Geld im Fussball

Fans wollen keine Vereine aus der Retorte

Fußball-Spieler im Trikot von RB Leipzig
Fußball-Spieler im Trikot von RB Leipzig © dpa / picture alliance / Kevin Kurek
Von Günter Herkel · 01.11.2015
Den Fußballverein RB Leipzig gibt es erst seit sechs Jahren - und doch spielt er schon in der Zweiten Bundesliga. Der Grund: Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz investiert Millionen in den Klub. Bei den Fußballfans kommt das nicht immer gut an.
Für viele Fußballfreunde war der Aufstieg des FC Ingolstadt in die Erste Bundesliga keine gute Nachricht. Gegen "Werkklubs" hätten alteingesessene Traditionsklubs sportlich immer weniger Chancen - so lautet der zentrale Vorwurf.
Das gilt nicht nur für viele Fans. Auch Klubpräsidenten wie Heribert Bruchhagen, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, reden von "Verdrängern", wenn die Rede auf echte Werksklubs wie VfL Wolfsburg oder Bayer Leverkusen kommt. Der zentrale Vorwurf: Gegen neureiche Klubs, die von Konzernen mit millionenschweren Investments gepäppelt werden, hätten alteingesessene Traditionsklubs sportlich immer weniger Chancen.
Bei den Fans konzentriert sich die Abneigung in jüngster Zeit auf RB Leipzig und seinen Mäzen Dietrich Mateschitz. Die Anfeindungen, derer sich der Klub zu erwehren hat, erinnern an die langjährigen Auseinandersetzungen um die TSG 1899 Hoffenheim und ihren Hauptsponsor Dietmar Hopp. Gibt es eine moralische Rechtfertigung für die Proteste der Traditionalisten?

Das Manuskript zum Nachlesen:
"Klubs wie RB Leipzig das nun mal ist, da geht es wirklich drum, Dosen zu verkaufen."
"Die Bayer 04 Leverkusen Fußball AG gehört zu 100 Prozent der Bayer AG beispielsweise. Die VfL Wolfsburg AG GmbH gehört zu 100 Prozent der Volkswagen AG. Und da muss man ja fragen: Haben diese beiden Konzerne kein vorrangiges Interesse daran, ihre Produkte bestmöglich zu platzieren, so wie es RB Leipzig tut."
"11 Freunde"-Chefredakteur Philipp Köster und der Publizist Alex Feuerherdt. Zwei Männer, deren Fußballphilosophien extrem unterschiedlich sind.
Ende August, fünfter Spieltag der Zweiten Bundesliga. Im Stadion in der Alten Försterei tritt der 1. FC Union Berlin gegen RB Leipzig an. Die Ultras von der Fan-Initiative "Szene Köpenick" haben zum Protest gegen die Gästemannschaft aufgerufen. In der ersten Viertelstunde der Partie werden die heimischen Fans schweigen. Danach haben die Unioner ihre Stimme wieder gefunden und ziehen mächtig vom Leder:
"Die haben sich eine Lizenz gekauft und seitdem spielen sie und stecken Millionen rein. Und das macht einfach keinen Spaß, können wir auch nicht. - Das ist ja das, wogegen wir demonstrieren an sich, dass halt die Großinvestoren da sind und halt die Kohle da rein buttern."
Dietmar Beiersdorfer, bis 2011 Vorstandsvorsitzender bei RBL, sieht das naturgemäß anders:
"Wenn man die Philosophie von Red Bull kennt, ist es auf Nachhaltigkeit angelegt und soll eben dazu führen, dass wir wirklich einen sehr, sehr guten Klub entwickeln, der auch nach Fußball riecht und nach Fußball sich anfühlt. Und nicht wie ein Investor einsteigt und am nächsten Tag wieder aussteigt, wenn der Kurs gestiegen ist. Also, das ist nicht der Fall."
Unter die Anfeuerungsrufe der Union-Fans mischen sich auch Schmähgesänge gegen die Leipziger:
"Ihr macht unsern Sport kaputt"
Ihr macht unseren Sport kaputt? Kein Verein polarisiert derzeit die Fußballszene mehr als Rasen-Ballsport Leipzig. Dahinter steht der österreichische Energy-Drink-Hersteller Red Bull. Mit RB Salzburg fing es an. 2009 entschied Konzernchef Dieter Mateschitz, sein Fußball-Engagement nach Deutschland auszuweiten. Der Einstieg gelang mit einem bemerkenswerten Trick: Mateschitz kaufte dem sächsischen Oberligisten SSV Markranstädt das Startrecht ab und übernahm kurzerhand die Erste Mannschaft samt Trainerstab. Mithilfe massiver Investitionen gelang innerhalb von fünf Jahren der Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Doch das soll nur eine Durchgangsstation sein.
Ist der RB Leipzig ein reines Marketingprojekt?
Die Red-Bull-Arena Leipzig am Freitag vor einer Woche. Nach einem 2:1 Sieg über Fortuna Düsseldorf sind die Sachsen erstmals in dieser Saison Zweiter. Ein Aufstiegsplatz, auf dem der Verein natürlich gerne auch am Saisonende stehen würde. RB Leipzig ante Portas? Vielen Fußballfans ist dies ein Greuel. Ihnen gilt der RBL schlicht als künstliche Schöpfung, als Plastikklub. Vor allem als Konstrukt, mit dem dank massiver Investitionen eines branchenfremden Kapitalgebers den Traditionsmannschaften künftig das Leben noch schwerer gemacht werden könnte. Einer der schärfsten Kritiker ist "11 Freunde"-Chefredakteur Philipp Köster. Er hält RB Leipzig für ein reines Marketingprojekt, eines dieser Unternehmen, denen er zutraut, mittelfristig die gewachsene Fußballkultur in Deutschland zu zerstören.
"Da geht es nicht drum, den Osten zu fördern, da geht es nicht drum, die Jugend zu fördern, da geht es nicht drum, den Leuten in Leipzig besonders schönen Fußball zu bieten, da geht es wirklich nur darum, die Awareness, wie man in der Werbeindustrie so schön sagt, der Marke Red Bull und dieser ganzen Dosengeschichte zu steigern."
Ganz anders denkt der Publizist und ehemalige Oberliga-Schiedsrichter Alex Feuerherdt. Gelegentlich hält der Rheinländer auf Fan-Foren Vorträge über die Kommerzialisierung im Fußball. Anders als viele andere Zeitgenossen hält er RB Leipzig keineswegs für den Untergang des Fußballs.
"Ich weiß, dass das natürlich kalt und herzlos klingt, wenn man das so sagt, aber: Die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung, in der wir nun mal leben, hat den Fußball längst eingeschlossen, und deswegen gibt es eben keinen Unterschied mehr im Grundsatz zwischen RB Leipzig, also einem Verein, der zur Gewinnmehrung eines Unternehmens ins Leben gerufen worden ist und einer Kapitalgesellschaft, die den Fußball als Ware verkauft."
Und Kapitalgesellschaften sind inzwischen die meisten Bundesligavereine. Doch der Reihe nach. Kritiker von RBL reagieren nicht nur aus dem Bauch, sie haben auch jede Menge Argumente. Zum Beispiel die trickreiche, nicht ganz statutengerechte Gründungsgeschichte. Oder das dem Firmenemblem von Red Bull stark nachempfundene Vereinslogo. Oder die problematische Vereinsstruktur mit nicht viel mehr als einem Dutzend zahlungskräftigen Mitgliedern.
RB Leipzig selbst hält sich übrigens bedeckt. Auf Anfrage von Deutschlandradio Kultur teilte der Zweitligist mit, er wolle sich zu dieser Thematik nicht mehr äußern, Philip Köster dagegen schon:
"Wenn man sich anschaut, dass da quasi eine Simulation von Verein aufgezogen worden ist, mit Mitgliedern, die alle nicht in Leipzig sitzen, sondern in Fuschl am See, in der Firmenzentrale von Red Bull, dann kapiert man einfach: Red Bull spielt ständig falsch und sagt gleichzeitig, sie sind auf Fairplay und Fairness aus. Das passt überhaupt nicht zusammen."
Vor allem die hohen Ausgaben für Spielerkäufe sehen konkurrierende Klubs mit weniger finanziellen Möglichkeiten als Wettbewerbsnachteil. Zu Beginn dieser Saison gaben die Leipziger knapp 19 Millionen Euro für neue Profis aus – mehr als alle anderen Zweitligisten zusammen. Darunter auch das große deutsche Talent Davie Selke, der für acht Millionen von Werder Bremen abgeworben wurde. Ein Dorn im Auge ist den Traditionalisten auch die Praxis von Red Bull, Spieler innerhalb seines Imperiums munter hin und her zu verschieben. Die Ressentiments der Fans entladen sich immer wieder in wüsten Beschimpfungen, gelegentlich auch in gewalttätigen Aktionen. Während der Auslosung zur 1. DFB-Pokalhauptrunde wurden im Publikum Hassgesänge angestimmt. "Sportschau"-Moderator Alexander Bommes sah sich genötigt zu intervenieren.
"Bullenschweine, Bullenschweine."
Da wird schon mal Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz auf Transparenten als Nazi beschimpft. Oder der Mannschaftsbus der Roten Bullen blockiert. Im Frühjahr reagierte die Deutschen Fußball-Liga und verurteilte derlei Ausschreitungen. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert:
"Es gibt keinen noch so hehren Wert, und völlig egal, ob man den als Kapitalismuskritik, Kommerzkritik, Traditionsbewusstsein oder sonst was auflädt, der auch nur im Ansatz rechtfertigt, das zu vollziehen, was sich teilweise rund um Klubs abgespielt hat."
Auch der TSG 1899 Hoffenheim erhitzte die Gemüter
Es ist nur wenige Jahre her, dass ein anderer Verein auf vergleichbare Weise die Fußball-Gemüter erhitzte: Die TSG 1899 Hoffenheim. Ein Verein, der dank der Millionen seines Mäzens und SAP-Gründers Dietmar Hopp innerhalb von sieben Jahren den Durchmarsch von der dritten in die Erste Bundesliga schaffte. Die Erfolgsgeschichte der Hoffenheimer wurde von den etablierten Klubs mit Bewunderung, aber auch einer Portion Neid verfolgt. Den Fans mancher Traditionsvereine galt und gilt Hoffenheim – ähnlich wie heute RBL - als "Retortenklub", gar als Symbol für die Verschärfung kapitalistischer Tendenzen im Fußball. Der damalige Manager Jan Schindelmeiser wies 2009 diese Kritik vehement zurück:
"Nein, das ist einfach Blödsinn. Weil wir nicht den kommerziellen Fußball erfunden haben. Den gibt es schon ein paar Jahre. Und speziell auch unser Klub, der sich jetzt seit 1990 step by step nach oben bewegt hat, ist im Prinzip fast das Gegenbeispiel. Bei uns hat keiner den Klub gekauft. Herr Hopp ist nicht gekommen und hat dann irgendwann mal gesagt: In der Ersten Bundesliga, das ist ein interessantes Projekt, kauf ich mal den Verein, geben wir mal Geld und irgendwann zieh ich es mit Rendite wieder raus. Das ist bei ihm eher ne Herzensangelegenheit."
Julian Nagelsmann, Trainer des TSG 1899 Hoffenheim
Julian Nagelsmann, Trainer des TSG 1899 Hoffenheim, am 25.05.15 im Lohrheidestadion in Bochum© picture alliance / dpa / Revierfoto
In der aktuellen Kontroverse um RB Leipzig hat die Deutsche Fußball-Liga eine klare Position zugunsten des Klubs. Andreas Rettig, bis Mitte dieses Jahres DFL-Geschäftsführer:
"Jeder Investor ist herzlich willkommen, er muss sich nur an die Spielregeln halten. Von daher wär es ja abstrus, Investoren, die sich engagieren für den Fußball, die im Übrigen nicht nur in Kickerbeine investieren, sondern wie am Beispiel Leipzig, nachhaltig in Stadion, in Infrastruktur, Nachwuchs-Leistungszentrum zweistellige Millionenbeträge – das wär ja aberwitzig, zu sagen: Das dürft ihr nicht, weil wir hier möglicherweise einen ideologischen Kampf zu führen hätten. Das ist nicht unsere Aufgabe."
Unter Fans und Fußballbegeisterten wird dieser Kampf sehr wohl geführt. Dabei lassen sich zwei Fraktionen unterscheiden: Die Romantiker und die Realisten. "11 Freunde"-Chef Köster zählt zweifellos zu den Romantikern:
"Ich halte es für vollkommen falsch zu sagen, Fußball ist ohnehin nur noch Kommerz. Dann würde Fußball nicht mehr funktionieren, wenn es so wäre. Ich glaube, dass der Fußball und die Bundesliga es bisher eigentlich noch ganz okay hingekriegt hat, diese Äquidistanz zwischen Kommerz und Kultur ganz ordentlich hinzubekommen. Für jeden Fan, das ist ganz klar, bedeutet Profifußball immer auch Schmerzen. Wenn man einen schrecklichen Trikotsponsor auf der Brust hat, wenn man sieht, wie man da vor dem Spiel beschallt wird mit 100.000 Werbebotschaften – das ist alles für den Fan schwer auszuhalten. Aber er hält es aus, wenn er das Gefühl hat, dass dahinter eine größere Idee und nicht nur einfach Kommerzinteressen stecken."
Die Gegenseite vertritt der Publizist Alex Feuerherdt. Die Kommerzialisierung, so stellt er fest, habe in der Bundesliga spätestens Anfang der 1970er-Jahre mit der Einführung von Trikotwerbung begonnen. Ein weiterer Meilenstein sei die Gründung der Deutschen Fußball-Liga im Jahr 2000 gewesen.
Aber existieren nicht klare Grenzen für ungezügelten Kommerz? Vor allem durch die 50+1-Regel. Danach müssen Profiklubs immer eine Mehrheit der Stimmrechte halten. Dahinter steckt die klare Absicht, den Einfluss von Investoren im Fußball zu begrenzen. Was aber immer weniger gelingt.
"Die Regel ist vielfach durchlöchert. Es gibt Ausnahmen, Wolfsburg beispielsweise, Hoffenheim, Leverkusen, und demnächst wohl auch Hannover 96, die nicht mehr darunter fallen. Weil eben die entsprechenden Unternehmen länger als 20 Jahre den Mutterverein mit finanziert haben. Die Bedingung, dass sie mehr Anteile übernehmen können als diese 50+1. Man hat da schon gewisse Schlupflöcher geschaffen."
Die sogenannten Werksklubs nehmen in der Debatte eine Sonderstellung ein. Feuerhardt macht keine Ausnahme:
"Die Bayer 04 Leverkusen Fußball AG gehört zu 100 Prozent der Bayer AG beispielsweise. Die VfL Wolfsburg AG GmbH gehört zu 100 Prozent der Volkswagen AG. Und da muss man ja fragen: Haben diese beiden Konzerne kein vorrangiges Interesse daran, ihre Produkte bestmöglich zu platzieren, so wie es RB Leipzig tut? Natürlich haben sie das. So wie eben auch die FC Bayern München AG, die Borussia Dortmund GmbH und Co. KG a.A. ein Interesse daran haben, ihre Produkte bestmöglich zu platzieren, nämlich das Produkt Fußball."
"11 Freunde"-Chefredakteur Philipp Köster hält dagegen. Zumindest auf die Bayer-Elf aus Leverkusen treffe diese Bewertung nicht zu:
"Leverkusen ist ein ganz alter Werksklub, die sind 1904 gegründet worden, auf Betreiben von Angestellten, die einen Werksklub, also einen Betriebssportverein, gründen wollten. Bayer Leverkusen war schon lange Jahrzehnte im Profifußball engagiert, bevor man da die erste positive Mark mal geschrieben hat. Also das zu vergleichen mit einem am Reißbrett geplanten und von kaltschnäuzigen Marketing- und Mediaplanern ins Leben gerufenen Projekt halte ich für völlig verfehlt und historisch auch überhaupt nicht stimmig."
"Man mag das Produkt sympathischer finden als beispielsweise Pillen oder Autos, aber das macht für den Kapitalismus und für die Gesellschaftskritik letztlich keinen Unterschied. Es sind eben alles Waren. Wir leben in einer warenproduzierenden Gesellschaft. Und die Käufer des Produkts, die sind Kunden auch dann, wenn sie sich gleichzeitig als Fans bezeichnen. Und deswegen ist der Unterschied zwischen RB Leipzig und Bayer 04 Leverkusen oder dem VfL Wolfsburg marginal. Im Grundsatz besteht er nicht."
Ein beliebter Trick: die Übernahme unterklassiger Vereine
Eine Sicht, die möglicherweise auch Martin Kind, Präsident von Erstligist Hannover 96, teilt. Er kündigte schon vor einiger Zeit an, sobald wie möglich von dieser Ausnahmeklausel Gebrauch zu machen. Und wies dabei gleichzeitig unverblümt auf gewisse Gesetzmäßigkeiten kapitalistischen Wirtschaftens hin.
"Wir haben für den deutschen Profifußball Regeln verabschiedet, die mit der Entwicklung des Marktes nicht mehr voll umfänglich korrespondieren. Wenn man Veränderungen nicht gestaltet, schaffen sich die Marktteilnehmer Wege der Umgehung. Das ist nicht nur im Fußball so."
Die 50+1-Regelung - ein Bollwerk gegen den Ausverkauf der Fußballtradition durch kommerziell orientierte Investoren? Das Aufkommen sogenannter Retortenklubs wie TSG 1899 Hoffenheim und RB Leipzig belegt eher das Gegenteil. Wer groß ins Fußballgeschäft einsteigen will, schafft dies am ehesten durch die Übernahme unterklassiger Vereine, deren Struktur nicht von der DFL erfasst wird. Das Nachsehen haben die mittelständischen Traditionsvereine – für sie wird die Luft im hiesigen Profifußball immer dünner. Romantiker Köster glaubt trotz alledem an die unzerstörbare Emotionalität des Kulturguts Fußball:
"Man muss sich anschauen, wie viele Menschen es wirklich gibt, die den Fußball lieben, die in Schalke-Bettwäsche schlafen, die die ganze Woche traurig sind, weil der VfB Stuttgart gerade so schlecht steht – es gibt einfach eine unfassbare Menge von Leuten, die den Fußball wirklich lieben, und die kreuzunglücklich sind, wenn ihr Verein verliert. Und das ist für mich Fußballkultur. Das ist auch nicht totzukriegen, das ist nicht durch kommerzielle Interessen, das ist nicht durch windelweiche Sponsoren und auch nicht durch RB Leipzig totzukriegen. Aber sie wird eben immer wieder gefährdet."
"Es ist tatsächlich so, dass die Fußballvereine zu Konzernen geworden sind, dass diese Fußballvereine genau wie Red Bull und jedes andere Unternehmen auch letztlich Kunden brauchen, die ihr Produkt kaufen. Und dass diese Kundschaft aus Fans besteht, die davon ausgehen, dass der eigentliche Daseinszweck ihres Lieblingsklubs noch immer das Fußballspiel als solches ist und eben nicht die, um es mal deutlich zu sagen, die Kapitalakkumulation, das macht das Marketing natürlich erheblich einfacher, weil die emotionale Bindung auch über den Verweis auf Tradition und auf Fankultur, etc. weil diese emotionale Bindung umsatzfördernd ist."
Wer jemals erlebte, wie bei den Heimspielen des FC Schalke an die 60.000 Fans inbrünstig beim Einlaufen der Mannschaft dieses alte Bergarbeiter-Lied mitsingen, wird sich einer gewissen Rührung kaum entziehen können.
"Schalke 04 ist ja auch ein gutes Beispiel dafür, wie sowas eben vermarktet wird. Sie gehen ja gerade hin, spielen die entsprechenden Lieder, bedienen die entsprechenden Bilder, es wird so ein bisschen das Image des alten Arbeitervereins nochmal aus der – ich möchte fast schon sagen – Mottenkiste gekramt und nochmal ein bisschen aufgepeppt. Auch das ist natürlich ein Marketing-Gag."
"Ich glaube, dass zum Beispiel es beim FC Schalke immer noch so ist, dass der letzte Vereinszweck, das Innerste, was diesen Klub zusammenhält und das ihn antreibt, ist nicht, dass man nur darauf schaut, dass möglicherweise ein russisches Unternehmen besser in Deutschland dasteht, sondern da geht es tatsächlich hauptsächlich darum, einen doch über lange Jahre erfolglosen Verein irgendwann mal wieder doch zur Deutschen Meisterschaft zu treiben."
Bei aller Pütt-Folklore und Traditionsbeschwörung - auch auf Schalke erkennt man allmählich, dass man mit Arbeiterromantik und den alten Strukturen auf die Dauer im Reigen der Großen nicht wird mithalten können. Auch wenn die 140.000 Mitglieder im Tagesgeschäft keinerlei relevante Mitspracherechte haben: Noch ist S04 der letzte eingetragene Verein, der im oberen Drittel der Bundesliga und regelmäßig international mitspielt. Aber die Ausgliederung der Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, kündigte unlängst Finanzvorstand Peter Peters an.
"Eingetragener Verein bleiben, kein Trainingslager in Katar zu machen, Gazprom wegzuschicken, Logenvermarktung aufzugeben und gleichzeitig beim nächsten Mal gegen Real Madrid gewinnen, das funktioniert nicht."
Vor der Red-Bull-Arena Leipzig. Tausende von Fans strömen herbei, und freuen sich auf die Partie der Roten Bullen gegen Fortuna Düsseldorf. Darunter auffällig viele Kinder in Begleitung ihrer Eltern. Retorte kontra Tradition? Kunstprodukt? Die RBL-Fans Torsten und Jan können mit dieser Polemik nichts anfangen:
"Ich find's gut, dass die in Markranstädt gegründet wurden, in meiner Heimatstadt. Und wenn man den SSV mit dazu nimmt, haben die eine lange Tradition."
Und noch etwas ist für Torsten wichtig:
"Gute Jugendarbeit und endlich ordentlichen Fußball hier in der Stadt Leipzig. Früher war's Lok und jetzt ist es eben RB."
Aber wie steht es mit den Finanzspritzen von Brause-Fabrikant Mateschitz? Haben nicht die Kritiker Recht, die hier eine Wettbewerbsverzerrung sehen?
"Audi steckt bei den Bayern, Allianz steckt bei den Bayern, Wiesenhof ist glaub ich Bremen und Tönnies ist Schalke. Also überall Geld ohne Ende. Leverkusen, Werkself. Wolfsburg haben wir. Aber die müssen jetzt ein bissel sparen."
Fußball-Romantiker wie Philipp Köster kritisieren sogar die Zusammensetzung der RB-Fans:
"Wenn man bei Red Bull sich anschaut, wer da so ins Stadion geht, und wie sehr das drauf geeicht ist, quasi so ein cleaner antiseptischer Familienverein zu sein, da bemerkt man einfach, dass die mit Fußballkultur, insbesondere mit der Vielfältigkeit von Fußballkultur nicht viel am Hut haben."
RB Leipzig-Fan Torsten hält die Unterscheidung zwischen guter und schlechter Fußballkultur für arrogant.
"Ich finde, wir machen hier auch schöne Stimmung. Friedlich, und vor allen Dingen: Man kann Kind und Frau mitnehmen, hier, ins Stadion. Ohne Angst zu haben, dass man Prügel kriegt, dass man verfolgt wird von irgendwelchen gegnerischen Fans. Hier macht das noch Spaß beim Fußball."
Ins Stadion ohne Angst vor Schlägereien
Die Stimmung ist wirklich gut. Auch wenn das Stadion mit knapp 25.000 Besuchern nur halb gefüllt ist. Aber was heißt "nur"? Es ist Freitagabend, noch sind Herbstferien. Im Zuschauerranking der Zweiten Liga liegt RB Leipzig vor vielen Traditionsklubs: vor St. Pauli, Düsseldorf, Kaiserslautern, und Nürnberg. Klar, ausgeklügelte Choreografien von Ultra-Gruppierungen gibt es nicht. Aber eben auch keine Bengalos, Schlägereien und andere unerfreuliche Erscheinungen, wie in anderen Stadien. So wie sie auch bei den Leipziger Traditionsklubs Chemie und Lok Leipzig nach der Wende üblich waren und bis heute sind. Petra Tzschoppe, Sportsoziologin an der Uni Leipzig, seit 2014 auch Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes, beobachtet seit langem die Leipziger Fanszene:
"Ich denke, genau das ist ein Punkt, dass diese auch ritualisierten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Traditionsvereinen letzten Endes dazu geführt hat, dass es auch eine Abkehr, eine Resignation vieler gegeben hat, die eben nicht an Austausch von Feindseligkeiten, sondern am fußballerischen Ergebnis oder am Spiel an sich interessiert waren, und das war genau die Lücke, in die RB Leipzig dann stoßen konnte."
Generell hält Tzschoppe den Verweis auf langjährige Tradition nicht für ein schlüssiges Unterscheidungskriterium im Fußball, wenn es um das Verteilen von Sympathiepunkten geht.
"Man kann den Verein ja nicht einerseits als Lorbeer an die Brust heften, wenn er 1900 oder vorher gegründet wurde, oder eben erst später entstanden ist. Das bedeutete ja Stillstand, wenn nur Vereine, die mehr als 100 Jahre auf dem Buckel haben, irgendwie als die Echten, die Wahren, die Hüter der Tradition gelten würden."
Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz formulierte es mal so: In 600 Jahren werde der einzige Unterschied zwischen Leipzig und den anderen Vereinen der sein, dass es die anderen bereits 700 Jahre gibt und RBL erst 600 Jahre.
Noch ein Wort zur Fankultur. Für "11 Freunde"-Chef Philipp Köster zeigt sich echte Klubtreue nicht zuletzt auch in der Bereitschaft von Fans, bei Auswärtsspielen ihres Vereins lange Reisen und sonstige Strapazen auf sich zu nehmen.
"Die Leute sind sehr, sehr schnell damit, über die Traditionsklubs zu schimpfen, aber freuen sich dann eben doch, wenn dann nicht nur 23 Leute im Auswärtsblock sind wie manchmal bei Leipzig oder bei Sandhausen, sondern wenn da 5000 Leute mitkommen."
Wohl wahr. Wahr ist aber auch: Beim Freitagabendspiel Leipzig gegen die Fortuna verloren sich gerade mal 150 Düsseldorfer Fans im Gästeblock. Umgekehrt unterstützten deutlich mehr RBL-Fans ihr Team Ende August im Auswärtsspiel bei Union Berlin. Was RBL-Trainer und Manager Ralf Rangnick zu einer spitzen Bemerkung provozierte.
"Es waren fast 2.000 Fans aus Leipzig da, und für einen Retortenclub – wie wir ja gern genannt werden – ist es, glaube ich, nicht so ganz schlecht. Bin mal gespannt, wie viele andere Mannschaften so viele Fans mitbringen zu einem Auswärtsspiel."
Die Kritik vieler Traditionsbewahrer an der Kommerzialisierung des Fußballs hat für Alex Feuerherdt durchaus problematische Züge. Der Appell an die gute alte Zeit, als der Fußball noch Fußball war und die Fans noch echte Fans, eben das Ausspielen von Tradition kontra "Retorte", nennt er "regressiven Antikapitalismus".
"Das heißt, man geht so ein bisschen davon aus, da gibt es irgendetwas Natürliches, etwas Grundgutes, etwas Gesundes, das irgendwie verteidigt werden muss. Und verteidigt werden muss gegen die Schädlinge, gegen die Krankheiten, gegen die Seuchen, die von außen kommen."
Eine gefährliche Tendenz, meint Feuerherdt. Denn in der Konsequenz nehme die Argumentation militanter RBL-Gegner häufig antisemitische Züge an.
"Das äußert sich beispielsweise, wenn es um RB Leipzig geht, in solchen Protestaktionen wie denen, wo dann von 'Rattenball' die Rede ist, wo Fans T-Shirts überziehen, auf denen 'Schädlingsbekämpfer' steht, wo Fußballfans sich einen Mundschutz vors Gesicht montieren und ein Transparent aufhängen, wo vor der 'Bullenseuche' gewarnt wird. Und mit dieser Seuche ist es letztlich nicht viel anders als mit den 'Heuschrecken', mit 'Ratten' und anderem Ungeziefer. Etwas Grundgesundes wird von etwas befallen, das bekämpft und vernichtet gehört."
Egal, wie militant die Traditionsbewahrer sich auch geben mögen: Der Verdrängungswettbewerb im hiesigen Profifußball dürfte weitergehen. Zu den Werksklubs werden sich weitere Newcomer gesellen, die wie RB Leipzig mit den Millionen eines Großinvestors gepäppelt werden. Einige Traditionsklubs werden da nicht mehr mithalten können. Zumindest nicht in der Ersten Bundesliga. Philipp Köster sieht diese Entwicklung mit einem Schuss Resignation:
"Die Frage ist: Wie wichtig ist den Leuten die Bundesliga noch? Und ich prophezeie einfach mal: Wenn es sieben, acht, neun, zehn Klubs gibt, die in so kleinen Wellblechpalästen wie der SC Paderborn oder Ingolstadt spielen, die sich natürlich darauf zugutehalten, dass sie moderne Strukturen haben, dass sie guten Fußball spielen – mag alles sein, nur es wird den Leuten nicht mehr so wichtig sein. Und die Frage ist eben, ob man das will."
Alex Feuerherdt ist sich sicher: Die 50+1-Regel wird kippen. Die übrigens auch einer der Miterfinder Wolfgang Holzhäuser, bis 2013 Geschäftsführer von Bayer Leverkusen für überarbeitungswürdig hält.
"Dann schafft doch eine Regelung, die dafür sorgt, dass der Verband um dem Wettbewerb gerecht zu werden jede Beteiligung im Rahmen des Lizenzierungsverfahren, egal ob 50 Prozent, 80 Prozent oder auch 40 Prozent. Und auch die Frage der Mehrheitsbeteiligung. Jede Beteiligung muss nach meiner festen Überzeugung vor dem Hintergrund geprüft werden, wird möglicherweise der Wettbewerb beeinflusst. Deswegen ist die Grenze 50+1, die ist zufällig zustande gekommen. Die muss man neu diskutieren, davon bin ich fest überzeugt."
Sollte sie wirklich fallen, wäre der Weg frei für den Einstieg weiterer Konzerne oder privater Investoren. Denkbar seien auch Entwicklungen wie in den USA, wo die Vereine auf Grundlage von Franchise-Lizenzen der Major League Soccer agieren. Für Fußballfans alter Schule sicher eine Horrorvision. Aber Feuerherdt kann den neuen Zeiten auch Positives abgewinnen:
"Bei aller Romantik, die ich auch vertrete, und bei allem tränenfeuchten Auge, das ich auch manchmal kriege, wenn ich so auf die alten Zeiten blicke, ist aber doch auch eine ganze Menge passiert, wo ich sagen muss. Da finde ich es heute besser als früher, mit den ganzen männerbündischen Strukturen in den 80er-Jahren, mit den vielen Neonazis, mit den zugigen regnerischen Stadien, die es damals gegeben hat. Um es mal so zu sagen: Es ist heute nicht alles schlecht."
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