Generationenkonflikt zum Nachhören

Moderation: Britta Bürger · 13.06.2012
Sie sei völlig überrascht, als Hörspielanfängerin "sofort so einen Preis zu gewinnen", sagt die Regisseurin Lisa Lucassen nach der Auszeichnung ihres Stücks "Testament" mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden. Im Vergleich zum Theater könne man im Radio eine intimere Atmosphäre schaffen.
Britta Bürger: Es ist eine Erfolgskette: Für ihr Theaterprojekt "Testament" ist das Performance-Kollektiv She She Pop bereits beim europäischen Kulturhauptstadt-Festival "Ruhr 2010" ausgezeichnet worden, es folgte der Friedrich-Luft-Preis und eine Einladung zum Berliner Theatertreffen. Und nun haben sie für die Hörspielfassung von "Testament" gestern auch noch den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden bekommen, eine Produktion, die hier im Deutschlandradio Kultur entstanden ist. Auf der Basis von Shakespeares "König Lear" stellen sich Mitglieder von She She Pop mit ihren eigenen Vätern auf die Bühne, um Aspekte wie Pflege, Sterben und Erben noch zu Lebzeiten zu verhandeln. Es geht um das fatale Tauschgeschäft von Geld und Liebe.

Anmerkung der Redaktion: Sie können die folgenden Hörspiel-Ausschnitte Ausschnitte aus dem Hörspiel hier auch als Audio hören.

"Wir befinden uns jetzt schon mitten im ersten Akt unseres generationsübergreifenden Hörspiels "Testament", frei nach Shakespeares 'König Lear'. Und wir haben eben gehört, wie man so einen Generationswechsel organisieren kann, nämlich als Tauschgeschäft: Landbesitz gegen Liebesschwur plus Altenpflege. Und ohne zu viel zu verraten, kann man jetzt schon sagen, dass dieses Geschäft ungut endet. Es führt zu Hass, Folter, Ehebruch, Mord und Krieg. Wir wollen es anders angehen! Wir haben unsere Väter daher jetzt schon eingeladen zu uns Töchtern, wo sie in zehn, 15 Jahren ohnehin aufschlagen werden, wenn sie dann schwach und starrsinnig geworden sind, um von uns respektiert und gepflegt zu werden. Und wir wollen jetzt alle Punkte ansprechen und klären, die uns später im Weg stehen könnten!"

"Okay, ich fang mal an! Peter, bei dir zu Hause gibt es diesen Originaldruck von Lichtenstein, den ich wirklich unbedingt erben möchte. Und ich weiß, meine Geschwister interessieren sich auch dafür. Ich wäre dir also sehr dankbar, wenn du diese Frage schon zu deinen Lebzeiten klären könntest!"

"Papa, ich würde gern eine Sache ansprechen, über die wir so noch nie verhandelt haben, und das ist dein expliziter Ekel vor körperlichen Details! Also, wenn ich dich irgendwann pflegen soll, dann müssen wir da ran!"

"Ganz was anderes: Ich bin jetzt 42 und werde wahrscheinlich keine Kinder mehr bekommen. Ist es ein Problem, wenn ich unserer prächtigen Sippe keine weiteren Enkel hinzufüge?"

Bürger: Fragen über Fragen, die in dem Deutschlandradio-Hörspiel "Testament" gestellt und beantwortet werden von performenden Kindern und ihren tatsächlichen Vätern. Regie hat She She Pop-Mitglied Lisa Lucassen geführt, herzlichen Glückwunsch zu dieser weiteren Auszeichnung!

Lisa Lucassen: Vielen Dank!

Bürger: Warum ist dieser Töchter-Väter-Stoff so überaus erfolgreich? Trifft er genau den Nerv unserer Zeit?

Lucassen: Ich weiß nicht, ob das nur zu dieser Zeit relevant ist, aber ich glaube, also, die meisten Leute haben Väter und können sich in irgendeiner Weise damit identifizieren, dass man als Kind seinem Vater beim Älterwerden zuguckt, dass man sieht, wie der sich verändert, und es so ein bisschen auf sich zurauschen lässt, dass möglicherweise sich das Verhältnis umdrehen wird und der Vater die Person sein wird, die umsorgt werden muss. Und das ist natürlich in unserem Alter - also, wir sind jetzt gerade alle so mehr oder weniger 40 - gerade relevant. Aber also, Leute, die älter oder jünger sind, haben das Problem schon länger oder werden es irgendwann kriegen.

Bürger: Wie schwierig war das eigentlich, die eigenen Väter dazu zu bewegen, bei diesem Projekt mitzumachen?

Lucassen: Da wurden Tricks angewendet. Also, die wurden höflich eingeladen, mal vorbeizukommen, und wir haben bis, ich glaube, sechs Wochen oder einen Monat vor der Premiere behauptet, wir könnten das Stück auch ohne sie machen, um einfach den Druck rauszunehmen. Das stimmt auch. Also, wir hätten das machen müssen, wenn die uns alle weggelaufen wären. Und auf diese Weise haben meine Kolleginnen - also, mein Vater macht hier nicht mit - erreicht, dass die tatsächlich freiwillig da waren, die Väter. Ich fand das sehr schlau, aber natürlich auch ein bisschen waghalsig, weil, natürlich ist das Stück besser mit Vätern als ohne.

Bürger: Welche Vorbehalte gab es denn von Väterseite, welche Ängste?

Lucassen: Alle Sorten. Also, einerseits natürlich finden einige von denen bis heute, dass zu private Sachen nicht auf die Bühne gehören, dass Sachen, die sie und ihre Familie angehen, bitte nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden. Da konnte man den Vätern beibringen, dass sie ja nur ein Beispiel sind und dass es nicht wirklich um sie persönlich geht, sondern um diese Art von Familienkonstellation möglicherweise. Aber es gab auch ganz starke Vorbehalte gegen unsere Sorte von Theater. Also, zwei der vier Väter sind wirklich große Theaterfans und Theatergänger, aber überhaupt keine She She Pop-Fans gewesen, sondern die fanden das eher ... also, zwischen blöd und wirklich furchtbar, was wir gemacht haben.

Bürger: Welche Szene war für Sie persönlich die härteste?

Lucassen: Also, für mich wahrscheinlich eine Szene, in der ich auch doll vorkomme, die sogenannte Verzeihensszene, in der ich so eine lange Litanei runterrattere von Sachen, die ich meinem Vater verzeihe.

Bürger: Das sind was für Sachen?

Lucassen: So ganz normale Kränkungen, zu denen es zwischen Eltern und Kindern kommt, also, dass er lieber verreist war als zu Hause bei seinen Kindern, aber eben auch so spezielle Sachen, an die ich mich erinnere, wo ich im Nachhinein so denke, das ist wirklich merkwürdig, wie, dass er zum Beispiel wirklich mit mir während der "Tagesschau" mit zwei Steinen "Mensch ärgere dich nicht" gespielt hat, und das war's auch, was wir an Spielzeit miteinander verbracht haben. Also völlig normale Sachen, wo man irgendwie, wenn man erwachsen werden will, meiner Ansicht nach drüber wegkommen muss und aufhören, vorwurfsvoll zu sein, sondern wirklich, um seinen Frieden mit der Familie und der Welt zu machen, verzeihen muss.

Bürger: Ich habe dieses Stück zunächst im Theater gesehen und kann mir vorstellen, dass das ganz schön schwierig war, daraus jetzt dann ein Hörspiel zu machen, wenn plötzlich die visuelle Ebene fehlt. Wie sind Sie da rangegangen?

Lucassen: Wir dachten erst, naiv, wie wir waren, weil wir mit Hörspiel wirklich ziemlich wenig Erfahrung haben - also, wir haben eins gemacht vor elf Jahren, aber wir haben noch nie ein Bühnenstück umgebaut -, und wir dachten, na ja, in dem Stück wird ganz viel rumgestanden und geredet und gesungen und wenig getanzt und wenig gestikuliert, das muss doch irgendwie gehen. Und wir dachten erst, das größte Problem wäre, von zwei Stunden auf 54 Minuten, 30 Sekunden zu kommen. Das war auch schwer, also, wir mussten wirklich sehr, sehr viel Text wegschmeißen. Aber die größeren Probleme waren tatsächlich die ganz schlichten. Also, dass zum Beispiel während des Stücks niemand abgeht, sondern alle die ganze Zeit im selben Raum sind. Das ist im Hörspiel ja praktisch nicht darstellbar. Also, jemand ...

Bürger: ... genau, ich als Zuschauerin ja auch immer hin- und hergeguckt habe zwischen Tochter und Vater, zwischen Sohn und Vater. Man sucht nach Ähnlichkeiten in den Gesichtern, nach der Mimik, nach der Gestik, nach ... versucht, herauszufinden, was sich äußerlich da abbildet. Das ist ja etwas, was die ganze Zeit mitläuft und jetzt wegfällt!

Lucassen: Naja, das muss man einfach glauben. Zum Glück haben ja Kinder und Eltern dieselben Nachnamen, und wenn man den Vorspann praktisch aufmerksam verfolgt hat, dann weiß man, dass da tatsächlich Väter und Kinder auftreten. Aber natürlich, also, diese, die optische Ähnlichkeit ist nicht abzubilden im Radio. Und, also ganz viele Szenen funktionieren einfach nicht. Im dritten Akt, wenn der alte König verrückt wird und nackt in die Heide rennt, dann ziehen wir die Väter tatsächlich aus. Und auch das ist was, wir haben es probiert, funktioniert nicht im Radio.

Bürger: Aber was funktioniert im Radio besonders gut? Nicht umsonst haben Sie den Preis bekommen!

Lucassen: Ja, ich bin nach wie vor so ein bisschen vom Hocker gehauen, dass ausgerechnet wir Hörspielanfängerinnen sofort so einen Preis gewinnen, ich kann das ehrlich gesagt kaum fassen und freue mich umso mehr. Natürlich hat das Hörspiel ganz andere Möglichkeiten, dass es irgendwie intim wird oder groß. Also, da kann man wahnsinnig viel machen und ich habe da auch echt gestaunt über die technischen Möglichkeiten, also, was man mit solchen Stimmen alles machen kann. Und vielleicht ist der Vorteil, dass man nicht abgelenkt ist, dass man nicht irgendwie das Bühnenbild genießen muss oder das Husten der anderen Theaterzuschauer und so ...

Bürger: ... das glaube ich auch ...

Lucassen: ... sondern wirklich zuhören kann!

Bürger: Das ging mir eben schon in dem Ausschnitt so: Es wirkt wirklich sehr intim, und sehr nah rückt einem der Text dann. Im Theater konnte man ja den Shakespeare-Text auch mitlesen, "König Lear". Das geht nun beim Hörspiel nicht. Wie haben Sie den Text dennoch eingebaut?

Lucassen: Also, sobald Shakespeare gelesen wird, gibt es einen anderen Sound. Da ist so ein halliger Effekt drauf, damit man merkt, hier wird nicht mehr unser Text gesprochen, hier wird ein anderer Text gesprochen. Und wir haben die physische Anwesenheit des Texts versucht zu übersetzen in diese Blättergeräusche. Das sind natürlich also völlig andere Mittel, als wenn man das drei mal vier Meter groß projiziert im Theater, aber immerhin bleibt das Thema: Hier wird fremder Text vorgelesen!

Bürger: She She Pop hat sich Kollektiv nach dem gemeinsamen Studium am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet, Mitte der 90er-Jahre. Sie spielen und arbeiten schon lange zusammen, haben sich bewusst gegen den hierarchisch organisierten Stadttheaterbetrieb entschieden. Sie erarbeiten alle Stücke gemeinsam, dieses nun also ganz intim mit mehreren Familien. Wie hat das "Testament" das Verhältnis zu Ihren Vätern verändert?

Lucassen: Das ist unheimlich schwer zu sagen. Also, natürlich wird da jetzt sehr, sehr viel Zeit verbracht von Eltern und Kindern, weil wir unheimlich viel touren. Wir bereisen die ganze Welt zusammen auf einmal und damit hatte niemand gerechnet, also, dass wir wirklich so viel in Flugzeugen und bei Hotelfrühstücken und Stadtbesichtigungen Zeit miteinander verbringen, das hat kein Mensch geahnt. Was sich da tatsächlich verändert zwischen den Kindern und Eltern, finde ich total schwer zu sagen. Also, von den Fragen, die auf der Bühne gestellt werden, ist, soweit ich weiß, nicht eine einzige geklärt. Der Lichtenstein hängt nach wie vor bei Peter Halmburger rum. Aber natürlich ist da eine andere Sorte Respekt gewachsen. Also, einerseits haben wir eine neue Sorte Respekt vor den Vätern entwickelt, weil die was können, von dem wir nicht wussten, ob sie das können; und der Respekt in die andere Richtung ist extrem angewachsen, dass unsere Väter jetzt nicht mehr denken, schade, aus dem Gör ist nichts geworden, sondern tatsächlich glauben, dass wir einen Beruf haben und den auch können.

Bürger: She She Pop, die Deutschlandradio-Hörspielproduktion des Stücks "Testament" ist mit dem renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet worden. Lisa Lucassen freut sich mit uns stellvertretend für das Kollektiv. Ich danke Ihnen fürs Gespräch! Und wir werden das preisgekrönte Hörspiel nun natürlich noch mal ausstrahlen, heute Abend ab 21:33 Uhr hier im Programm.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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Programmhinweis:

Heute Abend ab 21:33 Uhr wird das Hörspiel "Testament" von She She Pop noch einmal im Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt.
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