Gegen die platten Parolen

Von Matthias Bertsch · 13.08.2011
Thomas Henseler und Susanne Buddenberg erzählen in ihrem Comic "Grenzfall" die Geschichte von Peter Grimm, der in der Berliner Zionskirche Zeitschriften und Flugblätter druckte, die Missstände in der DDR anprangerten.
Ein Comic über Unterdrückung und Widerstand in der DDR, geht das - und interessiert das überhaupt irgend jemanden? "Ja!", sind die Macher von "Grenzfall", Thomas Henseler und Susanne Buddenberg, überzeugt. Beide haben in Aachen Design und später in Potsdam-Babelsberg Film studiert und arbeiten seit langem zusammen: Sie textet, er textet und zeichnet. Bei Recherchen zu einem Film-Projekt sind sie im Internet über die Biographie von Peter Grimm gestolpert und waren sich schnell einig. Es lohnt sich, seine Geschichte zu erzählen - vor allem für Jüngere.

Thomas Henseler: "Die Kids von heute wissen halt nicht mehr, wie es damals war, wie es sich anfühlt, wenn man in der FDJ ist, wenn man einfach halt seine eigene Meinung nicht sagen darf. Das fanden wir vom Thema wichtig und spannend. Und Graphic Novel ist eben nicht Comic: Also wir haben da nicht Kulleraugen, große Nasen à la Asterix und Micky Mouse, sondern es sind eben wirklich filmische Geschichten und das fanden wir auch für uns beide einfach angemessen umzusetzen."

Im Zentrum des Comics - oder der Graphic Novel - "Grenzfall" steht der Berliner Schüler Peter Grimm, der immer stärker in Konflikt mit der DDR-Obrigkeit gerät. Die Kirche bietet ihm da weniger Glaubensheimat als vielmehr einen Ort, an dem er offen und kritisch diskutieren kann - mit Christen wie Nicht-Christen. "Ich konnte die platten Parolen des SED-Staates nicht mehr ertragen", erinnert sich der heute 46-Jährige.

"Letztlich wurde ja von einem, gerade dann, wenn man das Abitur machen wollte, von einem nicht nur erwartet, die still leidend und loyal über sich ergehen zu lassen und zu ertragen, sondern man sollte auch noch laut und vernehmlich Ja sagen. Das sind halt nichts anderes als Unterwerfungsrituale, und die hab ich sehr früh einfach als unwahrscheinliche Zumutung empfunden."

Auch die Vorstellung, seine Geschichte in einem Comic wiederzufinden, fand Grimm zunächst eine Zumutung, doch Buddenberg und Henseler haben ihn schnell davon überzeugt, dass es nicht um Witzbildchen und Sprechblasen geht. Das Ergebnis gibt ihnen Recht: Die beiden Herausgeber haben sich eng an die historischen Vorlagen gehalten, viele der Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind voller Details aus dem DDR-Alltag der 80er-Jahre.

Peter Grimm: "Dieser an allen Ecken und Enden sichtbare Verfall, das wird nicht großartig thematisiert, aber das ist immer im Bild vorhanden. Das hat ja auch für viele in der DDR 'ne Rolle gespielt, ja, auch für den Unmut zum Schluss letztlich ne Rolle gespielt, dass diese Hoffnungslosigkeit in diesem System darin ja wirklich auch ein Bild fand, was jeder auch in den letzten DDR-Jahren vor sich hatte, das kommt zum einen sehr gut rüber."

Zum anderen, so Grimm, sei auch die Omnipräsenz der Sicherheitskräfte im Alltag gut getroffen - ein Sinnbild für die ständige staatliche Bevormundung in der DDR. Anhand des Beispiels von Peter Grimm zeichnet "Grenzfall" die Vorgeschichte des Mauerfalls nach: von der Beerdigung des Regimekritikers Robert Havemann 1982 bis zur Erstürmung der Umweltbibliothek in der Zionskirche im November 1987, mit der die Stasi die kritischen Stimmen zum Schweigen bringen will.

Eine fatale Fehleinschätzung: Nicht zuletzt durch die Berichterstattung in den Westmedien, die über den Überfall auf den kirchlichen Schutzraum ausführlich berichten, kommt es in Ostberlin zu massiven Solidaritätsbekundungen mit den fünf Inhaftierten. Die Zionskirche und andere Kirchen werden zu zentralen Orten, an denen das heranwächst, was als friedliche Revolution in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Doch die Kirche war für die Oppositionellen in der DDR nicht nur ein Ort des Widerstands, erinnert sich Grimm:

"Ja, die Kirche ist ein Raum, in dem kann vieles stattfinden, wir nutzen ihn auch gern, wir finden es gut, dass es ihn gibt, aber wenn man sich zu stark in diesen Schutz begibt, dann ist man natürlich auch in irgendeiner Weise verpflichtet den Gremien gegenüber. Manche hatten durchaus das Gefühl, das dann bestimmte Dinge von kirchenleitender Seite dann wieder wegverhandelt wurden, indem man Zugeständnisse gemacht hat und bestimmte Veranstaltungen plötzlich nicht stattfanden, aus Rücksicht auf den SED-Staat."

Im Buch wird dies anhand der jährlich stattfindenden Friedenswerkstatt in der Ostberliner Erlöserkirche deutlich, die sich zu einem wichtiger Treffpunkt für Oppositionsgruppen entwickelt hatte. Als Grimm und andere 1986 bei der Friedenswerkstatt die erste Ausgabe des "Grenzfalls" verteilen wollen, in dem sie nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auf die Gefahren der Kernenergie auch in der DDR hinweisen, wird ihr Stand kurzerhand geschlossen: Die Kirchenleitung will den Konflikt mit der SED-Führung vermeiden.

Um die Rolle der Kirche für die Opposition in der DDR zu würdigen, müsse man sich letztlich den Einzelfall anschauen, betont Grimm:

"Es gab oft die Situation, dass Gruppen auf der Suche nach Räumen waren. Da ist man bei der einen oder anderen Gemeinde abgeprallt, manchmal auch hatte man zwar nen Pfarrer, der offen dafür war, aber der konnte keine Mehrheit seines Kirchengemeinderates dazu bewegen, ähnlich offen wie er da ranzugehen. Am meisten in Erinnerung bleiben die, die offen waren, sehr viel gemacht haben, und da ist die Zionskirche, ist Pfarrer Simon, für mich herausgehoben zu nennen."

Ein Anliegen, das auch der sonst kirchenferne Thomas Henseler teilt:

"Kirche für mich selber spielt keine große Rolle, ich fand’s nur erstaunlich, wie Pfarrer Simon als Chef der Zionskirche wirklich so viel Mut gehabt hat, den Leuten zu erlauben, die Umweltblätter zu drucken. Man hatte halt damals auch in der Diktatur gelebt, also ich würde sagen, die Leute, die damals dabei waren, also wenn ich sozusagen Nachkomme wär, ich wär ziemlich stolz auf die."

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