bitteren Kommentare der israelischen Zeitungen täuschten niemanden darüber hinweg, dass die Deutschen Israel massiv unterstützten - finanziell, ökonomisch, militärisch. Und zuweilen, so der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß in seinen Erinnerungen, auch ein wenig außerhalb der Legalität.

Schon lange vor der Begegnung zwischen Adenauer und Ben Gurion in New York habe ihm, so Strauß, sein Amtskollege Shimon Peres bei einem Privatbesuch eine Liste jener Kriegsgeräte überreicht, die Israel von den Deutschen zu beziehen wünschte: Flugzeuge, Hubschrauber, Artillerie-Kanonen, Panzerabwehrraketen. Mit Einverständnis Konrad Adenauers seien die israelischen Wünsche auch erfüllt worden:

"Wir haben die Israel zugesagten Geräte und Waffen heimlich aus den Depots der Bundeswehr geholt und hernach als Ablenkungsmanöver bei der Polizei in einigen Fällen Diebstahlsanzeige erstattet. Hubschrauber und Flugzeuge wurden ohne Hoheitszeichen nach Frankreich geflogen und von Marseille aus nach Israel verschifft. Insgesamt haben wir Israel damals Lieferungen im Wert von 300 Millionen Mark zukommen lassen, ohne Bezahlung dafür zu verlangen."

David Ben Gurions Wunsch nach diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik erfüllte sich allerdings auch nach seinem Treffen mit Konrad Adenauer nicht. Zuverlässig leisteten die Deutschen jene Zahlungen, zu denen sie sich 1952 im Luxemburger Wiedergutmachungsabkommen mit Israel verpflichtet hatten. Und zuverlässig erfüllten sie auch Adenauers in New York gegebenes Versprechen, Israel unter den Decknamen "Geschäftsfreund" und "Frank/Kol" von 1961 an Finanz- und Militärhilfe zu gewähren. Einen deutschen Botschafter in Israel und einen israelischen Botschafter in Deutschland aber gab es erst fünf Jahre später.

Man habe damals, erinnerte sich Franz Josef Strauß, getrickst und gelogen. Dies aber auf so ehrliche Weise, dass wirklich jeder die Wahrheit kannte.