Genforscher Gassen warnt vor billigen Gen-Tests im Internet

Moderation: Dieter Kassel · 24.01.2008
Der Genforscher Hans-Günter Gassen hat vor den Gefahren privater Billig-Gen-Tests gewarnt. Hier stehe weniger der medizinische Nutzen im Vordergrund, als vielmehr die Geschäftsidee, einen privaten Gentest mit der Suchmaschine Google zu verbinden, sagte Gassen. Er warnte davor, dass betreffende Unternehmen die Daten an die Pharmaindustrie weitergeben könnten.
Dieter Kassel: Am Telefon begrüße ich jetzt den deutschen Wissenschaftler Hans-Günter Gassen. Er war lange Zeit als Professor für Biochemie an der technischen Universität Darmstadt tätig und hat dort schon 1985 u.a. den Forschungsverbund "Angewandte Gentechnik" gegründet, ist auch Autor mehrerer Bücher zum Thema. Zurzeit ist er gerade in London, wo er für uns jetzt am Telefon sitzt. Guten Morgen, Herr Gassen!

Hans-Günter Gassen: Guten Morgen, Herr Kassel, und herzliche Grüße nach Berlin!

Kassel: Sie haben das vorhin auch am Ende des Beitrages gehört. Ein Kritikpunkt ist in diesen 999 Dollar, ist natürlich keine Beratung inbegriffen. Es wird einem nicht richtig erklärt, was dieses Ergebnis bedeutet. Ist das auch für Sie eines der großen Probleme so eines Tests?

Gassen: Es ist vordergründig eigentlich nur ein Problem, weil ja der Betroffene dann sieht, dass er irgendeine Abweichung gegen die Normalität hat. Und natürlich wird er dann zu seinem Arzt gehen, zu einem Genetiker gehen. Und er wird sich dann beraten lassen, was das nun bedeutet, ob das jetzt ursächlich dazu führt, dass er an dieser Krankheit, zum Beispiel an der Mukoviszidose oder Ähnlichem erkrankt, oder ob er nur ein erhöhtes Risiko hat. Sobald Ursächlichkeit vorliegt, ist es ja klar. Dann muss er sich behandeln lassen. Aber was machen wir aus zehn Prozent erhöhtem Risiko? Was soll das bedeuten für uns? Und in dem Beitrag ist ja schon angesprochen worden, Krankheiten entstehen aus der genetischen Veranlagung und aus Umweltkrankfaktoren. Und das ist oft sehr schwer voraussehbar.

Kassel: Aber ist das nicht wirklich eine Gefahr, wenn jetzt jemand in so einem Test sieht, bei mir gibt es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zum Beispiel, an Mukoviszidose zu erkranken oder einer anderen Erkrankung, deren Wahrscheinlichkeit in den Genen ablesbar ist? Dann sitzt doch jemand da und wartet regelrecht darauf, dass er endlich erkrankt. Ist es überhaupt sinnvoll, so etwas zu wissen?

Gassen: Ja, das hängt von dem Krankheitsbild ab. Sehen Sie, bei vielen Krankheiten können wir ja durchaus gegensteuern. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Zum Beispiel viele Kinder, Neugeborene, dürfen nicht mit Antibiotika behandelt werden, sonst werden sie taub. Und hier sind die Eltern zum Beispiel sehr gut beraten, wenn sie eine Analyse genau auf dieses Gen machen. Wenn es nämlich vorliegt, dürfen die Kinder nicht mit bestimmten Antibiotika behandelt werden. Und Taubheit ist ein Riesenrisiko. Also müssen wir das immer ein kleines bisschen von Fall zu Fall aufschlüsseln. Aber hier gibt es ja auch entsprechende Institutionen in Deutschland, Firmen und natürlich auch Universitäten.

Und Sie sehen ja, dass das alles ein bisschen werbemäßig aufgemacht ist mit der Spucke. Aus Spucke können Sie keine DNA isolieren, sondern Sie müssen einen Schleimhautabstrich machen. Und so ist das eigentlich korrekter. Und Sie sehen, das ist werbemäßig aufgemacht.

Kassel: Wie ist es denn überhaupt, wenn mal vergleicht. Eine komplette Analyse, die man als Privatmensch jetzt nicht einfach so im Internet machen kann, aber die kostet zum Beispiel in den USA so ab 300.000 Euro. Das sind ja nun ganz andere Summen. Ein Test, der offenbar, das ist ein Wirtschaftsunternehmen, gewinnorientiert für 1.000 Dollar angeboten werden kann. Wie ernst ist denn so ein Ergebnis überhaupt zu nehmen, was da dann nachher drin steht? Inwieweit ist das denn überhaupt wahr?

Gassen: Herr Kassel, ich würde sagen, das ist absolut fantastisch. Und der Craig Venter, dieser große Unternehmer, der hat ja angefangen damit. Der hat sein eigenes Genom ins Internet gestellt. Und nun kommen natürlich zwei Dinge zusammen, nämlich einmal die Suchmaschine "Google", die wir ja alle benutzen, um irgendwas Interessantes oder weniger Interessantes zu finden. Und plötzlich kann ich in meinem eigenen Genom surfen. Das ist doch das Fantastische. Und wenn ich dann sage, ich möchte 1.000 Vergleichsgenome haben, zum Beispiel von berühmten Sportlern, dann gucke ich, was unterscheidet einen berühmten Sportler von meinem Genom?

Das ist im Augenblick weniger eigentlich der medizinische Aspekt. Der wird von diesem Unternehmen nach meiner Meinung schlechter gemacht als von deutschen Unternehmen. Aber die Geschäftsidee, nämlich die Suchmaschine "Google" mit dem menschlichen Genom mit seinen drei Milliarden Buchstaben zu verbinden, dass jeder mal nachgucken kann, was ist in meinem Genom eigentlich los. Das ist eine traumhafte Geschäftsidee! Ob dies ethisch zu verantworten ist, das ist eine ganz andere Frage.

Kassel: Aber interessant ist doch auch, Professor Gassen, wie Menschen offenbar damit umgehen. Denn das muss man ganz klar sagen: Wenn man diesen Test macht, diese 1.000 Dollar bezahlt, man kriegt das Ergebnis ja nicht zugeschickt, weder per Brief noch per E-Mail, sondern man kriegt ein Passwort. Und dann kann man das Ergebnis auf der Internetseite dieser Firma sehen. Und man kann natürlich mit Hilfe dieses Passwortes dafür sorgen, dass es kein anderer sieht. Man kann es aber auch freigeben. In den USA gibt es den Test schon länger. Und erstaunlich viele Leute tun das. Ist das nicht erstaunlich, wie leichtsinnig Leute mit solchen Informationen bereit sind umzugehen. Ist es eine Art Gesellschaftsspiel offenbar in Amerika inzwischen?

Gassen: Ja, das wird es bei uns ganz genauso werden. Aber es ist ja noch nicht mal das Freigeben das Schlimme. Sondern dieses Unternehmen wird die Daten natürlich in anonymer Form auch an Pharmaunternehmen weitergeben. Das kennen wir ja auch von diesen Internetdaten. Es wird gleichzeitig dem Einsender gesagt, okay, du kannst es freigeben, damit auch andere Leute das nutzen können oder so. Und in Wirklichkeit werden die Daten alle gespeichert. Und dann werden sie natürlich an die Pharmaunternehmen weitergegeben. Und dann wird es so sein: Die werden das hervorragend nutzen können, nämlich für diese individualisierte Medizin.

Wenn wir das aus sozialen oder ethischen Gesichtspunkten versuchen zu bewerten, dann ist das eben äußerst kritisch. Und Sie wissen ja auch, dass Frau Zypries sich bemüht im Grunde, das in Deutschland ein bisschen in Rechtsformen zu gießen, dass der Wildwuchs nicht so schnell weitergeht.

Kassel: Nun sind die Pharmaunternehmen eine Klientel, die wahrscheinlich, Sie haben es beschrieben, großes Interesse hat, auf diese Datenbanken zuzugreifen. Eine andere Gruppe sind natürlich Strafverfolgungsbehörden. Wenn man bedenkt, diese Firma sitzt ja nun noch in den USA. Das gibt es den berühmten Patriot Act. Da gibt es jetzt schon mehr Möglichkeiten für die Behörden, an persönliche Daten zu kommen als zum Beispiel in der Bundesrepublik. Ist das nicht auch wirklich eine Gefahr, dass auch Behörden immer mehr Gendaten haben von diversen Bürgern, die dann teilweise selber gar nicht wissen, wo ihre Daten sind?

Gassen: Herr Kassel, da sprechen Sie wirklich ein Problem an. Denn wir haben das ja so, dass wir schon ungefähr die Gendaten in Deutschland von 300.000 Straftätern haben. Und was heißt "eine Straftat"? Wir werden das alle sofort befürworten, wenn wir sagen, das ist irgendjemand, der ein Kind getötet hat oder so was. Aber kommt es bald, sobald, falls Sie dann falsch parken oder so was, werden dann auch noch Ihre genetischen Daten aufgenommen? Das ist ein Problem, das kommt auf uns zu mit einer Geschwindigkeit. Und wenn wir jetzt noch dieses Google-System, was auch so effizient ist, mit der unheimlichen Vorhersagekapazität der menschlichen DNA verkoppeln, dann weiß ich wirklich nicht mehr, was passiert.

Kassel: Ist das denn aber alles überhaupt noch aufzuhalten? Ich meine, wo ein Test für 1.000 Dollar ist, da kommt doch in sechs Monaten einer für 800? Das wird doch irgendwann absolutes Alltagsgeschäft, oder nicht?

Gassen: Genauso. Und vor allen Dingen auch das gesamte menschliche Genom zu analysieren, weil das heute alles auf Snips mit Automaten gemacht wird, wird das natürlich immer preiswerter. Und das kann dann auch eine Modeerscheinung werden. Wir werden das in der medizinischen Diagnostik nutzen müssen. Aber gleichzeitig müssen wir es natürlich regulieren, damit es nicht in die Hände von Menschen fällt, die das böswillig ausnutzen oder auch Regierungen. Das muss man auch klar sagen.

Kassel: Ich hoffe, dass das funktioniert. Professor Gassen, ich danke Ihnen für das Gespräch!
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