Geistreich und amüsant

Von Roger Cahn · 08.03.2012
Johann Wolfgang von Goethe und Elfriede Jelinek: Ein ungleiches Paar. Im Schauspielhaus Zürich haben sie jetzt zueinander gefunden. Beim "Faust 1 bis 3". So der Wille der Nobelpreisträgerin, den Regisseur Parisek umgesetzt hat. Spannende Besetzung, mit Edgar Selge und Franziska Walser.
Das Konzept klingt bestechend: Weil man heute Goethes "Faust" nicht mehr ab Blatt spielen könne, wird der Klassiker mithilfe eines modernen Stücks in die Gegenwart geholt. So die Überzeugung von Regisseur Dusan David Parisek. Als Goethes "Partnerin" wurde Elfriede Jelinek gefunden. Doch die Ehe funktioniert nicht.

Der Abend beginnt getrennt: Oben auf der grossen Pfauenbühne hinterfragen zwei Fausts/Mephistos Goethes Text. Virtuos Edgar Selge, kongenial ergänzend Frank Seppeler. Unten im Keller spielen drei Frauen die Uraufführung von Jelineks "FaustIn and out". Der Zuschauer muss selbst entscheiden - beides gleichzeitig sehen, geht nicht. Nach rund 75 Minuten befreit Faust/Mephisto die im Kellerloch gefangenen drei Frauen (samt Publikum) und die folgende Stunde bestreiten alle fünf gemeinsam.

Das Beste geschieht simultan. Der intelligente Zusammenschnitt aus "Faust I und II" beweist, wie modern Goethes Denken und Schreiben vor 200 Jahren war. Die Mono- und Dialoge gewinnen durch die Interpretation der "siamesischen Faust-Zwillinge" eine durchaus heutige Dimension. Intellektuelles Pingpong auf höchstem Niveau. Geistreich und amüsant. Die grausame Geschichte des Josef Fritzl, der seine eigene Tochter 24 Jahre im Keller gefangen hielt, sie missbrauchte und mit ihr sieben Kinder zeugte, wirkt in der Verdreifachung der jungen Frau - Tochter, Mutter, Schwester - inhaltlich wie sprachlich ebenso virtuos und beeindruckend - "Jelinek at her best".

Werden diese beiden Ebenen ineinandergefügt, wird es von Minute zu Minute langeweiliger. Wer das Jelinek-Stück nicht kennt, weiss nicht, was diese drei Frauen - FaustIn (Franziska Walser), GeistIn (Miriam Maertens), GretIn (Sarah Hostettler) - in Goethes Welt zu suchen haben. Wer den Dialog der Männer nicht erlebt hat, versteht nicht, was die beiden mit den drei Frauen, allen voran von Gretchen, anfangen wollen. Weshalb? Es stehen keine Menschen auf der Bühne, sondern nur Funktionen von Menschen, entstanden im Hirn eines Regisseurs. So bleibt die gemeinsame Stunde der Männer und Frauen leer und vor allem lang, sehr lang.

Zum Schluss die wohl entscheidende Frage: Was hat das Jelinek-Stück mit "Faust" zu tun? Es geht da wohl ums Frauenbild der Männer von gestern und heute. Kaum ist die junge Frau aus dem Fritzl-Kellerloch befreit, stürzt sie -wieder schwanger - ins nächste. Doch Goethes Gretchen tötet ihr Kind und bringt sich dann selbst um. Zu wenig für eine sinnvolle Verbindung von Faust I und II mit Faust III.

Fazit: Auch diese Form der Aktualisierung eines deutschen Klassikers funktioniert nur beschränkt, weil sie an ihrer eigenen Ambition scheitert.


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