Genetisch gesteuerte Zukunft

07.12.2009
Hauptfigur in dem Roman "Sämmtliche Gedichte" ist der Lyriker Adam Sladek, der sich für ein biopolitisches Experiment zur Verfügung stellt. Dahinter steht der Bio-Tech-Milliardär Colin Kreuzer, der jedoch keine Wohltaten vollbringen, sondern die Bevölkerung anhand eines Genpools steuern will.
Im Grunde schreibt Dietmar Dath immer nur an einem einzigen unendlichen Roman. Alle seine Bücher sind seit jeher eine literarische Version seiner eigenen Jugend in Freiburg im Breisgau, sind Ausstülpungen seines eigenen Jugend- und Entwicklungsromans. Viele der Protagonisten sind Fortschreibungen der Portraits einstiger Mitschüler. Auch in "Sämmtliche Gedichte", Daths jüngstem Roman, tauchen Figuren erneut auf, die der Dath-Leser von früher kennt: die Malerin Johanna Rauch und der genialisch-gescheiterte Paul aus "Dirac", Colin Kreuzer aus dem Sci-Fi-Roman "Skye Boat Song" (2000).

Entscheidend ist jedoch, dass Dath den biografischen Grundstoff stets mit anspruchsvollen Theorie-Diskursen anreichert und ungewohnte Referenzsysteme in seine Romane einlagert, in einer Kombination aus vielerlei ausschweifendem Weltwissen und Kenntnis der Subkulturen von Heavy Metal und Science Fiction bis Horror- und Splatter-Movies. Die Diskurs-Felder, die der neue Roman abdeckt, reichen von antiker Mythologie (Niobe, Artemis) und Dichtung (Kallimachos) über die Bibel bis zu Marxismus, Evolutionstheorie, Genetik, Biopolitik, Pharmawirtschaft und Finanztheorie. Schwierig, das Genre dieses Romans zu definieren, da er zwischen Science Fiction, politischer und sozialer Utopie schwankt.

Hauptfigur in "Sämmtliche Gedichte" ist der Lyriker Adam Sladek, der sich für ein sprachtheoretisches und biopolitisches Experiment zur Verfügung stellt, das von Colin Kreuzer, einem Bio-Tech-Milliardär dämonischen Zuschnitts, gesponsert wird und darauf abzielt, Techniken der Bevölkerungskontrolle zu entwickeln und "den menschlichen Genpool zugänglich zu machen für Steuerung". Vor allem geht es um "smarte Materie", um genetische Algorithmen, die sich mittels Rückkopplung selbst regulieren und verbessern können. Sladeks Gehirn dient dabei als "leistungsstarker Wortrechner".

Als Propagandist und Zwischenträger fungiert eine zwielichtige Figur namens "Dietmar Dath", die vom Autor nicht nur als Kritikerfalle aufgestellt wird, sondern sich, je katastrophaler sich das Experiment entwickelt, desto deutlicher als Mephisto in dieser neuesten faustischen Versuchsanordnung zu erkennen gibt. Immer mitlaufen lässt der Autor außerdem einen Frauen-Ermächtigungsdiskurs, der von kühnen jungfräulichen Jägerinnen dominiert wird, von der Göttin Artemis bis zur Flugpionierin Amelia Earhart. Eingestreut sind Adam Sladeks "Sämmtliche Gedichte", poetische Imitationen in antiken Versmaßen, auf die man gerne verzichtet hätte. Das endgültige Urteil über den Roman liegt beim Leser: Er muss entscheiden, ob er sich von Daths irrlichterndem Wissensgeflacker anregen lassen will oder ob er das Buch als durchgeknalltes Theorie-Gelaber mit SF-Film-Versatzstücken beiseite legen möchte.

Besprochen von Sigrid Löffler

Dietmar Dath: Sämmtliche Gedichte
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
282 Seiten, 22,80 Euro