General a.D. über den Kampf in Mossul

"Den IS schlicht und einfach vernichten"

Irakische Streitkräfte am 16. Oktober bei Vorbereitungen südlich von Mossul, zwei Fahrzeuge des Militärs fahren mit irakischen Flagge eine Straße entlang.
Irakische Streitkräfte südlich der Stadt Mossul. Am Montag hatte die Großoffensive einer breiten Militärallianz gegen den IS begonnen. © AFP / Ahmad al-Rubaye
Egon Ramms im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 18.10.2016
Der frühere Bundeswehr-General Egon Ramms warnt: Auch nach einer Niederlage des IS in Mossul gebe es noch Orte im Irak, in denen die Terrormiliz Gewalt ausübe. Es sei ein langfristiger Kampf. Darauf müsse sich auch der Westen einstellen.
Die irakische Armee müsse wahrscheinlich "Dorf für Dorf, Ort für Ort" freikämpfen, so der General a.D., der selbst von 2007 bis 2010 für den Einsatz der Afghanistan-Schutztruppe ISAF zuständig war. Zu Warnungen von EU-Kommissar King, aufgrund der Offensive in Mossul würden Terroristen nach Europa zurückkommen, sagte Ramms, das sei nicht auszuschließen. Allerdings: "Wenn wir mit entsprechenden Grenzkontrollen und dergleichen reagieren, haben wir eine Chance, sie (die Kämpfer) möglicherweise abzufischen, bevor sie in Europa gefährlich werden."
Es müsse das gemeinsame Anliegen aller demokratischen Staaten sein, den "Islamischen Staat" zu bekämpfen, so Ramms. Das sei eine langfristige Aufgabe:
"Es muss darum gehen, eine solche Einrichtung wie den IS (…) schlicht und einfach zu vernichten, weil eine solche Organisation weder humanitäre Gesichtspunkte noch irgendwelche Menschenrechte (…) beachtet."
Deutschland muss nach Ansicht des Generals a.D. künftig womöglich mehr in die Anti-IS-Koalition einbringen als "vielleicht nur Flugzeuge".

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Ein Ende des Schreckens durch den selbsternannten Islamischen Staat: Es gibt keinen Menschen von Verstand, der sich das nicht wünscht. Und insofern ist es gut, dass die irakische Armee seit gestern versucht, die letzte Hochburg des IS in Mossul zurückzuerobern. Aber es bedeutet erst einmal Krieg und Gewalt, die UNO rechnet mit einer Million zusätzlichen Flüchtlingen.
Wie klug ist diese Militäroperation? Wie gut ist sie vorbereitet und wie groß sind die Chancen, dass sie den IS wirksam schlägt? Fragen an den früheren Bundeswehrgeneral Egon Ramms, er war einer der ranghöchsten NATO-Befehlshaber, unter anderem verantwortlich für die ISAF-Truppe in Afghanistan. Guten Morgen!
Egon Ramms: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ist der Sturm auf Mossul ein guter und wichtiger Schritt oder ein militärisches Abenteuer?
Ramms: Ja, ich würde ihn nicht als militärisches Abenteuer bezeichnen, sondern ich würde ihn als notwendigen Schritt bezeichnen, um den IS aus dem Irak heraus zu vertreiben und auf diese Art und Weise den Irak vielleicht ein bisschen weiter zu normalisieren.
Frenzel: Wir alle kennen noch die Bilder einer irakischen Armee, die innerhalb von Stunden in sich zusammenbrach, als der IS begann zu wüten vor zwei Jahren. Ist diese irakische Armee jetzt heute eine andere, ist sie fit für diesen Kampf?
Ramms: Also, offensichtlich war eine Ursache vor zwei Jahren für das Weglaufen der irakischen Armee auch das Verhalten der Offiziere. Das hat sich offensichtlich geändert. Die Irakis haben einen relativ langen Zeitraum sich genommen, um jetzt praktisch entsprechende Kräfte vor allem in den Süden von Mossul zu bringen.
Und gleichzeitig sind die Peschmerga unter der Führung von Barzani im Osten von Mossul. Und von daher hoffe ich, dass in dieser Koalition zwischen den Kurden und den Irakis, der irakischen Armee selber dieser Angriff auf Mossul gelingt und, ich sage mal, der Alptraum vom IS in diesem Bereich beendet wird.

Vorsichtig mit allen Vorhersagen

Frenzel: Wie lange wird diese Eroberung Mossuls dauern, wenn sie denn gelingt?
Ramms: Herr Frenzel, da mache ich jetzt überhaupt keine Vorhersagen. Weil auch aus den Erfahrungen der Rückeroberung anderer Städte im Irak, aber auch von Operationen, die in anderen Stellen des arabischen Raumes stattgefunden haben, es ausgesprochen schwierig ist, dieses Vorgehen zu beurteilen und die Erfolge zu beurteilen.
Es gibt erste Informationen von gestern Abend von der amerikanischen Seite, dass dieser Vormarsch angeblich schneller läuft, als er ursprünglich mal angedacht war. Ich sage noch mal, ich bin da ganz vorsichtig mit allen Vorhersagen.
Frenzel: Was bedeutet das für den Islamischen Staat, den selbsternannten? Ist eine Niederlage in Mossul zugleich auch das Ende des IS, zumindest im Irak?
Ramms: Das würde ich so noch nicht sehen. Niederlage in Mossul, ja, damit Befreiung der zweitgrößten Stadt des Iraks. Aber es gibt noch genügend andere kleinere Orte und kleinere Bereiche auch Richtung Syrien rüber in den Flusstälern und dergleichen mehr, wo der IS noch Gewalt ausübt. Und ich glaube, dass, wenn ich das Verhalten des IS richtig beurteile, auch dieses durch die irakische Armee, ich sage mal, Dorf für Dorf, Ort für Ort entlang dieser Flussläufe bis zur syrischen Grenze noch freigekämpft werden muss.

Terroristen abfischen, bevor sie in Europa gefährlich werden

Frenzel: Es gibt aktuell die Warnung des EU-Kommissars Julian King, wir haben es ja gerade auch in den Nachrichten gehört, der sagt, durch das Zurückdrängen des IS im Irak treiben wir die Terroristen letztendlich nach Europa. Teilen Sie diese Sorge?
Ramms: Also, es ist davon auszugehen, dass der IS nicht in allen Bereichen, jetzt auch in Mossul, ich sage das mal, vernichtet werden wird, sondern aufgrund des Drucks durch die irakische Armee werden sich die Personen des IS in andere Bereiche verziehen. Dass dabei auch eine Welle nach Europa rüberschwappt, ist möglicherweise nicht auszuschließen.
Wobei dieses Nach-Europa-Rübergehen ja so einfach auch nicht ist, sondern die Kämpfer müssen ja dann entsprechend auch hierherkommen. Wenn wir mit entsprechenden Grenzkontrollen und dergleichen reagieren, haben wir eine Chance sie möglicherweise, abzufischen, bevor sie in Europa gefährlich werden.
Frenzel: Wobei die Frage natürlich auch ist, was intendiert der EU-Kommissar mit dieser Aussage? Dass wir den IS lieber stark lassen im Irak? Das kann wohl keine Lösung sein, oder?
Ramms: Nein. Es muss darum gehen, eine solche Einrichtung wie den IS – und da kommen möglicherweise ja auch Nachfolgegenerationen, wir haben vorher Al Kaida gehabt – schlicht und einfach zu vernichten, weil eine solche Organisation ja weder humanitäre Gesichtspunkte noch irgendwelche Menschenrechte oder sonst irgendwelche Dinge beachtet.
Und eine solche Organisation kann man einfach egal wo nicht überleben lassen, sondern das muss ein gemeinsames Anliegen aller demokratischen, aber auch aller Staaten sein, die ihre Verfassung auf Menschenrechten und humanitären Rechten begründet haben, solche Organisationen zu bekämpfen.

Deutschland muss sich womöglich stärker beteiligen

Frenzel: General Ramms, lässt sich der IS überhaupt militärisch schlagen? Gerade jetzt, wenn der Weg immer mehr weg vom Staat hin zur Terrormiliz geht?
Ramms: Das ist ein schwieriges Unterfangen, da kann ich Ihnen in keiner Form widersprechen. Vor allen Dingen, ich gehe auch davon aus, dass die Mitglieder des IS sich weiter in den Untergrund zurückziehen werden. Von daher wird eine Bekämpfung immer schwieriger werden, gar keine Frage. Trotzdem ist das eine Aufgabe, die auch langfristig gesehen werden muss und die auch langfristig angefasst werden muss.
Wenn wir a) unsere Lebensumstände hier in Westeuropa – nehmen Sie Frankreich mit den Anschlägen in den letzten zwölf Monaten – sehen, dann kommen wir eigentlich an einer solchen Bekämpfung einer solchen Organisation nicht vorbei. Es sei denn, wir sind bereit, unseren Lebensstil, unsere Freiheit aufzugeben. Und da muss ich sagen, das wäre nicht mein Ansatz.
Frenzel: Müssen wir im Zweifel auch bereit sein, militärisch stärker einzugreifen als Westen?
Ramms: Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich an diesen Bekämpfungen des IS, wir sind Teil der Koalition, die von Incirlik aus mitarbeitet, was die Flugbewegung angeht, die Tornados angeht, die Luftbetankung angeht. Es kann durchaus sein, dass Forderungen an Deutschland gestellt werden, die eine Intensivierung unserer Beteiligung durchaus fordern. Es muss dann …
Frenzel: Sollten wir die bejahen?
Ramms: Das muss politisch kalkuliert werden, politisch bewertet werden, bevor man dann zu einem Ja oder zu einem Nein kommt. Fest steht für mich in jedem Falle, wenn wir ein Interesse daran haben, in dieser Koalition zu bleiben, müssen wir gegebenenfalls auch einfach mal mehr darin einbringen als vielleicht nur Flugzeuge.
Frenzel: Der frühere Bundeswehrgeneral Egon Ramms sagt das, vielen Dank für diese Einschätzung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema