Genter Altar

Irrwege eines Kunstwerks

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Carl Schulz, Adam und Eva, Kopien nach dem Genter Altar, um 1825/62, Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt
Von Eva Hepper · 03.09.2014
Er wurde auseinander gerissen, in den Glockenturm gezogen, verkauft, zurückgewonnen, gestohlen und wieder gefunden: Der Genter Altar hat eine atemberaubende Geschichte wie kaum ein Kunstwerk in Europa.
Als 1789 die Französische Revolution ausbrach, standen die Tafeln des großen Flügelaltars in Gent in der Kathedrale St. Bavo. Fünf Jahre später, 1794, wurden die farbgewaltigen Mitteltafeln von französischen Truppen annektiert. Stephan Kemperdick, Kurator der Berliner Gemäldegalerie und einer der profiliertesten Kenner altniederländischer Malerei, erklärt warum:
"Nicht, weil man den so unglaublich hoch geschätzt hätte, sondern weil das ein historisch bekanntes Stück ist. Der wurde als Antiquität ganz offensichtlich gesucht, als ein historisches Zeugnis einer längst vergangenen Epoche. Und die Franzosen haben bei der Gelegenheit alle vier Mitteltafeln mitgenommen, aber keinen einzigen Flügel. Und das ist ja doch einigermaßen erstaunlich, dass sie die Flügel unbeachtet gelassen haben. Und die plausibelste Erklärung ist die, dass sie nicht erkannt haben, dass die Flügel dazugehören."
Begehrter Publikumsmagnet
Der Genter Altar auseinandergerissen und nur noch eine Antiquität. Die Stifter, die wohlhabenden Patrizier Joos Vijd und seine Ehefrau Elisabeth Borluut, hätten sich vermutlich im Grabe umgedreht. Denn seit seiner Fertigstellung 1432 hatte der Flügelaltar ihren Ruhm immens gemehrt – und zwar als Kunstwerk. Von Beginn an war er ein Publikumsmagnet. Vor allem die Künstler, allen voran Konrad Witz und Albrecht Dürer, pilgerten in Scharen nach Gent. Über 130 Jahre lang. Bis 1566 der erste Bildersturm losbrach. Seine ganze zerstörerische Energie galt den Ausstattungen von Kirchen und Klöstern. In den Fokus rückte auch die Kathedrale St. Bavo.
"Das waren größere Gruppen, denen man sehr schlecht Widerstand entgegensetzen konnte, aber bei den damals sehr langsamen Transportmitteln, die sind ja zu Fuß gegangen, wusste man vorher, dass die kamen, und die kamen im August 1566 Richtung Gent, man hat davon erfahren, hat das rentabel dann zusammengeschnürt und in den Glockenturm hochgezogen. Das ist gar nicht so leicht, so etwas zu machen, denn das ganze Ding wiegt ja wahrscheinlich eine Tonne. Mindestens. Sie müssen diesen ganzen klapprigen Apparat zusammenklappen und da aus der Kapelle raustragen. Das muss ja alles mit Menschenkraft geschehen sein und in den Glockenturm hochgezogen, und die Bilderstürmer haben es da nicht gefunden."
Adam und Eva wurden im 17. Jahrhundert bedeckt
Nach den Bilderstürmen des 16. Jahrhunderts war es 200 Jahre lang vergleichsweise ruhig in der Kathedrale St. Bavo. Lediglich Adam und Eva mussten im 17. Jahrhundert überarbeitet werden. Ihre Nacktheit wurde schamhaft mit einem Fellrock bedeckt. Doch Schlimmeres geschah bis zur Annektierung durch die Franzosen nicht. Und auch diese währte nicht lange. 1816 – Napoleon war in Waterloo untergegangen – kam der Genter Altar wieder nach Hause. Doch kaum installiert, war es nun die Kirchengemeinde selbst, die ihn auseinanderriss. Von Geldnot bedroht, verkaufte sie sechs Flügel. Die kamen schließlich nach Berlin, als der preußische Staat sie mit der Sammlung Solly erwarb. Von 1830 an, mit der Eröffnung des Berliner Museums, wurden sie hier gefeiert – allerdings war man lange nicht zufrieden mit der Präsentation der beidseitig bemalten Tafeln:
"Dann hat man sich zu einer wirklich ziemlich drastischen und radikalen Maßnahme entschieden: dass die Tafeln gespalten werden. Das ist natürlich ein gewaltiger Eingriff, auch nicht ohne Risiko, die sind vielleicht ein Zentimeter starkes Eichenholz, und die wurden dann mit einer Furniersäge in zwei Hälften geschnitten. Und jetzt muss man wissen: Solche alten Tafeln neigen häufig dazu, leicht verwölbt zu sein. Dass die Bretter sich gegeneinander bewegen. Wenn so etwas im starken Maße der Fall ist, ist man natürlich beim Durchsägen sofort in der Malschicht drin, das war beim Genter Altar zum Glück nicht der Fall.“
Eine Tafel bleibt verschwunden
Das Stifterehepaar hat sich vermutlich ein weiteres Mal im Grabe gedreht, doch in Berlin hielt man die Lösung für geglückt. Sie hielt immerhin 100 Jahre, bis Deutschland den Ersten Weltkrieg verlor und den Genter Altar abgegeben musste, als Teil der Reparationszahlungen an Belgien. So stand das Kunstwerk 1926 erneut in Gent. Bis 1934. Dann wurden zwei Tafeln aus der Kirche geklaut. Eine ist bis heute nicht aufgetaucht. Dann kamen die Nationalsozialisten. 1940, mit dem Überfall deutscher Truppen auf Belgien. Schnell versuchten die Belgier, den Altar vor dem Zugriff der Wehrmacht zu retten und verfrachteten die Tafeln Richtung Südfrankreich.
"Das ist natürlich jetzt nach dem Bildersturm von 1566 die größte Gefährdung, der der Altar je ausgesetzt war. Denn dieser Lastwagen, der die Tafeln transportierte, muss zwischen den Linien der Wehrmacht und der Alliierten durchgefahren sein. Das wussten die natürlich nicht. Man konnte ja nicht wissen, wo sich die feindlichen Heere befinden. Aber die fahren just durch dieses gesamte Gebiet von Nordfrankreich, als dort der sogenannte Blitzkrieg tobt."
Die Tafeln erreichten ihr Ziel unversehrt: Pau in Südfrankreich. Aber die deutschen Truppen eroberten bekanntlich auch Frankreich und ließen den Altar 1942 abtransportieren, in den Stollen nach Altaussee in Österreich, gemeinsam mit anderen Kunstwerken. Endziel: das „Führermuseum“ in Linz. Noch am 8. Mai 1945, am Tag der Befreiung, wurde der Altar dort von den amerikanischen Momument Men geborgen, im November 1945 war er wieder in Gent. Heute steht er dort, hoch gesichert, hinter Panzerglas und wird restauriert.