Gemischte Gefühle in Mielkes Dienstsitz

Von Jürgen König · 14.01.2012
Der Leiter der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn, hat die frühere Zentrale der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg der Öffentlichkeit übergeben. Am "Bürgertag"der Eröffnung diskutierte er dort mit seinen Amtsvorgängern Marianne Birthler und Joachim Gauck.
Es war ein bewegender Moment, als um 10.45 Uhr Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen mit einem Schlüssel vor das Haus 1, den ehemaligen Dienstsitz Erich Mielkes, trat:

"Guten Morgen allerseits, wir wollen jetzt hier gemeinsam, die Stasiunterlagenbehörde und der Bürgerverein Antistalinistische Aktion den Dienstsitz des Stasigenerals Mielke wiedereröffnen. Uns ist es wichtig, dass wir hier als staatliche Institution und als Bürgerverein gemeinsam dieses Stasimuseum den Bürgern zur Verfügung stellen, ein deutliches Symbol, dass die Bürger sich diesen Ort hier aneignen, indem sie genau schauen, von wo aus die Staatssicherheit gewirkt hat, von wo aus sie ihre Befehle ins Land gegeben hat, damit die Bevölkerung unter Kontrolle gehalten wird."

Nicht wenige in der großen Menge hatten Tränen in den Augen, als Jörg Drieselmann von der Antistalinistischen Aktion e.V. sprach; 1990 hatte der Verein das Gebäude wie auch das Mobiliar von Haus 1 gesichert.

"Dieses Haus steht für den wichtigsten Machtapparat, den sich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands geschaffen hatte, viele, die diese DDR erlebt haben, betrachten es heute noch, auch wenn so viel Zeit verstrichen ist, als Akt auch der Inbesitznahme. Im Unterschied zu den Tagen vor fast 22 Jahren ist dies nicht mehr ein Akt der Besetzung, nicht Demonstranten begehren Einlass in dieses Gebäudeareal, in dieses Haus, wir schließen die Türen auf, und diejenigen, die kommen, sind uns im Unterschied zu damals herzlich willkommen."

Und dann war der große Moment da. Unter den ersten Besuchern war auch der letzte Verteidigungsminister der DDR, der Bürgerrechtler Rainer Eppelmann:

"Für mich ist das jetzt Freude und Genugtuung, dass dieses Haus erfreulicherweise nicht dem Verfall preisgegeben worden ist, sondern als ein authentischer Ort jüngerer deutscher Zeitgeschichte auch für die danach Geborenen erhalten bleiben soll."

Die meisten Besucher gehen sofort in den 3. Stock in die Diensträume Erich Mielkes.

"Genugtuung. Genugtuung ist schon... wenn man eben alle Facetten des Staates mitgemacht hat, dann ist das schon eine gewisse Genugtuung. Er ist leider in meinen Augen etwas zu früh gestorben. Naja... Jedenfalls ist das ein Mann, wo man nicht sagen könnte: Friede seiner Asche".

Und dann steht man vor klobigen braunen Sesseln hinter klobigen braunen Holztischen: 60er-Jahre-Schick, 60er-Jahre-Mief, Teppiche, Telefone, Telefonanlagen, Telefonschaltpulte, Fernseher; vor den Fenstern Stores und dunkelbraune Wollgardinen. Viele Besucher stehen stumm davor.

"Die Situation kann man trotzdem nicht nachvollziehen. Ich meine, jetzt sind das kalte Möbelstücke, aber die Atmosphäre kriegt man nicht mehr rin... Aber auf jeden Fall ist es ein bisschen bedrückend hier, die ganze Angelegenheit."

Mielkes Bett, Mielkes Bad, Mielkes Küche – ein geradezu armseliges Mobiliar.

"Ein komisches Gefühl. Trotz allem – sind zwar über 20 Jahre, aber die Zeit vergisst man trotzdem nicht. Und wenn man mit den Herren zu tun hatte, dann reichen auch 20 Jahre nicht ..."

Am Nachmittag traf Roland Jahn in einer Diskussionsrunde zum ersten Mal auf seine beiden Amtsvorgänger, Marianne Birthler und Joachim Gauck. Nach einer Würdigung des Stasiunterlagengesetzes und der Stasiunterlagenbehörde kam es über die Frage der in der Behörde tätigen früheren Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit zu einer Kontroverse. Roland Jahn will sie per Gesetz aus der Behörde entfernen, dazu Joachim Gauck:

"Roland Jahn, den ich schätze und mag, irrt leider, denn auch, wenn er alle draußen hätte, wären die Gefühle von traumatisierten Menschen auch noch existent. Sie würden, ohne dass einer von diesen da ist, das Gefühl haben: Da ist jemand. Weil tief in ihnen diese Sorge sitzt, und da ist es relativ unerheblich, wie viele da sitzen."

Joachim Gauck verteidigte die Übernahme früherer MfS-Mitarbeiter. Er habe nur solche übernommen, die "auf die Seite der Demokratiebewegung gegangen" wären und ihren Mitgliedern geholfen hätten, Unterlagen zu finden. Diese Mitarbeiten hätten "im Interesse der Opfer gearbeitet", indem sie ihm, Gauck "wesentlich schneller" Handlungsfähigkeit verschafft hätten: mit Erkenntnissen, die er an die Opfer habe weitergeben können.

Als die ersten der befristeten Verträge ausliefen, hätten die Juristen seiner Behörde ihm erklärt, dass, wenn die Aufgaben, für die die Personen angestellt seien, weiter existierten, diese gute Chancen hätten, sich auch weiterhin – notfalls mit einer Klage – "in dieser Beschäftigung einzurichten".

"Dann fragt man sich als Behördenchef: wie arbeitest du lieber mit ihnen, nach einer Klage oder, indem du das verlängerst. Es kann sein, dass ich damals nicht besonders gut beraten war, aber das ist jedenfalls nicht willkürlich erfolgt."

Nachdem diese Mitarbeiter nun 20 Jahre lang "den Interessen der Opfer und dem Rechtsstaat gedient" hätten, seien Sanktionen gegen sie "nicht verhältnismäßig".

Auch Marianne Birthler wandte sich gegen das vom Bundestag schon verabschiedete Gesetz, mit dem die früheren MfS-Mitarbeiter auch gegen ihren Willen in andere Bundeseinrichtungen versetzt werden können:

"Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es besser gewesen wäre, niemand, der früher für die Stasi gearbeitet hat, in der Behörde zu beschäftigen, auf der anderen Seite glaube ich, dass man diesen Fehler nicht mit einem zweiten wieder aufheben kann. Und ich glaube, dass die Veränderung eines Gesetzes, das ja eh nicht das Arbeitsrecht außer Kraft setzen kann, da nicht viel bewirkt."

Kein Streit, eine Kontroverse nur, freundlich ausgetragen – das Publikum zeigte erkennbar Sympathie für die Haltung Roland Jahns. Ein überfüllter Saal, überhaupt kamen sehr viele zu diesem "Bürgertag" in die Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg.

"Wie ich vorhin da in Mielkes Büro stand, und die ganzen Menschen zogen da durch, da dachte ich: wenn der Mielke das wüsste ..."

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