Genossenschaft will Berliner Stromnetz übernehmen

Cornelia Ziehm im Gespräch mit Susanne Führer · 25.04.2012
Bis Ende 2014 betreibt der Konzern Vattenfall das Berliner Stromnetz. Für die Zeit danach will sich die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin bewerben, wie Aufsichtsrätin Cornelia Ziehm erklärt. Das Stromnetz in der Hauptstadt gehöre in die Hände der Berlinerinnen und Berliner.
Susanne Führer: Früher einmal, da gehörte das Stromnetz in Berlin wie auch in anderen Städten der Stadt selbst – also in diesem Fall muss es heißen: dem Land Berlin –, dann aber erlag auch Berlin dem Sog der Privatisierung und verkaufte nicht nur Wohnungen, auch Wasserbetriebe und eben das Stromnetz.

Heute gehören die 40.000 Kilometer Kabel dem Konzern Vattenfall, aber der Vertrag zum Betrieb des Netzes läuft 2014 aus und muss neu ausgeschrieben werden. Einer der Bewerber ist die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin. Cornelia Ziehm sitzt dort im Aufsichtsrat, außerdem ist sie Rechtsanwältin und Rechtsexpertin der Deutschen Umwelthilfe. Guten Morgen, Frau Ziehm!

Cornelia Ziehm: Guten Morgen!

Führer: Warum wollen Sie mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern das Berliner Stromnetz kaufen?

Ziehm: Wir sind der Auffassung, dass sehr viel von Bürgerbeteiligung und Energiewende die Rede ist zurzeit, aber wenn man genau hinguckt, passiert doch relativ wenig. Und wir wollen damit Ernst machen, wir nehmen die Bürgerbeteiligung ernst bei der Energieversorgung, und wir meinen auch, dass man die Energieversorgung nicht den vier großen Konzernen alleine überlassen sollte. Wir denken, das Stromnetz in Berlin gehört in die Hände der Berlinerinnen und Berliner. Deswegen haben wir diese Genossenschaft gegründet, und deswegen versuchen wir, das Netz zu übernehmen.

Führer: Gibt es Vorbilder dafür? Es klingt ja doch erst mal sehr gewagt, also ich meine, Berlin, eine Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern.

Ziehm: Es ist gewagt, es ist eine Herausforderung, dessen sind wir uns auch bewusst, aber es gibt Vorbilder. Wenn Sie beispielsweise in den Schwarzwald gucken, EWS Schönau, die Elektrizitätswerke Schönau, die haben das gemacht – das ist ein Beispiel. Es gibt andere, das ...

Führer: Schönau hat 2400 Einwohner, ich habe vorhin extra noch mal geguckt.

Ziehm: Da haben Sie recht, es ist ein kleinerer Maßstab, das ist so. Gleichwohl wurde da natürlich in diesen und ähnlichen Projekten Erfahrung gesammelt mit dem Netzbetrieb. Und das lässt sich natürlich auch verwenden oder darauf zurückgreifen, was wir in Berlin machen wollen. Es ist eine Herausforderung, dessen sind wir uns bewusst, das ist ganz klar. Wir sehen aber auch, wenn es in Berlin gelingt, wird davon ein unheimliches Zeichen für die Energieversorgung in ganz Deutschland ausgehen.

Führer: Wir sollten vielleicht einmal klarstellen, dass das Stromnetz nichts mit dem Stromlieferanten zu tun hat.

Ziehm: Genau.

Führer: Also auch wenn man zurzeit in Berlin – ich weiß auch nicht, was – Ökostrom oder was auch immer bezieht, das Stromnetz gehört zurzeit Vattenfall. Was wollen Sie denn dann mit dem Stromnetz anfangen, Frau Ziehm, wenn Ihnen das dann nun gehört?

Ziehm: Wir wollen natürlich die Stromversorgung in Berlin sicherstellen, das ist die oberste Priorität, eine sichere Versorgung der Berlinerinnen und Berliner, das ist klar. Wir wollen aber auch die Energiewende vorantreiben, das heißt, Gewinne oder ein Teil der Gewinne wollen wir in Projekte der Energiewende investieren, das heißt, in erneuerbare Energieprojekte oder in Effizienzprojekte, und wir wollen auch das Netz als solches fit machen. Es ist viel die Rede von intelligenten Netzen, die es braucht für die Energiewende, und das wollen wir auch vorantreiben, und wir glauben auch, dass das nur möglich ist, wenn man sich tatsächlich diesem Gedanken, dass wir hin zu erneuerbaren Energien wollen, verpflichtet fühlt. Und das sehen wir bei dem gegenwärtigen Betreiber des Berliner Netzes nicht.

Führer: Na ja, nun muss man sagen, dass Erneuerbare-Energien-Gesetz gilt für alle, auch für Vattenfall.

Ziehm: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat zunächst nur damit zu tun, dass eingespeist werden muss der Strom aus erneuerbaren Energien, aber intelligente Netze bedeutet ja viel mehr, das heißt beispielsweise, dass es zu einem Datenaustausch zwischen den Nutzern und dem Betreiber des Netzes kommen muss. Beispielsweise, dass man Anreize setzt, wann Strom besonders viel im Angebot ist, dass ich dann Strom abnehme und in Zeiten, wo weniger ist, dass ich dann vielleicht da drauf verzichte, die Waschmaschine anzustellen.

Und das ist die Idee der Zukunft, dazu braucht es aber natürlich einen gewissen Datenaustausch und Abstimmung zwischen dem Netzbetreiber und den Nutzern. Das heißt also, zwischen den privaten Haushalten, aber auch der Industrie. Einzelne Projekte gibt es in Deutschland dazu schon, aber das sind Ideen, die muss man vorantreiben, und da sind wir willens dazu, dass dann auch zu tun.

Führer: Sie sagen immer wir, wer ist denn wir? Wie viele sind Sie denn bisher?

Ziehm: Wir, das ist die Bürgerenergie Berlin, eine Genossenschaft. Wir befinden uns bislang in Gründung. Ab heute, beziehungsweise schon seit einigen Wochen kann jeder Berliner und jede Berlinerin Genosse werden, aber wir werben natürlich auch in Brandenburg und bundesweit.

Führer: Und wie viele sind Sie nun bisher?

Ziehm: Ich habe die genaue Zahl gar nicht im Kopf.

Führer: Na, so über den Daumen, sind es Zehn-, Hunderttausend?

Ziehm: Im Moment ist es im zweistelligen Bereich, das hat aber auch damit zu tun, dass man bislang nur Genosse werden konnte, wenn man auf der Gründungsurkunde unterschreiben konnte – das war etwas schwierig. Ab heute ist es möglich, diese Anträge übers Internet auszufüllen.

Führer: Und wie viel muss man dann aufbringen, um bei Ihnen Genossin oder Genosse zu werden?

Ziehm: Ein Genossenschaftsanteil kostet 100 Euro, wobei wir es bevorzugen, wenn jeder mindestens fünf Genossenschaftsanteile kaufen würde. Das hat einfach damit zu tun, dass der Verwaltungsaufwand, die Kontenverwaltung und so, natürlich einen Aufwand mit sich bringt, und der braucht natürlich auch ein gewisses Kapital. Und deswegen sagen wir, es wäre schön, wenn jeder 500 Euro Anteile kaufen würde, wenn es der Geldbeutel aber nicht hergibt, dann geht es auch mit 100 Euro.

Führer: Cornelia Ziehm ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über die Pläne der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, das Berliner Stromnetz zu kaufen. Sie haben vorhin von Gewinnen gesprochen, Frau Ziehm. Warum sind Sie denn so sicher, dass es Gewinne geben wird?

Ziehm: Wir schauen uns natürlich an, was Netzbetreiber in Deutschland ansonsten für Gewinne, beziehungsweise wie dort die wirtschaftliche Lage ist. Und wenn sie dort den Durchschnitt nehmen, dann ist es so, dass der Netzbetrieb in der Regel mit einer Rendite von sechs bis neun Prozent einhergeht. Selbst wenn es etwas weniger sein sollte, wäre es noch eine sichere Geldanlage.

Und wenn Sie sich die Zahlen jetzt auch ganz konkret von Vattenfall in den vergangenen Jahren angucken, ist es so, dass Vattenfall immer Gewinn im zweistelligen Millionenbereich gemacht hat. Wir wissen natürlich jetzt nicht konkret, wie der Zustand des Netzes ist, deswegen kann ich Ihnen auch keine genaue Gewinnprognose machen – das kann zurzeit niemand –, aber ...

Führer: Das wissen Sie nicht? Es könnte ja sein, dass es einen enormen Investitionsrückstand gibt.

Ziehm: Das hat Vattenfall bislang nicht öffentlich gemacht, wie der Zustand des Netzes ist, das muss man sich natürlich anschauen. Wir schließen aber natürlich aus diesen Zahlen der Vergangenheit, wie es in der Zukunft sein könnte und hoffentlich sein wird.

Führer: Ich kann mir ja vorstellen, dass sich die meisten Berlinerinnen und Berliner wünschen, dass eine Sache mit den Gewinnen passiert, nämlich dass der Strom billiger wird.

Ziehm: Also der Betrieb des Stromnetzes ist jetzt ein Teil des Strompreises. Aber der Netzbetreiber legt nicht den Strompreis fest. Das ist wieder der Stromversorger, und natürlich ist es so, dass Netzentgelte da einen Teil ausmachen, und da würden wir versuchen, sicherlich auch einen Teil dazu beizutragen. Aber der Netzbetreiber legt nicht den Strompreis fest.

Führer: Kann denn nun in Ihrer Genossenschaft jeder mitmachen?

Ziehm: Es kann jeder mitmachen, und es ist auch jeder ...

Führer: Also auch ein Münchner oder eine Frankfurterin?

Ziehm: Ja, absolut, und jeder ist auch herzlich eingeladen mitzumachen.

Führer: Das verstehe ich nicht, weil Sie ja sagen, das Berliner Stromnetz soll den Berlinerinnen und Berlinern gehören. Aber wenn jetzt – ich weiß auch nicht was – Menschen aus Dresden und München das kaufen, dann verstehe ich nicht, wieso Sie jetzt sagen, da kann jetzt jeder mitmachen.

Ziehm: Wir richten uns natürlich zunächst an die Berlinerinnen und Berliner, aber was ich eingangs sagte, uns ist wichtig, dass wir Ernst machen mit der Bürgerbeteiligung bei der Energieversorgung. Und da liegt es uns natürlich dran, niemanden auszuschließen, und jeder der Lust hat, sich an wirklich solchen Projekten zu beteiligen, ist herzlich eingeladen, dabei zu sein. Und es ist einfach auch, beziehungsweise das ist unser Wunsch und auch unsere Erwartung, dass es eine sichere Geldanlage ist, und von daher ist es, denke ich, auch reizvoll, sich daran zu beteiligen.

Führer: Und wenn ich nun ganz viel Geld habe und nicht nur fünf Anteile à 100 Euro kaufe, sondern – ich weiß auch nicht, was – 10.000 oder so, hätte ich dann die Mehrheit in Ihrer Genossenschaft und kann alles bestimmen?

Ziehm: Die hätten Sie nicht, weil wir von diesem Prinzip ausgehen, dass jeder Genosse eine Stimme hat, egal, wie hoch seine Einlage ist. Aber Sie hätten dann natürlich höhere Renditeerwartungen, das ist ganz klar. Und Sie hätten zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch die Möglichkeit – Sie müssen nicht zwingend Genosse werden, sondern Sie könnten auch, wenn Sie gar kein Risiko eingehen wollen, das Geld gerne in vier-, fünfstelliger Höhe auf ein Treuhand-Konto einzahlen. Und wenn es zum Kauf kommen sollte durch die Genossenschaft, würde dieses Geld dann in einen Genossenschaftsanteil umgewandelt werden. Wenn es nicht klappt, dann würden Sie das Geld voll zurückbekommen.

Führer: Mir ging es jetzt gar nicht so sehr um eine Anlageberatung – ich danke trotzdem, Frau Ziehm –, sondern mir ging es eigentlich eher um die Frage, wie Sie sich davor schützen wollen, eben gekapert zu werden, entweder von Menschen mit viel Geld – das habe ich jetzt verstanden, es gibt da nicht mehr Stimmrechte, auch wenn man mehr Geld hat, man hat immer nur eine Stimme –, oder auch möglicherweise, es gibt ja vernetzte Gruppen, die dann sagen, komm, da treten wir jetzt mal alle ein und ziehen die in unsere Richtung, oder haben Sie vor so was gar keine Angst?

Ziehm: Sie können so was natürlich nie grundsätzlich ausschließen, aber wir sind da sehr zuversichtlich, dass die Stimmung zurzeit durchaus eine andere ist, und das kriegen Sie auch mit, wenn Sie mit den Leuten reden. Also von daher glaube ich, dass solche Initiativen nicht bestehen. Wir haben auch mit sämtlichen im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen bereits gesprochen, die ihre Offenheit gegenüber dem Projekt zum Ausdruck gebracht haben, und von daher bin ich da zuversichtlich, dass alle, die Genossen werden, dann auch an einem Strang ziehen werden.

Führer: Jetzt frage ich mich noch eins – können Sie das überhaupt? Ich meine, Sie sind Rechtsanwältin, und so ein Stromnetz braucht doch vielleicht ein paar Ingenieure und sonstige Fachkräfte. Wie soll das dann – also ich meine, die Stromversorgung Berlins steht auf dem Spiel, das ist ja nicht ohne.

Ziehm: Ich kann das nicht, das ist ganz klar, das wissen wir aber auch. Also es bedarf dieses technischen Sachverstandes, das ist logisch. Deswegen ist es aber auch so – und das ist kein Einzelfall –, wenn es zu einer Übernahme des Netzes durch einen neuen Betreiber kommt, wird in der Regel das Personal des alten Betreibers oder ein Teil des Personals des alten Betreibers übernommen, wo eben das technische Know-how vorhanden ist. Ohne das können wir das nicht, das ist selbstverständlich. Und wir sind natürlich in Gesprächen mit Kompetenz-Partnern, die wissen, wie man ein Netz betreibt, und dort schließen wir auch nicht grundsätzlich aus, dass man sich zusammenschließt und dass wir auf diese Art und Weise natürlich den technischen Sachverstand bekommen, den wir brauchen zum sicheren Betrieb des Netzes.

Führer: Sagt Cornelia Ziehm, Rechtsexpertin der Deutschen Umwelthilfe und Mitglied im Aufsichtsrat der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, die das Stromnetz Berlins kaufen will. Danke für Ihren Besuch, Frau Ziehm!

Ziehm: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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