Gentests

Fortschritt oder Fluch?

Von Stephanie Kowalewski · 08.02.2014
Seit Kurzem können Schwangere auch ohne Fruchtwasseruntersuchung erfahren, ob ihr Kind eine genetische Veränderung hat. Mit dem risikolosen Bluttest könnte die Zahl von Abtreibungen steigen. Mediziner kritisieren vor allem, dass Schwangere vor einem solchen Test zu wenig beraten werden.
"Eine zunehmende Zahl von Schwangeren möchte gerne viel über die genetischen Eigenschaften ihres Kindes erfahren."
Peter Kozlowski, Gynäkologe in einer Düsseldorfer Praxis, die sich ausschließlich mit Prenatalmedizin und Genetik beschäftigt.
"Die ganze Prenataldiagnostik, die nach Behinderungen sucht, da geht es immer, wenn man das so nennen will, um Selektion."
Dorothee Kleinschmidt, Ärztin und Sprecherin des medizinischen Arbeitskreises Pro familia NRW.
"Wenn wir entschieden haben, die Betroffenen dürfen die Entscheidung treffen, dann kann man doch nicht argumentieren, dass sie das aber nicht so richtig dürfen, weil es jetzt so einen risikoarmen Test gibt."
Jochen Vollmann, Direktor des Instituts für medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universitär Bochum.
Bei der Diskussion um den so genanten Praenatest gibt es viele Fragen und keine einfachen Antworten. Einerseits ist der Test eine medizintechnische Revolution. Noch nie konnten Eltern durch eine einfache Blutprobe der Mutter erfahren, ob bei ihrem ungeborenen Kind das Chromosom 21 drei- statt zweimal vorkommt, es also eine Trisomie 21 hat, das Down-Syndrom. Andererseits befürchten Experten, dass gerade das geringe Risiko des Praenatests zu mehr Abtreibungen führen könnte.
Der Prenatalmediziner Peter Kozlowski bietet seinen schwangeren Patientinnen den Test an:
"Diese Tests beruhen darauf, dass sich im Blut jedes Menschen ganz viele kleinste Stückchen der Erbsubstanz befinden. Und im Blut einer Schwangeren sind etwa zehn Prozent dieser kleinen Stückchen der Erbsubstanz kindlichen Ursprungs."
Keine Garantie für ein gesundes Kind
Inzwischen ist es möglich, die winzigen Stückchen der kindlichen Erbsubstanz aus dem mütterlichen Blut zu isolieren. Damit kann über eine harmlose Blutabnahme bei der Mutter ein fetaler DNA-Test durchgeführt werden.
Kozlowski: "Diese fetalen DNA-Tests können im Prinzip die gesamten genetischen Eigenschaften eines Menschen austesten. Nur ist das im Moment noch zu aufwendig."
Deshalb gibt es aktuell auf dem deutschen Markt solche Bluttests, mit denen ab der zehnten Schwangerschaftswoche auf Trisomien der Chromosomen 13, 18 und 21 getestet werden kann. Alles genetische Veränderungen die weder behandelt noch geheilt werden können. Das Blut selber wird dann je nach Anbieter in Laboren in Californien (USA) oder in Konstanz am Bodensee analysiert. Das Ergebnis liegt nach acht bis 14 Tagen vor.
Peter Kozlowski führt die Blutabnahme aber erst nach einem intensiven Beratungsgespräch und nach einer unauffälligen Ultraschalluntersuchung des Fetus durch. Denn diejenigen, die im Ultraschall ein ungewöhnliches Wachstum oder eine Fehlbildung von Organen zeigen, brauchen eine aussagekräftigere Methode, als den bloßen Bluttest auf Trisomien. Der Down-Syndrom-Bluttest ist aber mit einer Trefferquote von rund 98 Prozent sehr sicher. Doch eine Garantie für ein gesundes Kind ist er nicht, betont der Gynäkologe:
"Jede Frau muss eben ganau darüber aufgeklärt werden, dass etwa eines von hundert betroffenen Kindern nicht erkannt wird. Und dass von 1000 auffälligen Befunden, zwei Befunde falsch sind."
Downsyndrom hat viele Ausprägungen
Ergibt der Test, dass das Down-Syndrom vorliegt, wird zur Sicherheit auch noch eine der beiden klassischen Untersuchungen gemacht, also eine Fruchtwasserentnahme oder eine Gewebeprobe des Mutterkuchens. Vor dem Bluttest waren diese Methoden die einzige Möglichkeit um herauszufinden, ob das ungeborene Kind Trisomie 21 hat. Beide Untersuchungen sind für den Embryo nicht ungefährlich. Sie können zu Fehlgeburten führen. Deshalb haben sich viele Frauen diese risikoreiche und unangenehme Untersuchung bisher sehr genau überlegt. Insofern sei der harmlose Bluttest schon positiv, meint der Medizinethiker und Arzt Jochen Vollmann:
"Es ist ein Fortschritt, weil es weniger Nebenwirkungen hat, aber es ist nur ein Forschritt wenn die Informationen und die Aufklärung genauso schnell wachsen wie technische Investitionen und Machbarkeiten des Tests selber. Sonst wird er den Betroffenen nicht helfen, sondern sie werden sich nur unter Druck gesetzt fühlen, diesen Test zu machen."
Arzt, Medizinethiker und Familienberaterin sind sich einig, dass eine intensive Beratung und Aufklärung das A und O bei einem genetisch-vorgeburtlichen Test sind, denn viele wissen gar nicht, was ein Leben mit Down-Syndrom überhaupt bedeutet, sagt Dorothee Kleinschmidt von Pro familia in Bochum.
"Das ist ja das, was fehlt, die Auseinandersetzung davor. Will ich das eigentlich, will ich das nicht, kann ich mir das vorstellen. Ich kenne viele Frauen, die sich entscheiden zu den Untersuchungen, die noch nie ein Kind mit Down-Syndrom erlebt haben. Und wenn sie dann vor so einer Diagnose stehen, sich dann noch mal intensiv damit beschäftigen, was heißt das eigentlich."
Zu wenig Geld und Zeit für Beratung
Eine allgemeine Antwort darauf gibt es nicht. Ein Kind mit Down-Syndrom ist für wohl alle Eltern eine Herausforderung. Sie brauchen mehr Unterstützung und Förderung als nicht beeinträchtigte Kinder, aber die meisten können als Erwachsene ein selbstbestimmtes Leben führen. Menschen mit Down-Syndrom können ein Pfegefall sein oder - wie ein Betroffener in Spanien - Professor an einer Uni.
Kleinschmidt:"Und das kann man auch nach einem Test nicht unterscheiden. Man kann bei dem Test nicht sagen, ja, das ist eine schwere Beeinträchtigung oder eine weniger schwere. Man wird dann im Ultraschall gucken, gibt es noch organische Einschränkungen, Fehlbildungen von Darm oder Herz. Aber über die geistige Beeinträchtigung kann ich nichts aussagen."
Doch gerade an der ausführlichen Aufklärung hapert es häufig – auch heute schon. Die beratende Medizin wird einfach nicht angemessen bezahlt, meint der Direktor des Instituts für medizinische Ethik an der Ruhr-Universität Bochum:
"Wir investieren nicht angemessen in Relation zum technischen Fortschritt in Beratung, in Unterstützungsleistungen und das wird leider noch getrieben durch das Effizienzdenken. Sie können Beratung nicht effizienter machen. Sie brauchen da eine halbe, eine dreiviertel Stunde. Und dort haben wir in unserem Gesundheitswesen einen Mangel."
Während die schlecht bezahlte Beratung dem Arzt überlassen bleibt, verdient der Hersteller an dem Test sehr gut. Denn pro Blutanalyse muss die Schwangere je nach Anbieter zwischen 500 und knapp 1.200 Euro aus der eigenen Tasche zahlen. Dazu kommt noch das Honorar für den Arzt, das bei rund 200 bis 300 Euro liegt. Das kann sich nicht jeder leisten. Auch das ist ethisch äußerst bedenklich und ungerecht findet Dorothee Kleinschmidt, die bei Pro familia Schwangere berät:
"Also wir von Pro Familia sind eher für eine Kassenleistung mit einer wirklich guten Beratung vorher. Also die Kassenleistung, die besteht für die Fruchtwasserpunktion, das sind ähnliche Preise, und da ist ein Fehlgeburtsrisiko dabei. Warum sollte die Frau nicht selbstbestimmt sagen, das will ich nicht eingehen. Ich will nur diesen Test machen."
Positiver Test führt fast immer zur Abtreibung
Auch der Prenatalmediziner aus Düsseldorf und der Medizinethiker aus Bochum sind überzeugt, dass der fetale-DNA-Bluttest über kurz oder lang eine Kassenleistung wird. Doch auch das löst neue Bedenken aus: Sollte die Krankenkasse sich wirklich daran beteiligen, die Geburt von Menschen mit einer ganz bestimmten, in den allermeisten Fällen nicht lebensbedrohlichen Beeinträchtigung, zu verhindern? Immerhin entscheiden sich mehr als 90 Prozent der Mütter bei einem positivem Test für eine Abtreibung.
"Aus medizinethischer Sicht ist das gar nicht so einfach zu erklären",
räumt Jochen Vollmann ein….
"Denn aufgrund medizinischen Fortschritts ist ja die gesundheitliche Versorgung der Kinder, und aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung können wir jetzt auch sagen Erwachsenen mit Down-Syndrom, deutlich besser geworden. Die Sonderpädagogische Förderung, die Infrastruktur, Integrationsmöglichkeiten – deutlich besser geworden. Sicherlich gibt es auch nicht mehr dieses Tabu wie in den 50er-, 60er-Jahren, mit einem behinderten Kind über die Straße zu gehen. Und trotz dieser ganzen objektiven Verbesserungen entscheiden sich die Menschen heute anders, so dass ein Kind mit Down-Syndrom zu einer großen Seltenheit geworden ist."
Die Familientherapeutin Dorothee Kleinschmidt trifft in ihrer Beratung immer wieder Frauen, die sich bewußt gegen einen Test auf Trisomie 21 entscheiden. Sie plädiert dringend dafür, dass die Frauen auch in Zukunft ein Recht auf Nichtwissen haben. Doch sie spürt auch den latent wachsenden Druck auf die Schwangeren, möglichst kein behindertes Kind zur Welt zur bringen. Der risikofreie Bluttest, fürchtet sie, beschleunigt das noch.
"Es wird dadurch auch einfacher und selbstverständlicher. Es wird vielleicht dazu führen, dass man sich das weniger überlegt, selbstverständlicher hinnimmt. Mit 38 oder 40 musst du das doch machen. Stell dir vor, du kriegst ein behindertes Kind. Der gesellschftliche Druck steigt, indem so vorausgesetzt wird, das kann man ja vermeiden."
Viel weitgehendere Tests in den USA
Wie sie gehen viele Experten davon aus, dass es in Zukunft immer weniger Menschen mit Down-Syndrom in unserer Gesellschaft geben wird. Vieles deutet darauf hin, vor allem, wenn der Blutgentest tatsächlich eine kassenfinanzierte Routineuntersuchung wird. Schließlich hat es so eine Art Rasterfahndung nach einer bestimmten Beeinträchtigung, die offenbar den allermeisten Eltern große Angst bereitet, in der Medizin bislang noch nicht gegeben. Und die Trisomie 21 ist erst der Anfang, sagt Dorothee Kleinschmidt:
"Noch bedenklicher sind Untersuchungen, die in den USA auch schon angeboten werden, wo schon auf 40 Eigenschaften untersucht wird. Da sind dann auch Sachen bei, die vielleicht gar keinen Krankheitswert für das Kind haben. Und da finde ich eine Grenzziehung total wichtig. Also ich kann vor einem Test nicht über 40 Erkrankungen beraten. Das geht nicht."
Doch trotz all diese Überlegungen, Fragen und Bedenken werden solche fetalen-DNA-Analysen zunehmen. Weltweit zählt der Bluttest auf Trisomie 21 schon jetzt zu den wichtigsten Test bei Schwangeren. Und sie werden auch über das Internet zu bestellen sein, von den Schwangeren direkt. Ganz ohne einen Arzt und eine Beratung. Denn solche Tests brauchen keine besondere Zulassung. Sie gelten als Medizinprodukt. Um sie auf den Markt zu bringen reicht eine CE-Zertifizierung.
Bei aller Sorge und Vorsicht, sollten werdende Eltern aber daran denken, dass die allermeisten Kinder gesund geboren werden. Und auch von den Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben, sind die wenigsten mit einem Handicap zur Welt gekommen – nämlich nur vier Prozent. Die meisten Behinderungen entstehen also im Laufe des Lebens.
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