Generation Praktikum

Von Sabine Eichhorst · 08.12.2005
Mit 15 hat Britta ihr erstes Praktikum gemacht, in der Pressestelle von Bündnis 90/Die Grünen. Anschließend eines bei einem Privatsender, dann eines in einer Zeitungsredaktion, dann eines in einer Presseagentur. Heute ist sie 25, diplomierte Kommunikationswissenschaftlerin und kann 30 Praktika vorweisen. Bei Bewerbungen hat ihr das nicht geholfen. Alles, was man ihr anbot war … ein Praktikum. Denn immer mehr Unternehmen heuern Praktikanten statt Festeinstellungen an.
Neun Uhr morgens in der Pressestelle von Studio Hamburg, einer der führenden Filmproduktionsfabriken.

Verena Stöcklein: Studentin, fünf Semester Anglistik, Deutsch und Politikwissenschaften.

Stöcklein: "Ich hab mein erstes Praktikum kurz vorm Abitur in den Sommerferien gemacht - schon aus Angst, würde ich sagen. Ich fürchte eben, wenn ich das Studium abgeschlossen habe und nichts gemacht habe zwischendrin, was richtige Arbeit ist, dann fragen mich die Leute: Was können Sie eigentlich? Haben Sie versucht, früh aufzustehen? Haben Sie jemals versucht, einen richtigen Job zu machen, können Sie das überhaupt? "

Behrens: "Ich bin ... so ziemlich kurz davor zu resignieren. Es ist schwierig, wenn man in die Zeitung schaut. Das ist sehr wenig, was da angeboten wird. Und das Verhältnis von Praktika zu ernsthaften Stellen - das ist einfach nicht mehr gesund. "

Stefan Behrens, ausgebildeter EDV-Kaufmann und studierter Kulturwissenschaftler.

Behrens: "Ich habe jetzt insgesamt fünf Praktika gemacht, ich denke, das reicht aus. Viel mehr kann ich nicht dazulernen. Ich habe so ziemlich alles gemacht, was man machen kann und Wissen habe ich außerdem mehr als genug. "

Öffentlichkeitsarbeit und Promotion in Hamburger PR-Agenturen, Kunden-Akquisition in Bremen, klassische Marketing-Kommunikation bei Daimler-Chrysler, absatzorientierte PR bei Meiré und Meiré in Köln. Behrens schrieb 40 Bewerbungen und bekam auch Angebote: als Praktikant. Manche mit Aussicht auf anschließende Übernahme. Aber daraus wurde dann doch nichts. Viele Hochschulabsolventen machen zehn, zwölf Praktika - ohne Erfolg. Behrens jobbt zurzeit im Callcenter einer Versicherung.

Behrens: "Das hat im weitesten Sinne mit Marketing zu tun - allerdings bin ich da der Telefonpapagei, der jeden Tag x-mal einen Satz wiederholt. Dafür braucht man eigentlich kein Studium. "

Meyer-Bosse: "Erstmal nehmen wir keine Praktikanten, das ist die Haltung der Personalabteilung. Weil wir sonst wahnsinnig viel Zuspruch bekämen, da könnten wir zwei Leute anstellen, die nur die Praktikumsanfragen bearbeiten. "

Ingrid Meyer-Bosse, Leiterin der Studio-Hamburg-Pressestelle. Hat ständig einen Praktikanten, organisiert Auswahl und Betreuung selbst.

Meyer-Bosse: "Was jetzt vermehrt da ist oder auffällt, ist, dass wesentlich mehr Studenten sich bewerben, die den Abschluss bereits in der Tasche haben, und die auf der Suche nach einem festen Job sind und diese Wartezeit mit einem Praktikum ausfüllen wollen. "

Hilfreich ist ein Praktikum, wenn es der Orientierung dient; die meisten Praktikanten heute haben sich jedoch längst für einen Beruf entscheiden. Bislang machten Studenten Praktika, um zu lernen; heute machen sie Praktika, um zu leisten. Bislang traf es vor allem Geisteswissenschaftler - inzwischen auch Betriebswirtschaftler, Juristen, Ingenieure. Es trifft die begehrten Branchen: Unternehmensberatung, Architektur, Werbung, Medien. Es trifft eine Generation, und diese Generation hat einen Namen, sie heißt "Generation Praktikum".

Büttner: "Nach dem Studium bin ich dann zu einem Journalistenbüro gegangen. "

Mirjam Büttner: Anglistikstudium, Abschlussnote 1,9, Berufswunsch Journalistin. Macht zurzeit ihr sechstes Praktikum, im Medienbüro Hamburg. Für das Praktikum im Journalistenbüro zog sie nach Leipzig.

Büttner: "Die wollten wissen: wie gut kann ich mit Computern umgehen? Das kann ich - das fanden die toll, weil die kannten sich selbst nicht so gut aus. Die wollten wissen, was ich bereits gemacht habe, ob ich gut schreiben kann. Das konnte ich dann anscheinend auch ganz gut. "

Büttner arbeitete: Vollzeit und hoch qualifiziert zum Nulltarif.

Büttner: "Das waren von der Gewichtung her fünf Festangestellte und vier Praktikanten. Naja, man fühlt sich dann schon ein bisschen... - verarscht. Einfach ausgenommen und möchte eigentlich es nicht so weitermachen. Sie haben uns Praktikanten auch an ein anderes Unternehmen ausgeliehen. Das sind einfach Dinge, die nicht passieren sollten. "

Behrens: "Als ich dann den 300-PS-Volvo des Geschäftsführers ummelden sollte, hier beim Straßenverkehrsamt, da habe ich gedacht: Das kommt für mich nicht infrage. Ich möchte schon gerne mein Wissen anbringen und nicht irgendwelche Autos ummelden. Dann habe ich entschieden, dass ich das nicht mehr mache. Außerdem ist es ja auch so, dass ein immenser Kostendruck für mich vorliegt, ich muss sehen, dass ich über die Runden komme und mit 300 Euro geht das halt nicht. "

Kühbauch: "Die eine Gruppe von Firmen erwartet von einem Praktikanten, dass er fast schon so qualifiziert ist wie jemand, der einen regulären Job annimmt und erwarten von dem Praktikanten, dass er zur Wertschöpfung des Unternehmen schon substanziell was beiträgt. "

Christian Kühbauch, Bundesjugendsekretär beim DGB.

Kühbauch: "Im Grunde ist das eine Verlängerung der Probezeit. Normalerweise ist ja Personalauswahl mit Kosten und hohem Aufwand verbunden, und so kann man einfach die Leute fast kostenlos testen. Und nach dieser Testphase kann man ihnen dann einen festen Vertrag anbieten - oder auch nicht. "

Stefan Behrens wollte seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern, darum hat er investiert, Zeit und Geld, das Studium über einen Bildungskredit finanziert. Nach dem Examen gehört er nicht zur Elite - sondern zum Fußvolk, steht Schlange mit anderen Arbeitslosen und beantragte Hartz IV.

Behrens: "Hartz IV. Ja. Ein Geldregen, wenn man so will. Obwohl es nur 620 Euro waren. "

Krajewski: "Man schränkt sich ein, man versucht, sein Zimmer unterzuvermieten, wenn möglich mit ‘nem Plus von 50 Euro im Monat. Man hat vielleicht noch ‘nen Opa, der einem was zuschießt oder Eltern im Hintergrund, wie es in meinem Fall glücklicherweise ist, sonst hätte ich das nicht machen können. "

Behrens: "Das ist bei mir leider nicht so, ich kann da nichts erwarten von meinen Eltern. Ich habe noch einen Schuldenberg vom Studium, mit Schulden bei meiner Freundin: 11.000 Euro. "

Geld, das Behrens demnächst zurückzahlen muss. Wie?

Behrens: "Gute Frage. Tja - ich hoffe doch sehr, dass sich da irgendwas ändert. Was bleibt ist die Hoffnung, tatsächlich. "

300 Euro im Monat und kaum Zeit dazuzuverdienen. Mit dem Examen erlischt der Studentenstatus, die studentische Krankenversicherung. Keine Rentenversicherung, kein Unfallschutz, keine Studenten-Monatskarte. Man kann sich nicht arbeitslos melden, weil man zwar gearbeitet hat, aber eben nur als Praktikant, ohne Beiträge zu zahlen, und die Arbeitsagentur rät auch ab, weil es dem Lebenslauf schadet.

Krajewski: "Dieser Staat ist irgendwie noch nicht darauf eingestellt auf diese Zwischenphasen. Man hat keinen Anspruch auf irgendwelche Gelder. Die Krankenkasse wollte tatsächlich von mir 300 Euro haben für einen Job, wo ich 700 Euro im Monat zur Verfügung hatte - plus die Pendelei, 150 Euro Fahrtkosten im Monat, und dann kommt die Krankenkasse und sagt: 300, wenn Sie freiberuflich tätig sind. "

Sonja Krajewski: Pädagogin, 1-Diplom, machte mehrere Praktika, unter anderem bei den Nordischen Filmtagen. Drei Tage lang finden dort Bewerbungsgespräche statt - nur für Praktikanten. Krajewski kriegt den Job, betreut die Jurymitglieder, arbeitet als Pressereferentin, macht Überstunden, bekommt 500 Euro für drei Monate - und lernt eine Menge.

Krajewski: "Klar, das ist immer diese Schere: Ich hab was Interessantes, inhaltlich spannend, Verantwortung, kann richtig mitarbeiten, bin akzeptiert im Team und gleichzeitig wird dafür aber keine Arbeitskraft bzw. ich als Arbeitskraft nicht voll eingestellt. Ich finde es ganz schwierig, darüber zu urteilen. Es würde z.B. die Nordischen Filmtage - vielleicht lehne ich mich da jetzt ein bisschen aus dem Fenster - nicht geben ohne die Arbeitskraft der Praktikanten, weil die könnten es nicht finanzieren, dass sie fünf volle Arbeitskräfte einstellen. "

Gietzelt: "Ich glaube, dass es auf jeden Fall zunimmt, dass wesentlich mehr Praktikanten eingestellt werden, um reguläre Arbeit, die gemacht werden muss, zu erledigen. "

Iris Gietzelt, Jugendbildungsreferentin beim DGB in Hamburg.

Gietzelt: "Und dass es immer mehr Leute auch mit sich machen lassen, denn deswegen passiert es ja - wenn es Leute mit sich machen lassen, kann man es ja ausprobieren und machen, wunderbar! "

Kühbauch: "Es gibt kleinere Verlage und Agenturen, die würden ohne Praktikanten zusammenbrechen. Wo es vor einigen Jahren noch Festangestellte gab, drei, vier Festangestellte in einer Agentur, und das dann ersetzt worden ist durch zehn Praktikanten. "

Christian Kühbauch. DGB und Hans-Böckler-Stiftung erforschen die Generation Praktikum. Erste Ergebnisse: 39 Prozent der bisher Befragten bekommen trotz Vollzeitarbeit keinen Lohn, etwa die Hälfte klagt über Ausbeutung. Erfolgsgeschichten? Da ist der Bertelsmann-Praktikant, der heute im Gruner und Jahr-Vorstand sitzt, sagt Stefan Rippler, Gründer des Portals planet-praktika für Einsteiger in die Medienwelt. Ab und zu werden Praktikanten übernommen, doch insgesamt führen Praktika wesentlich seltener als erhofft zu festen Jobs.

Kühbauch: "Wir sitzen noch daran, versuchen es herauszufinden, aber ich glaube nicht, dass die Quote wesentlich besser als eins zu zehn ist. Das ist diese Geiz-ist-geil-Mentalität. Das führt zu ‘ner schleichenden Dequalifizierung. Wenn der Betrieb die Praktikanten als Personen sieht, die man weiterqualifiziert und aus denen später ein verantwortlicher Mitarbeiter im Betrieb wird, dann ist das in Ordnung. Wenn der Betrieb Praktikanten beschäftigt, um Werte zu schaffen und die frühere Praktikanten-Generation lernt dann immer wieder die nächste an, dann haben Sie sowas wie - ich nenne es mal: Inzucht innerhalb der Praktikanten. Und Sie haben dann wirklich keinen mehr, der ein Auge darauf hat. Und es gibt Beispiele, z.B. auch aus dem Klinikbereich, ich will jetzt nicht nennen, welche Klinik ich meine, da behandeln Praktikanten im therapeutischen Bereich und die Patienten wissen nicht: Ist das ein Praktikant, ein Arzt, wer ist das, der mich da behandelt? Teilweise haben sie da Grauzonen. Und haben da durchaus strafrechtlichen Charakter mit drin. "

Stellenausschreibungen im Internet: Bei unicum.de sucht der Hamburger Großverlag Gruner und Jahr ambitionierte Praktikanten für die stern-Verlagsleitung, Zitat: "hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Diskretion sind für Sie selbstverständlich." Ein Interview lehnte Gruner und Jahr ab. Aus "Kapazitätsgründen". Der Springer-Verlag bat nur um Verständnis; ohne Gründe.

Ungern berichten Praktikanten unter welchen entwürdigenden Umständen sie gearbeitet haben. Sie geben sich optimistisch, trotz allem. Sie schützen noch ihre Ex-Arbeitgeber, nennen kaum Zahlen und keine Namen, und selten klagt jemand - obwohl die Erfolgsaussichten bei 150 Euro für einen 60-Stunden-Job gut stehen. Weil das nach Paragraph 138 BGB Lohnwucher ist.

Kühbauch: "Sie waren vorher noch nicht im Arbeitsleben. Sie haben wahrscheinlich gedacht, sie kommen nach dem Studium in eine gute Position, sind jetzt desillusioniert und suchen die Schuld wahrscheinlich bei sich. Geben die Schuld nicht beim Arbeitsmarkt, dem Unternehmen, sondern sagen sich: Ich hab zu lange studiert, hab einen zu schlechten Abschluss gemacht, und deshalb muss ich dafür büßen und meine Arbeitskraft für lau anbieten. "

Krajewski: "Das war schon frustrierend phasenweise. Dass ich mich von Tag zu Tag gehangelt habe und gedacht habe: Naja, irgendwann wird schon irgendwas kommen. Und immer auch sehr, sehr froh war, wenn ich ein Praktikum hatte - dass ich zumindest arbeiten kann. Weil man ist so zu diesem Nichtstun verdammt. "

Behrens: "Ich will keine Vollkaskosicherheit. Aber ich möchte schon zumindest wissen, es gibt Möglichkeiten, Perspektiven. "

Krajewski: "Dann will man irgendwann Kinder haben. Im günstigten Fall hat man einen Partner, der für einen sorgen kann und für die Kinder, aber dann sitzt man eben ganz schnell in dieser Hausfrauenposition drin. "

Behrens: "Meine Freundin verdient zum Glück, die ist in ‘nem festen Job, die unterstützt mich auch. Ähm... ja, sie will schon jetzt ganz gern. Ist auch immer wieder mal Thema. Leider kann sie ihren Plan nicht verwirklichen, das wird dann verschoben halt. "

Kühbauch: "Das ist widersprüchlich, weil es sind sehr risikobereite Menschen, die auch bereit sind, umzuziehen oder sich in neue Abenteuer, neue Branchen zu stürzen. Aber ihre Sehnsüchte, denke ich, gehen in die Richtung: ganz regulärer fester Arbeitsplatz, so wie ihre Eltern das auch hatten. "

Generation Praktikum. Der DGB und Fairwork e.V. - ein Verein, den eine Berliner BWL-Studentin 2004 als Interessenvertretung für unfreiwillige Dauerpraktikanten gründete - haben Mindeststandards formuliert: Ausbildung, ein qualifiziertes Zeugnis, 600 Euro und maximal drei Monate. Praktika, die länger dauern, müssen zumindest mit dem Existenzminimum vergütet werden.

Krajewski: "Ein paar Praktika kommen im Lebenslauf gut an, aber wenn es nur noch Praktika sind, dann fragen die Arbeitgeber auch: Wo ist denn hier mal ein bisschen Kontinuität? Kannst du dich vielleicht nicht entscheiden? "

Verena Stöcklein wird noch zwei Monate in der Pressestelle von Studio Hamburg arbeiten.

Stöcklein: "Ich fürchte mich wirklich davor, mal von 400 Euro im Monat leben zu müssen. Meine Eltern haben auch nicht das Geld... "

Mirjam Büttner denkt, dass sie nach ihrem sechsten Praktikum genug Erfahrungen gesammelt hat, um zumindest als freie Journalistin zu arbeiten. Bei der Deutsche Presse Agentur - dort hat sie auch schon mal ein Praktikum gemacht.
Stefan Behrens überlegt, ob er in Irland eine Kneipe aufmacht. Und Sonja Krajewski hat ihre erste Festanstellung: in Hannover, als Koordinatorin für das Freiwillige Soziale Jahr im Bereich Kultur.

Krajewski: "Andere gehen da vielleicht lockerer mit um, aber für mich war das hart, die Zeit. Und wenn ich gewusst hätte, das wäre noch fünf Jahre so weitergegangen, dann hätte ich Sorge gehabt, irgendwann überhaupt den Berufseinstieg zu schaffen. "