Geheimdienste

Die Nebelkerze Empörung

Frankreichs Präsident Francois Hollande und US-Präsident Barack Obama.
Verstimmt: Frankreichs Präsident François Hollande und US-Präsident Barack Obama. © AFP / Jewel Samad
Von Thomas Nehls · 27.06.2015
Es sind vor allem Ablenkungsmanöver, wenn sich französische Politiker über NSA-Spionage in ihren Reihen empören, meint Thomas Nehls. Frankreichs Nachrichtendienste unterscheiden auch nicht zwischen Freund und Feind – und tun, was technisch möglich ist.
Am Tag nach einem erneuten Anschlag in Frankreich, gerade dort Spionage-Operationen infrage zu stellen, ist ein Wagnis. Schließlich geben die Geheimdienst-Gewaltigen der USA stets vor, mit ihrer Totalüberwachung auch Terrortaten verhindern zu wollen. Natürlich würden nicht Staats- und Regierungschefs verbündeter Länder verdächtigt, aber wo gehobelt werde – Sie kennen den Spruch.
Abgesehen von dieser Binsenweisheit gibt es eine zweite: Dass gerade in der Spionage, dem angeblich zweitältesten Gewerbe der Welt, stets alles eingesetzt werde, was technisch möglich sei – und das gegen alle, solange es eben geheim bleibe. Insofern hat sich einmal mehr viel Heuchelei in die Empörungsstatements diesmal französischer Politiker eingeschlichen. Gerade Paris bereitet gegenwärtig eine Novellierung seiner Nachrichtendienste vor, die allenfalls aus technischem Unvermögen vor dem Oval Office in Washington oder anderen Pforten der Macht halt machen dürfte – seien es Freunde oder Feinde der Grande Nation. Berührungsängste passen einfach nicht zum Berufsbild von Spionen.
Der eigentliche Verfall der Sitten unter Freunden geht von Washington aus
Das aber ist auch nicht der Punkt. Die neuerliche Inflation der stereotypen transatlantischen Aufregung trifft nicht den Kern der Sache, sondern dient bloß als Antriebskraft für Nebelkerzen. Der eigentliche Verfall der Sitten unter Freunden geht von Washington aus und gefährdet als ein Gemisch aus Ignoranz und Arroganz der Macht das Miteinander der Staaten auf vielfältige Weise. Ländern, die sich über grenzenloses Ausspähen durch die NSA beschweren oder die – wie mehrfach die Emissäre der abgehörten deutschen Bundeskanzlerin – Aufklärung einfordern, die kalte Schulter zu zeigen, ist so wenig hilfreich wie die Dauerbehauptung, unaufhörliches Belauschen diene nur dem Schutz aller Bürger. Es dient natürlich in erster Linie der Politik- und Wirtschaftsplanung der Vereinigten Staaten und ist zwangsläufig gegen die Interessen der Belauschten gerichtet. Schon deshalb ist die Empfehlung eines französischen Senators, die Verhandlungen über das transatlantische Handelskommen zu stornieren, nicht nur als Temperamentsausbruch zu werten. Wie wohl die gesamte Europäische Union reagieren würde, wären die Antennen aus Moskau oder Peking auf europäische Hauptstädte ausgerichtet und wäre dies ebenfalls von den Assanges und Snowdens dieser Welt verkündet worden? Die Renaissance des Kalten Krieges hätte in einem solchen Fall noch einmal Fahrt aufgenommen.
Die USA wollen doch nur unser Bestes, oder?
Die USA aber bitteschön wollen doch nur unser Bestes. Wirklich? Vielleicht, aber dann nur solange, wie es die eigenen Interessen stützt.
Das haben vor allem die Jahre der George-W.-Bush-Regentschaft und nun leider auch die des einstigen Hoffnungsträgers Barack Obama bestens unter Beweis gestellt. Nicht gar so dreist wie ehemals ein Verteidigungsminister Rumsfeld, der Europa wie den Wilden Westen in Gute und Unwillige aufgeteilt hat, aber ebenso forsch verzichten die USA weitgehend auf wirkliche Konsultationen – sei es in der Ukraine-Krise, sei es im Mittleren Osten oder zum Dauerbrennpunkt Israel-Palästina. Die von Partnern abgehörten Erkenntnisse und Meinungen schärfen so betrachtet zwar die eigene Sicht der einzig verbliebenen Supermacht, lösen aber spürbar nicht die Suche nach Konsens und Kompromissen aus. Selbst freiwillig von befreundeten Diensten wie dem BND überlassene Informationen werden eigenmächtig interpretiert und brandgefährlich verwendet – so geschehen kurz vor dem Beginn des Irak-Kriegs 2003, als deutsche Geheimdienstler Material über angeblich vorhandene Massenvernichtungswaffen zwischen Euphrat und Tigris an den Potomac schickten. Die mitgelieferten Fragezeichen wurden vom Tisch gewischt. Sie passten nicht ins amerikanische Bild.
Würde die zumindest in Europa ebenfalls mega-mächtige Angela Merkel so rigoros wie es auch die Obama-Regierung tut ihre Standpunkte anderen aufzwingen, wäre weltweites Scheitern programmiert. So gesehen sollten Washingtons Politiker nicht länger – wie es einst Außenminister Henry Kissinger getan hat – nach einer einheitlichen Telefonnummer fragen, unter der Europa erreichbar sei, sondern einfach öfter im Bundeskanzleramt und an anderen EU-Regierungssitzen vorbeikommen, um dazuzulernen. Auf Augenhöhe. Ohne Aufnahmegerät. Dann ist das nämlich gar nicht nötig.
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