Gelobtes Land Europa

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 22.06.2010
Regisseur Gerardo Olivares schildert in "14 Kilometer" die Irrfahrt von drei Afrikanern. Ihre beschwerliche Reise führt durch die Wüste in Richtung marokkanische Küste, von der aus sie illegal nach Spanien gelangen wollen.
Die Bilder von afrikanischen Flüchtlingen, die tot oder lebendig an europäischen Küsten ankommen, sind in den Massenmedien allgegenwärtig. Am kommenden Donnerstag startet der spanische Film "14 Kilometer - Auf der Suche nach dem Glück” in dem Regisseur Gerardo Olivares die Irrfahrt von drei Afrikaner schildert: durch die Wüste in Richtung marokkanische Küste, von der aus sie illegal nach Spanien möchten. Wolfgang Martin Hamdorf stellt den Film vor.

Es wird Abend in Afrika. Langsam versinkt die Sonne über dem Fluss und den Fischerbooten. Aber die Idylle täuscht. Violeta, eine junge Frau, soll nach dem Willen ihrer Familie mit einem alten Mann verheiratet werden. Daher will sie ihr Heimatland Mali verlassen und in den Norden flüchten, ins gelobte Europa.

Im Nachbarland Niger träumt Bouba von einer internationalen Karriere als Fußballer. Sein Bruder Mukela schwärmt ihm von Europa vor:

"Lass uns nach Europa gehen, wir nichts zu verlieren. Ich will es auf jeden Fall noch einmal versuchen. Du wirst dort berühmt werden und ich will so leben, wie alle diese Weißen in den Fernsehserien. In Europa da liegt das Geld auf der Straße. Es ist das Paradies."

Auf der langen Fahrt begegnen sich Bouba, Mukela und Violeta und setzen gemeinsam die gefährliche Reise fort. Aber auf dem Marsch durch die Wüste verlieren sie die Orientierung. Der Film zeigt eine lange und entbehrungsreiche Reise ins Ungewisse, von Zentral-Niger durch die endlose Tenere-Wüste bis nach Algerien und Marokko. Eine Reise mit dem Bus, mit dem Flussdampfer, auf völlig überfüllten Lastwagen und dann zu Fuß. Eine Reise, die immer wieder von Polizisten, korrupten Grenzposten und der Schlepper Mafia bedroht ist und jederzeit tödlich enden kann.

Der Titel des Films "14 Kilometer" bezieht sich auf die kürzeste Distanz zwischen Nordafrika und Spanien. An der Meerenge, an der Tausende Immigranten ihr Leben verloren haben. Regisseur Gerardo Olivares:

" Es ist eine kurze Entfernung, die aber zwei Welten trennt. Wenn man von Tarifa auf die andere Seite blickt, scheint es so nah. Wir liegen viel näher an Afrika als an Schweden, aber trotzdem ist diese Entfernung ein unüberwindliches Hindernis für alle Menschen, die nach Europa kommen wollen, für ihre Träume oder weil sie sonst keinen Ausweg mehr für ihr Leben sehen." "

Viele spanische Filme handeln von diesen 14 Kilometern, von den oft tödlich endenden Überfahrten illegaler Immigranten nach Europa. Auch in den Massenmedien ist das Thema immer präsent. Mit seinem Film wollte Gerardo Olivares aber die lange Vorgeschichte zeigen:

"Wir sehen immer nur das Ende der Reise. Aber vor diesen Bildern liegt eine lange Geschichte, Menschen, die einen ganz anderen Ozean durchqueren müssen, einen aus Sand, die Sahara, ein Weg auf dem noch mehr Afrikaner sterben als bei der Überfahrt nach Spanien. Aber davon erzählen die Medien nichts und deswegen wollten wir es mit '14 Kilometern' erzählen."

Der Film lebt auch von seinen beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und von seinen Farben: Die Wüste, die Berge und das Meer und auch die Menschen in ihren bunten Trachten, ohne dass dabei der Eindruck falscher Folklore oder der Verklärung des Exotischen entsteht.

Gerardo Olivares hat über Jahre hinweg Fernsehdokumentarfilme in allen Teilen der Welt gedreht und dadurch einen ganz besonderen Blick für ethnografische Details bekommen. Auch "14 Kilometer" hat er dokumentarfilmartig mit einem fünfköpfigen Team in Mali, Niger, Marokko und Spanien gedreht. Zu dem authentischen Gesamteindruck tragen aber auch die Laiendarsteller, besonders die drei Hauptfiguren bei:

"Ich wollte die wirklichen Menschen in diesem Film zeigen. Sicherlich gibt es manche Situationen, die dir ein professioneller Schauspieler besser lösen kann, aber ich wollte diese Unbefangenheit der Figuren. Ich möchte den Zuschauer aber auch an diese Grenze führen, wo er nicht mehr weiß, was dokumentarisch ist und was Fiktion. Fast alle Menschen, die in unserem Film auftauchen, spielen sich selbst, und ich habe versucht, so viel wie möglich an den Originalschauplätzen dieses großen Dramas der Immigration drehen."

Am Ende einer langen Reise steht ein offenes Ende, kein Happy End. Wenn die Flüchtlinge die Meerenge dicht gedrängt in einem kleinen Boot überqueren, verzichtet der Film auf jedes künstliche Licht, zeigt spröde Bilder, wie von einem Nachtsichtgerät einer Polizeikamera aufgenommen. Und die ersten Schritte im gelobten Land sind wieder die gleichen Fluchtbewegungen: laufen und sich verstecken – nur diesmal vor der spanischen Polizei.