Gehhilfe

Vom Fremdkörper zum Freund

Gisela Peters und Ingeborg Düfelmeier beim Rollator-Tanzkurs im "Kulturverein Granatapfel e.V." in Stuhr-Brinkum
Gisela Peters und Ingeborg Düfelmeier beim Rollator-Tanzkurs im "Kulturverein Granatapfel e.V." in Stuhr-Brinkum © Deutschlandradio / Franziska Rattei
Von Franziska Rattei · 21.02.2014
Auch wenn der Rollator mittlerweile fester Bestandteil des Straßenbildes ist, vielen Senioren behagt er nicht. In einem Tanzkurs in Niedersachsen lernen sie die sichere Handhabung und den Spaß daran.
Ingeborg Düfelmeier ist auf dem Weg zum Rollator-Tanzkurs. Von ihrer Wohnung bis zum Kulturverein läuft sie weniger als zehn Minuten. Den Rollator schiebt die Seniorin mit den kurzen weißen Haaren wie einen leichten Kinderwagen vor sich her.
"Man muss den Rücken schön gerade halten, nich. Ich muss mich ja auch immer ein bisschen dran erinnern. War heute gerade beim Orthopäden (lacht). Na, ja …"
Eigentlich braucht Ingeborg Düfelmeier den Rollator noch gar nicht - mit ihren 83 Jahren ist sie noch gut zu Fuß. Aber die frühere Sekretärin sorgt gern vor, trainiert für die Zukunft. Und zum Einkaufen und Tanzen benutzt sie den Rollator inzwischen richtig gern.
"Mein Partner." (lacht)
Aber Ingeborg Düfelmeier möchte noch eine Bekannte abholen, Gisela Peters. Die beiden gehen immer zusammen zum Rollator-Tanzkurs.
"Hallo!" - "Hallo!" - "Tach, Frau Peters." - "Kommen Sie erst mal rein, bitte." - "Wollen wir mal ne Jacke anziehen, ne. Wo ist sie denn?"
Gisela Peters ist 94 Jahre alt. Sie hat sich fein gemacht, die Grautöne von Stoffhose, Rollkragenpullover, Weste und Seidenschal sind aufeinander abgestimmt. Der Rollator steht schon vor der Haustür bereit. Genauso wie Düfelmeiers Modell ist er in grau und schwarz gehalten, aber die Rollen sind etwas schlanker, und statt einem Korb aus Metallgeflecht, hängt an Peters' Rollator eine schwarze Tasche. Individuelle Gestaltung.
Gisela Peters: "Auf los geht's los!"
Die beiden Seniorinnen laufen nebeneinander. Manchmal wird es eng auf dem Gehweg, Bordsteinkanten und Unebenheiten halten die zwei immer wieder auf.
Text lesen, singen und im Takt bleiben - alles gleichzeitig
Beim Kulturverein angekommen sitzen bereits drei weitere Teilnehmerinnen im Stuhlkreis, ihre Rollatoren haben sie vor sich abgestellt. Katja Schauland räumt Klangstäbe, Topfdeckel, Trommeln und Löffel von einer Ecke des Raumes in die andere. Sie leitet den Rollator-Tanzkurs in Brinkum. Eine kleine Frau, die dunklen Haare zu einem Zopf geflochten. Sie trägt festes Schuhwerk.
"Heute fangen wir mit altbekannten Liedern an, zum Warm werden."
Katja Schauland teilt Noten und Klanghölzer aus. Danach geht es los mit einem plattdeutschen Lied. Die Kursleiterin spielt Gitarre, die fünf Seniorinnen singen.
Die Damen sollen ihre Koordination trainieren. Gleichzeitig Text lesen, singen und im Takt bleiben ist gar nicht so einfach. Danach: ein paar "Sitztänze". Eine der Teilnehmerinnen hat sich die Choreografie dafür ausgedacht und sagt sie an. Die Seniorinnen kreisen mit ihren Schultern, ihren Armen, winken einander zu, heben ihre Füße an.
Katja Schauland: "Jetzt haben wir erst mal das Gehirn angeregt, damit es wieder denkt, damit die Synapsen wieder hin und her und die Funken wieder sprühen im Gehirn. Und jede Schulter, jeden Zeh, jedes Knie bewegt. Und jetzt können wir uns auf den Füßen bewegen und mit dem Rollator auch ein kleines Tänzchen machen."
Erst nach einer halben Stunde Vorbereitung beginnt Katja Schauland mit dem ersten Rollator-Tanz. Die Idee dazu hatte sie vor rund vier Jahren. Die 38-Jährige ist in Frankfurt an der Oder aufgewachsen und hat dort eine Krankenschwesterausbildung gemacht. Die Ausbildung zur Tanzlehrerin lief nebenher. Später, als sie ein Studium für Kulturwissenschaft finanzieren wollte, arbeitete sie in einem Seniorenheim und bemerkte, dass die alten Menschen ihren Rollator ungern benutzen. Manchen war es sogar peinlich, mit ihm auf die Straße zu gehen.
Den Gleichgewichtssinn schulen
Im Takt gehen die Damen hinter ihren Rollatoren her: erst im Kreis, eine hinter der anderen. Danach schieben sie die Gehhilfen in die Kreismitte und drehen sich einmal um sich selbst. Dann machen sie vorsichtige Schritte nach rechts und links und lassen dabei den Rollator los. Anschließend führen sie ihn, mit einer Hand, wie einen Tanzpartner, im Kreis um sich herum. Keine einzige macht einen unsicheren Eindruck. Als Katja Schauland den nächsten Tanz ansagt, hat Gisela Peters längst rote Bäckchen bekommen. Ingeborg Düfelmeier lächelt.
Katja Schauland: "Blaue Berge ist ein Folklore-Tanz, den wir uns zu eigen gemacht haben, wo zwar die Elemente mit drinne sind, die vorher auch drinne waren - zur Wiedererkennung, aber mit dem Rollator jetzt tanzbar ist."
Die Frauen sollen bei diesem Tanz ihren Gleichgewichtssinn schulen. Deshalb schieben sie den Rollator mit nur einer Hand vor sich her. In der anderen halten sie ein Plastikrohr. Damit schlagen sie im Takt gegen das Gestell ihrer Rollatoren. Erst übt die Gruppe die Schritte ohne Musik, dann mit.
Zwölf Rollatoren-Tänze hat Katja Schauland mit den Seniorinnen in den vergangenen zwei Jahren entwickelt. In dieser Zeit haben sich die Frauen stark verändert, sagt sie. Die Unsicherheit im Umgang mit dem Rollator ist verschwunden, das Gerät ist zu einem Assistenten geworden.
Gisela Peters: "Wir haben uns so ein bisschen angefreundet, weil es einfach auch nicht anders geht. Ich brauche ihn, und er braucht mich vielleicht." (lacht)
Mehr zum Thema