Geklonte Welten

Von Mandy Schielke · 02.06.2009
Idylle und Utopie sind die zentralen Begriffe für die Fotoarbeiten der Berliner Künstlerin Beate Gütschow. In ihren digitalen Natur- und Stadtlandschaften reflektiert sie Denk- und Kompositionsschemata, wie sie die Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelte. Ihre Arbeiten sind nun in der Ausstellung "Visions of our time - 10 Jahre Fotografie in der Deutschen Börse" bei C/O Berlin zu sehen.
Vor den Fenstern des Ateliers rauscht die U-Bahn Richtung Osten. Die Räume im Hinterhof sind groß, aufgeräumt, weiß und hell. An der Wand hängt eine Fotografie mit dem Titel "S 14". Eine Betonlandschaft, im Vordergrund ein verfallener Flachbau mit zwei Türmen. Dahinter eine karge, platte Landschaft und zwei Hochhäuser. Der Himmel ist wolkenverhangen, Menschen sucht man in dieser Stadtlandschaft vergeblich.

Beate Gütschow: "Bei der S-Serie habe ich mich entschieden die Farbe weg zulassen, weil ich eine Referenz haben wollte zur Dokumentarfotografie des letzten Jahrhunderts, der Anfang der Fotografie Anfang des 19. Jahrhunderts war ja schwarz-weiß."

Beate Gütschow, steht in Jeans und schwarzem T-Shirt vor ihrer Fotografie und schürzt die Lippen, wenn sie spricht.

"Ich fand diese Referenz schön, weil wir ja so viel Geschichte in schwarz-weiß vermittelt bekommen haben. Schwarz-weiß steht für besonders authentisch und wahr, was natürlich Quatsch ist."

Denn die urbanen Räume, die ihre Fotografien zeigen, gibt es in Wirklichkeit nicht. Jedes Bild der Serie besteht aus mindestens 30 Einzelteilen. Es sind Montagen, die sie am Computer hergestellt hat. Schnitte sind nicht zu sehen und so wirken sie wie Dokumentationen.
Den Schritt zur digitalen Fotografie unternahm die 38-jährige Fotokünstlerin noch als Studentin Mitte der 90er-Jahre in offener Opposition zur damals alles beherrschenden Dokumentarfotografie der Düsseldorfer "Becher-Schule".

Mit ihren Montagen stellt sie die Authentizität der Fotografie in Frage. Fragen des Betrachters, wie: wo ist das aufgenommen und wann, laufen ins Leere.

"Genau diesen Prozess, den man mit allen Fotografien macht, den möchte ich unterbrechen."

"Das mit der Zuordnung, das machen wir ja ständig. Es fängt an, wenn man Fernsehen guckt, dann fängt man an zu zappen und man kann in Sekundenschnelle entscheiden, was das für ein Film ist, das wissen wir intuitiv, ist das ein amerikanischer Film, ist das ein Soap. Ist es dies oder das! Es sind die kleinen Zeichen, die uns diese Zuordnung möglich machen und das ist uns glaube ich gar nicht bewusst."

Ihre Fotos zeigen die totale Fiktion. Und genauso uneinheitlich wie der Ort sind Licht und Zeit in ihren Arbeiten.

"Ich fotografiere weltweit, das heißt, dass man in einem Bild von mir Elemente aus Asien finden kann aber auch aus Polen oder New York ... und alle diese Elemente verschmelzen zu einem und das einzige Kriterium, das es zum Sammeln des Materials gibt, ist, dass es nicht ortsspezifisch sein darf."

Bei ihrer so genannten S-Serie handelt es sich um moderne, manchmal sozialistisch wirkende Architektur - Brückenpfeiler, Hochhäuser - sie überragt die Menschen, die in den Konstruktionen wie übrig geblieben wirken. Anzeichen von Dynamik gibt es nicht.

"Die Moderne interessierte mich, weil sie eine gesellschaftliche Ordnung widerspiegelt, wo man an die Zukunft geglaubt hat, mit Rationalismus versucht hat, eine Gesellschaft zu schaffen, die gut ist, die in Ordnung ist und man glaubte ja auch, dass sich durch immer weiteren Fortschritt so etwas erreichen ließe, dass das quasi eine Gerade nach oben ist."

In der S-Serie ist diese Utopie der Moderne gescheitert.

Beate Gütschow, geboren 1970, ist in Mainz mit vier Geschwistern aufgewachsen. In ihrem Elternhaus hat Kunst überhaupt keine Rolle gespielt, sagt sie. Mehr erzählt sie nicht über ihre Kindheit. Nur, dass für sie früh fest stand, dass sie Künstlerin werden will. Woher das kam? Sie schüttelt den Kopf.

"Ich habe nie – wie vielleicht andere – mich hingesetzt und überlegt, was ich denn werden will oder bin zur Berufsberatung gegangen oder so. Das war solch eine Entscheidung, die längst gefällt war bevor ich sie wirklich gefällt habe."

Während des Kunststudiums in Hamburg und Oslo hält sie sich mit Kellnerjobs über Wasser. Maßgeblich für ihre Arbeit als Fotografin war das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

"Sie war zu meiner Zeit solch eine Ansammlung von Autodidakten, man bekam für nichts Hilfe, wurde eigentlich immer nur fertiggemacht und musste sich durchsetzen, seinen Kopf durchsetzen und seinen eigenen Kram machen."

Sie experimentiert mit Malerei und in Installationen und findet für ihr Thema, die Hinterfragung der Wahrnehmung die Fotografie, die digitale Fotografie. Am Computer kreiert sie aus Dutzenden echten Motiven fiktive Räume, zunächst Landschaftsbilder und jetzt eben Stadtansichten.

Seit Anfang 2000 lebt und arbeitet Beate Gütschow in Berlin, es sind die üblichen Klischees der Stadt, die sie hier halten, sagt sie lächelnd. Viel Platz für wenig Geld, Raum für Rückzug, eine lebendige Kunstszene. Sie will bleiben - auch wenn sie inzwischen auf die billigen Mieten jetzt nicht mehr angewiesen ist.