Geist und Glaube – und die Mädchen

11.09.2012
Nach seinem Debüt "Stadt Land Fluss" 1999 kehrt Christoph Peters in seinem neuen, autobiografisch geprägten Roman an den Niederrhein, seine Heimat, zurück. Wahrhaftig, tiefgründig und komisch schildert er einen suchenden jungen Menschen in Seelennöten und Körperzwängen.
Der Internatsroman hat eine lange Tradition, bald könnte eine Untergattung entstehen: der Niederrheininternatsroman. Nach "Warum Du mich verlassen hast" von Paul Ingendaay - der wie Peters ein Schüler des katholischen Collegiums Augustianum Gaesdonck war - nun also Peters’ "Wir in Kahlenbeck". Jetzt fehlt noch Gregor Hens, der auf dasselbe Internat ging.

Mit den beiden Mottos des Buchs, deren Autoren aber auch so etwas von unterschiedlich sind, schlägt Peters den Ton an. Der eine Autor ist ein frühchristlicher Wüstenvater mit der Weisung, einen eigenwilligen Jüngling, der sich schon im Himmel sieht, wieder auf die Erde zu ziehen. Der andere ist die Ulknudel Helge Schneider mit dem - nicht sehr originellen - Satz: "Das Schlimmste im Leben ist die Pubertät." Held des Romans ist der anfangs 14-jährige Carl Pacher, Schüler des Knabeninternats Collegium Gregorianum Kahlenbeck. Er steckt mitten in ebendieser schlimmsten Zeit des Lebens.

Das birgt Konfliktstoff, denn Carl ist gläubig, will es jedenfalls sein, und er macht sich bittere Vorwürfe, dass er die Schwachen nicht verteidigt und ständig an Mädchen denkt, die doch das "Liebenswerteste auf Erden" sind. Ist sein Glaube womöglich nicht einmal so groß wie ein Senfkorn? Der ernste Selbstzweifel, dieses angestrengte, quälerische Horchen ins eigene Selbst, begleitet Carl - und den Leser - im Laufe der ganzen langen - nicht langweiligen!- Lektüre.

Denn natürlich schlägt sich so ein Heranwachsender mit unanständigen und undankbaren Gedanken herum, sein "Kopf läuft über davon". Ziel seiner körperlichen Sehnsucht und seine erste echte Liebe, ist das Küchenmädchen Ulla, fast vier Jahre älter als er, aber auch ein schlichteres Gemüt als er, Ulla will einfach leben und lieben und manchmal ohne schlechtes Gewissen "Dallas" gucken dürfen.

Das Großartige ist aber, dass dieser Carl eben auch eine seelische und geistige Sehnsucht hat. Manchen Lesern könnten sie zu lang werden: die umfassenden, faszinierenden Diskussionen über Versuchung, Schwäche, Verlangen, Entsagung, Liebe und Erotik, in denen Geist und Glaube teils Verbündete, teils Gegner sind, stets aber Säulen der Auseinandersetzung. Sie werden mit den beiden älteren Schulkameraden Kuffel und Holzkamp geführt, die mit dem blitzenden Intellekt, der schlagenden Rhetorik und der kalten Gnadenlosigkeit von Inquisitoren Carl auf dem rechten Weg der Heiligen Kirche halten wollen.

Christoph Peters, zwar selbst von blitzendem Geist und schlagender Überzeugung, ist kein Inquisitor, er klagt die Schule nicht an und den Glauben sowieso nicht, Spiritualität ist für ihn ein hoher Wert. Ein Satz wie "Schönheit ist ein Widerschein Gottes" ist so gemeint, wie er da steht. Nicht so gemeint ist die - allerdings glänzende - Rede einer charismatischen Gräfin zugunsten des Kreationismus, die auf einer Art verschwörerischem Geheimtreffen gehalten wird. Das alles schreibt Peters in der ihm eigenen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Komik, überzeugend, tiefgründig und wahrhaftig.

Besprochen von Peter Urban-Halle

Christoph Peters: Wir in Kahlenbeck
Luchterhand Verlag, München 2012
507 Seiten, 23,00 Euro