"Gelobtes Land Deutschland"

Wie können Flüchtlingsträume entzaubert werden?

Flüchtlinge gehen an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid nach Deutschland.
Flüchtlinge gehen an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid nach Deutschland. © dpa-Bildfunk / Armin Weigel
27.01.2016
Vor den Folgen gezielter Gerüchte über die deutsche Flüchtlingspolitik in den sozialen Medien warnt Carsten Wieland, Leiter des Deutschlandzentrums des Auswärtigen Amtes in Kairo. Man dürfe diese nicht "den Rattenfängern überlassen", fordert er.
Mit den dort gestreuten Gerüchten würden bei Flüchtlingen falsche Hoffnungen geweckt. Das habe "fatale Folgen" für die Menschen: "Die sich dann aufgrund dessen für etwas entscheiden oder sich in die Hände von Schleusern begeben und sich an jeden Strohhalm klammern, den sie finden im sozialen Netz."
Wieland verwies auf die Arbeit des Deutschlandzentrums, das für die gesamte arabische Welt zuständig sei. Zu dessen Aufgaben gehöre es auch, diese Gerüchte in den sozialen Netzwerken zu dementieren. Die Urheber der Gerüchte seien allerdings oft schwer auszumachen. Manche würden nur Aufmerksamkeit erregen wollen, andere wiederum verfolgten damit gezielte Interessen: "Die ein Geschäft damit machen, wenn sich Menschen anlocken lassen. Also wenn durch Gerüchte mehr Flüchtlinge produziert werden. Und damit eine gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen, um sich dann eben in die Hände dieser Schleuser zu begeben."
Beispielsweise kursiere die Falschinformation, dass Deutschland Schiffe in die Türkei oder in den Libanon schicke, mit denen Flüchtlinge abgeholt werden sollten, äußerte Wieland: "Und es waren dann tatsächlich auch Flüchtlinge vor der deutschen Botschaft im Libanon und haben gefragt: 'Wo sind die Schiffe? Wir wollen auf die Schiffe.'"

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es ist ein Zitat der Kanzlerin aus früheren Tagen der Flüchtlingskrise: "Ich werde nicht in einen Wettbewerb eintreten um die schlechteste Behandlung der Flüchtlinge." Angela Merkel im Oktober. Seither hat sich der Fokus auch bei ihr etwas verschoben. Flüchtlingszahl deutlich reduzieren, unter anderem auch dadurch, denjenigen, die an eine Flucht an Deutschland denken, ein realistisches Bild dessen zu geben, was sie erwartet, oder, anders gesagt, falsche Hoffnungen zu zerstreuen, die sich in sozialen Netzen ganz von selbst verbreiten. Ein Team an der deutschen Botschaft in Kairo durchforstet dafür regelmäßig das Netz, das sogenannte Deutschlandzentrum, zuständig für die gesamte arabische Welt. Geleitet wird es von Carsten Wieland, jetzt live aus Kairo zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Wieland!
Carsten Wieland: Guten Morgen!
Frenzel: Welche Hoffnungen sind das denn, die sich da verbreiten auf Facebook und anderen Seiten?
Wieland: Was sich seit Monaten im Netz findet, aber auch auf Twitter, auf Facebook und auch im mündlichen Austausch unter den Flüchtlingen, sind Gerüchte, die falsche Hoffnungen machen auf beispielsweise Schiffe, die Deutschland in die Türkei schickt oder in den Libanon, um sie abzuholen dort. Und es waren ja dann tatsächlich auch Flüchtlinge vor der deutschen Botschaft im Libanon und haben gefragt, wo sind die Schiffe, wir wollen auf die Schiffe. Oder dass die Bundesregierung den Menschen, wenn sie als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, einen Job garantiert mit mindestens 2000 Euro, stand irgendwo auch mal im Netz. Oder es wird behauptet, dass der Familiennachzug nach Deutschland ohne Weiteres in kürzester Zeit möglich sein wird.
Frenzel: Sind es nur falsche Gerüchte – das, was Sie jetzt erzählt haben, sind ja alles Dinge, die so nicht stimmen – oder verbreitet sich auch ganz gut ein realistisches Bild, was aber auch sehr werbewirksam ist?
Wieland: Es sind, glaube ich, weniger Missverständnisse, als gezielt gestreute Gerüchte oder im besten Fall vielleicht wishful thinking. Aber es sind eben Gerüchte, die fatale Folgen haben für Familien, für Menschen, die sich aufgrund dessen für etwas entscheiden oder sich in die Hände von Schleusern begeben und sich an jeden Strohhalm klammern, den sie finden im sozialen Netz. Sie haben ja ihre Handys meistens auch dabei, und das – wir dürfen einfach die sozialen Medien nicht den Rattenfängern überlassen, die die Menschen mit diesen Gerüchten irreleiten und verunsichern.
Frenzel: Wenn Sie sagen "Rattenfänger" und "gezielt gestreut" – wer ist das?
Wieland: Das ist immer recht schwer zu sagen. Das können Leute sein, die einfach irgendwie Aufmerksamkeit erregen wollen. Andere mit vielleicht ganz gezielten Interessen, die ein Geschäft damit machen, wenn sich Menschen anlocken lassen, also wenn durch Gerüchte mehr Flüchtlinge produziert werden und damit eine gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen, um sich dann eben in die Hände dieser Schleuser zu begeben. Das kann eben auch sein. Wir haben verschiedene Gerüchte auch mal verfolgt. Manchmal führen die sogar nach Deutschland, sind auch dort produziert worden von Menschen arabischer Herkunft. Wir wissen nicht genau, was genau dahinter steckt. Es können einzelne Personen sein. Aber wir konzentrieren uns in erster Linie auch darauf, diese Gerüchte dann auch zu dementieren.
"Wir reagieren auf den gleichen Kanälen"
Frenzel: Wie machen Sie das?
Wieland: Wenn wir auf so ein Gerücht stoßen, dann besprechen wir natürlich zunächst unsere offizielle Sprache, also, was ist eigentlich die Wirklichkeit? Unter welchen Bedingungen kann man Familien nachziehen lassen, wie sieht es eigentlich aus in der deutschen Realität? Und dann müssen wir natürlich sehr schnell reagieren auf den gleichen Kanälen, sozusagen als ein Wettbewerb um Wahrnehmung. Und diesen Wettbewerb nehmen wir natürlich sportlich auf, und wir freuen uns dann, wenn unsere Dementis eine größere Verbreitung finden als die Gerüchte selbst. Und das machen wir dadurch, dass wir nicht nur in den sozialen Medien streuen, dort, wo sie entstanden sind, sondern eben auch Presseagenturen, auch die klassischen Medien dann einschalten. Und das ist uns in vielen Fällen bisher gelungen.
Frenzel: Ich habe das Ziel der deutschen Politik anfangs zitiert, deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Muss ich Ihre Arbeit in Kairo so verstehen, sind Sie diejenigen, die einem jungen Araber die Ausreise nach Deutschland eher ausreden sollen?
Wieland: Nein. Das Deutschlandzentrum besteht ja nicht erst seit der Flüchtlingskrise, sondern das gibt es schon seit zwölf Jahren, und wir haben ein gezieltes Angebot. Im Prinzip ist das die Kommunikationsplattform der Bundesregierung mit der arabischen Welt, zu allen Themen, also von Lifestyle, Sport, deutsche Wirtschaft, Energiepolitik, eben bis hin zur Politik. Und das fahren wir ja auch weiter. Wir haben natürlich die Aufgabe, Deutschland in seinem ganzen Spektrum darzustellen, aber gleichzeitig haben wir den Auftrag – und ich denke, das hilft den Flüchtlingen genauso, die Realität darzustellen, authentische Informationen zu bieten aus erster Hand.
"Wir sind in der arabischen Welt, um das Deutschlandbild zu vertreten"
Frenzel: Aber das heißt, Sie würden zum Beispiel auch einem jungen ägyptischen Journalisten, der jetzt gerade angesichts der Situation in Ägypten merkt, ich kann hier gar nicht mehr frei arbeiten, ich werde eventuell sogar von der Polizei verfolgt, können sie dem auch signalisieren, bei uns bist du sicher?
Wieland: Wir sind ja nicht dafür da, direkt mit den Menschen über Anliegen, über Ausreisen, über Visa-Dinge zu sprechen. Das macht unsere Visastelle. Da geht es um auch ganz andere Kriterien. Wir sind Medienschaffende. Wir sind in der arabischen Welt, um das Deutschlandbild zu vertreten im Ausland, und wir haben natürlich in den Facebook-Seiten Kommentare, Menschen, die uns ansprechen. Da geht es auch nicht immer nur um Ausreise oder "Wie kann ich am besten nach Deutschland kommen?", sondern da geht es tatsächlich um auch konkrete Pläne, um Stipendien, um Studienmöglichkeiten in Deutschland. Das ist das ganze Spektrum, das wir da haben, und wir versuchen eben auch, unsere Messages durchaus auch weiterhin zu mixen, also nicht nur über Flüchtlingspolitik zu twittern und auch unsere Postings zu machen, sondern weiterhin alle Themen zu bespielen. Und das ist natürlich dann ein gewisser Grat, auf dem man sich bewegt, dass Deutschlandbild in seiner umfassenden Form darzustellen, und gleichzeitig die harte Realität, die wir auch in der Flüchtlingsfrage haben, mit darzustellen.
Frenzel: Ich bleibe noch mal kurz bei der Flüchtlingsfrage. Wir haben gestern mit der Ethnologin Heidrun Friese gesprochen hier im Deutschlandradio Kultur, sie hat sich viel mit arabischen Jugendlichen und ihrem Blick auf Europa beschäftigt. Und auf die Frage, ob die sich – ich verkürze mal – von nicht so guten Perspektiven bei uns abschrecken lassen, da hat sie das gesagt:
Heidrun Friese: Versetzen Sie sich in die Lage eines jungen Mannes, der im Hinterland in Tunesien sitzt: Der versteht von Rückführungsabkommen nichts, der versteht nichts von Obergrenzen. Und da lassen Sie sich nicht aufhalten von dem Politiker, der sagt, das geht aber nicht und beachtet mal, ihr werdet alle wieder zurückgeschickt, weil es immer jemanden gibt, der es geschafft hat, und der ist das Vorbild und nicht derjenige, der wieder zurückgeschickt wird. Da können Sie Maßnahmen ergreifen, so viel Sie wollen, Sie werden diese Leute nicht aufhalten, weil Sie einfach die Träume dieser Leute und das Lebensgefühl nicht beeinflussen können.
Frenzel: Die Ethnologin Heidrun Friese gestern früh bei uns hier im Programm von Deutschlandradio Kultur. Herr Wieland vom Deutschlandzentrum in Kairo ist weiter hier in der Leitung am Telefon. Ist die Hoffnung am Ende immer stärker als die Fakten, wie Sie sie liefern?
Wieland: Das ist natürlich schwer zu messen, wieweit sich Aufklärungsarbeit tatsächlich in Verhalten dann niederschlägt. Aber das, was die Ethnologin sagt, mag sicherlich stimmen, aber wir haben ja jetzt auch Fälle, in denen Flüchtlinge sich entscheiden, zurückzukehren, weil sie mit den Bedingungen, die sie in Deutschland vorfinden, nicht zufrieden sind oder es sich anders vorgestellt haben. Und das sind ja auch Fakten, das sind ja auch Erlebnisse, Erfahrungen, die die Flüchtlinge im sozialen Netz teilen, und auch darüber müssen wir sprechen. Warum gehen Flüchtlinge wieder zurück? Oft natürlich nicht ins Bürgerkriegsland oder an den Rand, vielleicht zurück in den Irak oder auch in die Umgebung, in die Türkei. Das passiert eben auch, das sind auch Erfahrungen. Und wenn wir eben sehen, dass unsere Richtigstellungen, unsere Dementis von Gerüchten weitere Verbreitung finden als die Gerüchte selbst, dann freuen wir uns natürlich, und wir freuen uns auch, dass die klassischen Medien sehr sehr positiv auf unsere Signale reagieren und dankbar dafür sind. Menschen auch, die uns schreiben, die dankbar sind, dass wir Dinge wirklich richtigstellen. Und dann sind das einige Indizien dafür, dass wir doch einen gewissen, dass wir eine Ausstrahlung von Kairo aus in die arabische Welt haben. Und wenn es einige Menschen davon abhält, aufgrund völlig falscher Informationen sich auf den gefährlichen Weg zu machen, dann ist das schon ein Erfolg für uns.
Frenzel: Das sagt Carsten Wieland, der Leiter des Deutschlandzentrums in Kairo, zuständig für die gesamte arabische Welt, zuständig dafür, jungen Menschen dort deutlich zu machen, wie die Verhältnisse hier wirklich sind, aber auch ein realistisches Deutschlandbild zu zeigen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Wieland: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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