George Onslow

Der französische Beethoven

Eine Brille liegt mit einem Etui und handschriftlichen Notizen auf einem Notenblatt.
"Onslow vereint mit Beethoven die Leidenschaft für Streichquartette und allgemein für Kammermusik." © imago / Gerhard Leber
Von Philipp Quiring  · 23.06.2015
Er gilt als einer der wichtigsten französischen Komponisten für Kammermusik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, obwohl er nicht nach der damaligen Mode ging: Während in Frankreich damals leichte Instrumentalstücke, Arrangements, Potpourris und Variationen gehört wurden, orientierte sich George Onslow an den Wiener Klassikern, insbesondere an Beethoven.
"Ich lernte Onslow kennen, als ich Student am 'Conservatoire' war, ich war so 18 bis 20 Jahre alt. Damals war ich noch kein Musikwissenschaftler, eher ein sehr aktiver Musiker. Ich habe Streichquartette von Onslow gespielt, den Alto-Part und fand, dass es sehr schöne Musik war, allerdings sehr schwer zu spielen, selbst nachdem ich die Noten gelernt hatte. Das war meine erste Berührung mit Onslow. Ich bekam einen Einblick ins Innere seiner Musik, bevor ich begann den Menschen und sein Leben zu erforschen."
Der Musikwissenschaftler Alexandre Dratwicki über seinen ersten Kontakt mit der Musik eines Komponisten, die für Ihn zu einer erfüllenden Lebensaufgabe wurde: der Musik von George Onslow. Alexandre Dratwicki ist der wissenschaftliche Leiter des "Palazzetto Bru Zane", eines Instituts das von der Französin Madame Bru in Venedig gegründet wurde und seit 2009 ein Ziel verfolgt: die Erforschung und Aufführung romantisch französischer Musik. Jährlich steht ein weitestgehend vergessener französischer Komponist im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieses Jahr ist es George Onslow.
Insbesondere als Kammermusikkomponist machte sich George Onslow einen Namen. Der Sohn des englischen Adligen Edward Onslow komponierte u.a. zehn Klaviertrios, 34 Streichquintette und 36 Streichquartette.
"Onslow vereint mit Beethoven die Leidenschaft für Streichquartette und allgemein für Kammermusik. Der große Unterschied ist nur, dass Beethoven bis zum Ende seines Lebens immer weiter experimentierte. Onslow hat hingegen von 1825-1830 an immer so weitergemacht wie zuvor. Er hat in seinen letzten Streichquartetten nichts von dem gemacht, was Beethoven etwa in seinen letzten Quartetten gemacht hat."
Onslow ertaubte - wie Beethoven
Dennoch wurde George Onslow respektvoll als "der französische Beethoven" bezeichnet. Wie bei Beethoven stand auch bei Onslow die Form im Vordergrund seiner Arbeit, um in ihr harmonische Fortschreitungen modulierend zu entwickeln. Zudem ertaubte Onslow ebenfalls, allerdings "spektakulärer" als Beethoven.
1829: George Onslow arbeitete in seinem Schloss in der Auvergne in Clermont-Ferrand an einem Quintett. Kurz nachdem er den ersten Satz beendet hatte, ging er auf die Jagd. Onslow wurde von einer verirrten Gewehrkugel am Ohr verletzt. Man befürchtete, dass er sterben würde. Doch: er überlebte! Die Kugel blieb für den Rest seines Lebens im Hals stecken. Er ertaubte beinahe vollständig.
"Und komponiert weiter an seinem Quintett. Er nennt es 'L'accident de chasse' – 'Jagdunfall', in einigen Ausgaben heißt es dann 'Le quintet de la balle' – 'Das Kugelquintett'. Alle Sätze, die er nach dem ersten komponiert, bekommen Namen: 'Schmerz', 'Genesung' und 'Heilung'. Er gibt seinem Stück Titel, als Berlioz gerade an seiner "Sinfonie fantastique' arbeitet, die ja auch Titel hat. Das ist eine der großen Neuheiten dieser Epoche."
Was Onslow außerdem mit Beethoven gemein hatte: das "Problem" Oper! Ähnlich wie Beethoven tat auch Onslow sich mit dieser Gattung sehr schwer. Vier Opern komponierte Onslow immerhin. Doch zu einer Zeit, als es gerade in Frankreich wichtig für die Karriere war, in der Gattung Oper Erfolg zu haben, wollte sich dieser bei ihm nicht einstellen.
"Er versuchte sich unheimlich früh daran. Komponierte Opern im Alter von 18/20 Jahren und wartete. Er versuchte erfolgreich zu sein, schrieb Opern, um in die 'Académie des Beaux-Arts' aufgenommen zu werden. Das Problem war nur, dass Onslow in seinen Opern zu instrumental arbeitete und zu wenig die Gesangspartien ausarbeitete. Das war auch 1837 die Kritik, dass das Publikum nach jedem Orchestereinschub Schiffbruch erleide, weil das Orchester zu sinfonisch sei, so instrumentiert, dass es den Gesang zerstöre und der sei noch nicht mal gut geschrieben."
Ob in absehbarer Zeit eine seiner Opern produziert wird, ist unwahrscheinlich. Zumindest seine Kammermusikwerke erleben zurzeit eine Renaissance. Streichquartett-Ensembles wie das "Quatour Ruggieri" oder das "Quatour Diotima" setzen sich vermehrt für Onslows musikalisches Erbe ein.
Und auch seine Cello-Klavier Werke konnten eingespielt werden, mit denen Onslow einst mit der französischen Tradition der Klaviersonaten mit Begleitung brach. Ähnlich wie Beethoven bemühte sich Onslow bei seinen drei Cello-Klaviersonaten um eine möglichst ausgewogene Rollenverteilung der Instrumente.
Mit der Arbeit des "Palazetto Bru Zane" und der von Alexandre Dratwicki, geraten französische Komponisten wie Boëly, Alkan und Gouvy zunehmend aus der Vergessenheit. Für George Onslow, für eine der "wertvollsten musikalischen Größen Frankreichs!" – wie es einst Berlioz ausdrückte – hat Dratwicki noch einen gesonderten Wunsch.
"Ich wünsche mir in 20 Jahren zurückblicken zu können und sagen zu können: 'Voilà' – die komplette Musik von Onslow wurde eingespielt! Das wäre wirklich fantastisch, aber auch wirklich notwendig für die französisch-romantische Musik. Das braucht natürlich seine Zeit, aber in 20 bis 30 Jahren werden wir alle Quartette und Quintette eingespielt haben, weil es wirklich tolle Stücke sind, die es einfach verdient haben!"
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