Geheimzeichen im Altar und Möbellack von Läusen

Von Joachim Hildebrandt · 06.04.2013
Er ist Handwerker und ein bisschen Detektiv: Kurt Kallensee überarbeitet alte Möbel. Er gibt ihnen damit ein neues Leben, taucht aber gleichzeitig in ihre Vergangenheit ein. Und manchmal muss er sogar die Kriminalpolizei zur Hilfe holen, um ihre Geheimnisse zu entschlüsseln.
Schnörkellos, ohne Zierrat, bietet sich dem Restaurator der Tisch an. Er ist aus einfacher Eiche. Unter der Platte erkennt man die Jahreszahl 1800 und die eingekerbten Buchstaben MANNHARDT. Ist das der Name des Tischlers?

Kurt Kallensee: "Es ist ungewöhnlich, dass jemand in einem Möbelstück, denn der Altartisch ist ein Möbelstück, sich verewigt hat. Das haben die Franzosen gemacht vorwiegend im 18. Jahrhundert. Da gab es Zunftregeln. Man schützte sich vor Einfuhr aus dem Ausland. Bei diesem Tisch kann es sein, weil es ein Altartisch ist, dass sich der Erbauer verewigen wollte. Aber üblich war das nicht."

Die beiden N des Namens sind verkehrt herum geschrieben. Neben dem Namen sind die Buchstaben SCNI eingeritzt. Was mag das zu bedeuten haben? Sind diese vier Buchstaben ein Markenzeichen des Handwerkers?

´"Es ist eben so, dass viele Geheimnisse letztlich bleiben. Diese Buchstaben werden wir nie entziffern können, wenn nicht irgendwo Aufzeichnungen in der Kirche vorhanden sind. Manchmal gibt es Rechnungen über den Tisch, der gebaut wurde."

Kurt Kallensee schnitzt an einem Stück Holz. In seiner Werkstatt in Potsdam Alt Nowawes herrscht gerade ein unangenehmer Geruch. Auf einem Herd blubbert eine Flüssigkeit. Das ist Knochenleim.

"Diese Naturleime, wie Knochenleim und Hasenleim, sind sehr schnell der Fäulnis unterworfen, wenn sie dünnflüssig sind. Fischleim vom Stör muss speziell in Branntwein und destilliertem Wasser gelöst werden. Der hat eine hohe Bindekraft, ist sehr elastisch und wird in der Restaurierung häufig eingesetzt."

Seine Werkstatt ist in einem ehemaligen Tanzsaal untergebracht. An der Decke fällt eine Dekorationsmalerei auf.

"Sehr plakativ gemalt, so wie Reklameschilder Ende des 19. Jahrhunderts gemalt wurden. Eine Flora, die Blumen hinunterstreut. Das ist in einem Tanzsaal vielleicht auch angemessen."

Kurt Kallensee schleift ein Eisen auf der Schleifmaschine. Grobkörnige Harze sind in Glasbehältern in seiner Werkstatt aufbewahrt und in Alkohol eingelegt.

"Das wichtigste Harz ist natürlich der Schellack. Damit poliert man viel. Schellack kommt aus Indien, aus Thailand. Dieses Harz wird erzeugt durch eine Laus, die sticht in die Bäume, um Nahrung zu finden, und der Baum schwitzt das Harz aus. Dieses Harz setzt sich um die Zweige, die Zweige werden dann vom Harz befreit und gereinigt. Dazu gibt es dann noch Mastix, der kommt aus Griechenland. Das ist einer der teuersten Harze, weil es kleine Perlen sind, die müssen mit der Hand aufgelesen werden. Dann gibt es Sandarak aus Nordafrika."

Die Harze werden miteinander vermischt und ergeben eine glänzende Oberfläche auf einem Möbelstück.

Besonders kniffligen Fragen stellte sich der Pfarrerssohn aus Gotha schon am Beginn seiner Laufbahn als Restaurator. Bei der Stiftung Schlösser und Gärten in Potsdam bat er sogar die Kriminalpolizei um Rat, um herauszubekommen, wie einst das Zedernholz in der Bibliothek von Sanssouci behandelt worden war.

"Wir haben damals die Bibliothek von Friedrich dem Großen in Sanssouci restauriert. Zedernholzverkleidet und mit feuervergoldeten Bronzen. Es ging um die Oberfläche, die historisch genau wieder so werden sollte wie 1750. Die Kripo hat Infrarotspektren gemacht und festgestellt, dass Bienenwachs und Kolophoniumreste vorhanden sind. Daraufhin haben wir ein Jacobsen Technologisches Wörterbuch durchgearbeitet und ein Polierwachs gefunden, genau in dieser Zusammenstellung aus Bienenwachs und Kolophonium. Wir hatten dann eine Wachspaste, die einen wunderbaren Glanz ergab."

Nicht nur der Altartisch für die Garnisonskirche, auch ein anderer Tisch wird dem Restaurator immer in Erinnerung bleiben. In den neunziger Jahren musste Kurt Kallensee für das Schloss Bellevue einen prächtigen Mahagonitisch restaurieren, an dem der damalige Papst Johannes Paul II. zusammen mit Bundespräsident Roman Herzog gesessen hatte.

"Dieser Tisch stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wir haben den neu aufpoliert mit Schellack."

An dem Altartisch der Garnisonskirche fällt die Schmucklosigkeit auf. Ein Grund dafür könnte sein, dass das Holz ohnehin meist von wertvollen Altartüchern verdeckt wurde.

So wie die Buchstaben SCNI unter der Tischplatte nicht so leicht zu entdecken waren, genauso schwierig ist es, die Bedeutung der vier Buchstaben herauszubekommen.

"Ich habe nicht damit gerechnet, dass auf der Innenseite der Zarge ein eingeritzter Name zu sehen ist, auch unter Staub und Schmutz. Und als ich den entfernte, kam dieser Name zum Vorschein. Das ist natürlich immer eine Überraschung, in der Restaurierung so etwas zu finden. Da müssten jetzt die Kunsthistoriker ... oder die Rechnungen der Kirche mal durchgesehen werden. Dann könnte das aufgeklärt werden. In gotischen Kirchen hat man immer in die Kreuzrippen ein Auge gesetzt. Das sollte das Auge Gottes sein, was letztlich alles sieht. Aber ob das auf den Tisch zutrifft, weiß ich nicht."

Wenn sich der Restaurator in ein altes Möbelstück hineinvertieft, kann er sich in eine andere Zeit versetzen.

"Da möchte man gerne mehr wissen über die Geschichte dieses Stückes. Was hat das Möbel erlebt? Den Sekretär von der Anna Amalia aus Weimar, den haben wir auch restauriert. Der hat ein Geheimfach im oberen Teil, das nicht unbedingt gleich zu sehen ist. Da würde man gerne wissen, was lag in dem Geheimfach? Was für Schatullen oder was für Schmuck? Unsere Restaurierung verlängert das Leben der Möbel, und das Möbel kann weitere Jahrhunderte durch die Geschichte seinen Weg gehen nach der Restaurierung."