Gemeinsames Lernen

Von Matthias Günther · 27.05.2008
Das neue Schulgesetz in Schleswig-Holstein sieht vor, dass in den Grundschulen Schüler der ersten und der zweiten Klassen künftig gemeinsam unterrichtet werden - komplett oder für einen Teil der Wochenstunden. Der sogenannte jahrgangsübergreifende Unterricht soll eine bessere individuelle Förderung der Schüler ermöglichen.
Die Uwe-Jens-Lornsen-Schule in Kiel hat schon seit Jahren gemeinsame Projekte für Erst- und Zweitklässler. Seit diesem Schuljahr gibt es erstmals vier Wochenstunden gemeinsamen regulären Unterricht. Und möglicherweise schon zum kommenden Schuljahr wird der Unterricht komplett jahrgangsübergreifend erteilt. Die jetzige erste Klasse wird dann geteilt und mit den neuen Erstklässlern aufgestockt, so dass zwei Gruppen mit Erst- und Zweitklässlern entstehen:

"Man versucht, die Kinder so zusammenzusetzen, dass eben in der einen wie auch in der anderen Gruppe gleich viel Jungs sind, gleich viel Mädchen und eben auch von der Anzahl der Kinder, die Erst-Klass-Kinder oder Zweit-Klass-Kinder eben der gleiche Anteil."

Sagt Schulleiterin Sybille Kilian und nennt die Vorteile:

"Manche Kinder haben ganz erhebliche Defizite noch, können noch nicht einmal ihren Namen lesen oder schreiben, andere wiederum haben schon Kenntnisse am Computer, können im Zahlenraum bis 100 rechnen und können komplett lesen, wenn sie in die Schule kommen. Und das ist so eine Bandbreite von… bis…, und wenn ich jetzt jahrgangsübergreifend unterrichte, d.h. ich habe Kinder, die sowohl im ersten als auch im zweiten sind, dann können die Kinder, die schon weit sind, sich an den Kindern der zweiten Klasse orientieren und die, die sehr schwach sind, haben eben Gelegenheit, ganz in Ruhe erst mal zu lernen."

Genau das ist auch die Begründung von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave von der SPD für die Änderung im Schulgesetz. Ziel ist eine individuelle Förderung – beispielsweise auch von hochbegabten Kindern, so die Ministerin:

"Hochbegabte Kinder, die möglicherweise sich langweilen oder nicht genug Futter bekommen schon in der Grundschule, die können zum Beispiel die Eingangsphase in einem Jahr durchlaufen, ohne dass das eine Art Überspringen ist, sondern sie können in einer solchen Eingangsphase alles lernen in einem Jahr, was sonst in zwei Jahren hintereinander dran kam und dann gleich in die dritte Klasse übergehen."

Andere können sich für die Eingangsphase drei Jahre Zeit lassen, so dass die Grundschule künftig je nach individuellen Fähigkeiten ohne Sitzenbleiben und Überspringen in drei, vier oder fünf Jahren durchlaufen wird, erklärt Ministerin Erdsiek-Rave.

"Für die Eltern ist das natürlich auch neu, dass ihre Kinder nicht immer komplett dann in einer Klasse sitzen, aber sie werden feststellen – und da, wo es das schon gibt, ist das auch so –, dass ihre Kinder gut und individuell dabei gefördert werden."

Die Grundschulen haben jetzt drei Jahre Zeit, eigene Konzepte für jahrgangsübergreifenden Unterricht zu erarbeiten und bekommen dabei Hilfen vom Ministerium. Aber nicht überall scheint die Umsetzung so einfach zu sein, wie an der einzügigen Uwe-Jens-Lornsen-Schule in Kiel. Größere Schulen sehen organisatorische Schwierigkeiten. Sie finden Unterstützung bei der CDU-Landtagsfraktion, die das neue Schulgesetz in der Großen Koalition mit beschlossen hatte. Die bildungspolitische Sprecherin Susanne Herold plädiert dafür, den Schulen die Umsetzung frei zu stellen. Auch sie sieht Probleme bei Schulen mit starken Jahrgängen.

"Das würde bedeuten, dass man hier neue Kapazitäten schaffen muss, das würde bedeuten vielleicht, dass man neue Lehrkräfte dazu bitten muss, damit die dann diesen jahrgangsübergreifenden Unterricht gestalten können. Das sind alles Dinge, die eintreten können, wenn man es verbindlich macht."

Bildungsministerin Erdsiek-Rave will aber an dem Gesetz festhalten:

"Alles Neue erzeugt auch immer Unruhe und Reibung, und an manchen Schulen – und die wenden sich dann natürlich auch an die Öffentlichkeit – ist der Eindruck entstanden, das müssen wir jetzt Hals über Kopf und sofort machen. Dabei ist ganz klar geregelt, dass sie sich mit den Konzepten und auf dem Weg Zeit lassen können, dass sie Dinge erproben können, dass sie schauen, wie andere es machen, und dass erst in drei Jahren das Ganze wirklich umgesetzt werden soll."

So viel Zeit will sich die Uwe-Jens-Lornsen-Schule nicht nehmen. Schulleiterin Kilian hält eine Umsetzung zum nächsten Schuljahr für möglich:

"Wir hier an der Schule sagen, das ist eine große Herausforderung. Was unterm Strich letztlich in Jahren dabei herauskommt, ob das dann wirklich effektiver ist als das, was wir bisher machen, das wird sich dann zeigen. Auf jeden Fall stehen wir auf dem Standpunkt, dass die Idee eigentlich gut ist und dass man eigentlich erst mal mit Elan rangehen sollte."