Genaue Beobachterin

Von Mirko Schwanitz · 13.03.2008
Mit bezaubernder Leichtigkeit erzählt die Autorin Olja Savicevic vom Leben der Nachkriegsgeneration in ihrer Heimatstadt Split. Doch zwischen ihren Sätzen verbergen sich dunkle Schatten, die die jüngste Vergangenheit hinterlassen hat. Und so werden unter dem Blick der Autorin, die sich der Form der "Short Story" bedient, die feinen Haarrisse in den Seelen ihrer Protagonisten schnell zu abgrundtiefen Schluchten.
Olja Savicevic: "Diese kleine Halbinsel hier ist einer meiner Lieblingsplätze. Im Moment geht die Sonne unter, es weht ein Wind der Geruch von Gebratenem, Pinien und Tamarinden mit sich trägt, also nach einer reichen mediterranen Vegetation."

Hier oben, auf den Felsen des alten Friedhofs Sustefan an der kroatischen Adria lädt die Schriftstellerin Olja Savicevic einmal am Tag ihre Akkus wieder auf. Hier, in der mediterranen Landschaft um die Stadt Split, irren ihre Helden durch das Leben. Verlorene, liebenswürdige Gestalten, in denen sich die Seelenlage von Savicevics eigener Generation spiegelt.

Olja Savicevic: "Als der Krieg ausbrach, wechselte ich gerade aufs Gymnasium. Das war 1991. Als man wieder begann normal zu leben, war ich plötzlich 25. Und deshalb glaube ich, dass meine Generation so eine Art verlorene Generation ist. Eine Generation, deren beste Jahre einfach in diesem Loch von Kriegs- und Nachkriegszeit verschwunden sind. Vielleicht wollen wir deshalb ewig Teenager bleiben."

Mit ihren burschikos geschnittenen dunklen Haaren wirkt Olja noch heute wie der unbeschwerte Teenager aus jenen Kindertagen. Doch ihre jetzt im Verlag Voland und Quist unter dem Titel "Augustschnee" erscheinenden Geschichten erzählen von einer anderen Olja Savicevic. Einer schweigsamen Zuhörerin und genauen Beobachterin.

Olja Savicevic: "Split ist sehr spezifisch. Jeder, der hier ein wenig anders ist, steht auf einem schmalen Grat und kann schnell zu Jemanden werden, den man für ein wenig verrückt hält. Mich interessieren in meinen Geschichten genau diese Menschen. Alle Gestalten bei mir gehen durch sehr schwere Situationen. Sie haben eine gewisse Entrücktheit aber auch viel schwarzen Humor. Ein Freund bezeichnete dieses Buch einmal als ein "glückliches Erschrecken"."

Wer mit Olja Savicevic Auto fährt, sollte sich anschnallen. Sie kurvt durch die Stadt, als hätte sie soeben erst den Führerschein gemacht. Kaum zu glauben, dass das Auto jener Ort ist, in dem ihre Geschichten Konturen annehmen und manch Handlung eine Wendung bekommt, scharf, wie die Kurven der Spliter Innenstadt.

Olja Savicevic: "Ich lege mir eine schöne Musik ein, fahre und plötzlich kommen mir verschiedene Ideen. Hier im Auto erhalten meine Figuren ihr Gesicht, entwickle ich ihre Gespräch, die Situationen, in denen sie sich begegnen."

Der Stoff aber ist schon da, bevor sie sich ins Auto setzt. Sie sammelt ihn auf ihren Spaziergängen durch die Stadt und oft ertappt sie sich bei dem Gedanken wie sehr doch manch aufgeschnappte Geschichte den wunderschönen aber traurigen Klape-Gesängen gleicht, für die Dalmatien so berühmt ist.

Menschen zu beobachten, ist Olja Savicevics Lieblingsbeschäftigung – so wie hier die Fischverkäuferin und ihre Kunden in der Neretva Kraj.
Olja Savicevic: "Ja, ich lausche hier oft den Geschichten, die sich die Menschen erzählen. Hier werde ich zum Voyeur. Es gibt da eine Geschichte in meinem Buch mit dem Titel "Der Held", die auf diese Weise entstanden ist."

Es ist die Geschichte eines jungen Mannes. Von seiner Freundin verlassen will er diese ein letztes Mal besuchen. Doch sie öffnet ihm nicht.

Olja Savicevic: "So ging der Junge, erzählten die Frauen am Nachbartisch, wieder hinunter auf die Straße. In diesem Moment aber hatte der Krieg begonnen und er befand sich plötzlich mitten auf der Frontlinie. Der Junge dachte wahrscheinlich: Das ist die Lösung. Er kniete sich also hin und schrie in seinem Liebeskummer: Schießt doch! Schießt doch! Tötet mich!"

Vielleicht ist es genau das, was Olja Savicevic auszeichnet - sehr dicht am Leben der Menschen zu sein und eigentlich deren Geschichten zu erzählen. Von ihnen leben allerdings kann sie noch nicht. Auch wenn ihr Mann als Architekt ganz gut verdient, muss sie, wie viele Autoren ihrer Generation, Geld als Journalistin hinzuverdienen, damit die kleine Familie mit der sechsjährigen Tochter ihr Auskommen hat.

Olja Savicevic: "Jetzt endlich richte ich mir ein Zimmer ein .Bis jetzt war es doch so, dass ich in einem Raum arbeiten musste, in dem sich das ganze Leben der Familie abspielte. Ein eigenes Zimmer - das ist für mich schon ein Riesenschritt."