Nikolaus Heidelbach: "Schornsteiner"

Abenteuer eines Talismans

Cover Nikolaus Heidelbach: "Schornsteiner"
Schornsteiner - der kleine Glücksbringer macht sich auf den Weg nach Köln. © Beltz und Gelberg
Von Kim Kindermann · 14.11.2017
Schornsteiner ist ein kleiner Glücksbringer - und er hat eine Mission: Er muss zu seinem "neuen Chef". Auf der Reise dorthin übersteht er abenteuerliche Hindernisse. Das ist geniale Unterhaltung für Kinder, meint unsere Kritikerin Kim Kindermann.
Nikolaus Heidelbach ist Kult! Das beweist diese genial-schräge Geschichte um den Talisman Schornsteiner erneut. Kaum hat man angefangen zu lesen, ist man verzaubert – vom Ton der Geschichte, von den Bildern, von den Figuren. Einfach Hammer!
Schornsteiner ist ein kleiner, schwarzer Glücksbringer, der ganz dem Namen nach - mit seiner Propellerartigen Kopfschmuck - an eine runde Schornsteinbürste erinnert. Das Kugelgewicht ist hier sein Kopf, an dem sein winzig-kleiner Körper hängt. Und wie Mary Poppins kommt Schornsteiner aus dem Nichts. Er ist einfach vom Himmel gefallen an einen Strand an der belgischen Nordseeküste. Er kann sprechen und sich bewegen, aber da er ein kluger Talisman ist, verbirgt Schornsteiner das vor den Menschen. Denn: "Was ein Glücksbringer macht, soll man nicht sehen, man soll es glauben."

Präzise und messerscharf beobachtet

Einer Eingebung folgend, macht er sich vom Strand aus auf den Weg zu seinem "neuen Chef", wie er ihn nennt. Wer das ist, weiß Schornsteiner nicht. Nur das er mit "L" anfängt, ist sicher. Auf seiner Suche, die den kleinen Mann bis nach Köln führt, erlebt er genial-schräge Abenteuer: Er fliegt in einem Modellflugzeug, hängt er an einer Antenne, entkommt einem hungrigen Chamäleon, flieht aus einem Marmeladenglas, fristet Wochen in einer Flohmarktkiste, überlebt in einem übel riechenden Turnbeutel, hängt in einem Gully oder rettet sich vor einer schwarzen Katze. Bei all diesen Abenteuern immer mit dabei: Mädchen! Fiese Mädchen, gedankenlose Mädchen, schlechtgelaunte Mädchen, gierige Mädchen, wütende Mädchen … Und egal wie Lilly, Else, Erika, Olga, Nina, Anna, Regina, Dora, Frieda, Erika, Adele, Ulla und Susi sind, keine von ihnen ist einen Talisman wert - auch wenn jede den Glücksbringer ein Stückchen näher an sein Ziel bringt, nach Köln. Dort findet er schließlich seinen Chef: Den frischgeborenen Leonard Faust, das "einwandfrei schönste Baby der Welt"!
Erzählt wird diese Geschichte in langen Textabschnitten, die einen ganz eigenen Charme haben. Denn von Anfang an ist man mittendrin in Schornsteiners Leben, hört was er hört, riecht was er riecht, denkt was er denkt und vor allem, was er über andere denkt. Immer wieder wird man gemeinsam mit der Hauptfigur mitten in neuen Szenen reingeschmissen, die oft mit einem Dialog beginnen. So wie man in der U-Bahn oder einem Zug manchmal Zeuge solcher Gespräche wird und für kurze Momente eintaucht in das Leben Fremder. Hier sind es Tante Mildred und Lilly beim Spazieren am Strand; Else und Erika mit ihren Eltern beim Besuch im Pralinenladen oder Nina und ihre Mutter beim Pilze sammeln. Und obwohl diese Begegnungen oft nur eine Seite lang sind, erfährt man doch vieles über die Beteiligten. Es sind präzise Beobachtungen, oft messerscharf in ihrer nicht immer schmeichelhaften Analyse. Das ist die hohe Kunst eines Nikolaus Heidelbach. Im Kleinen liegt beim ihm das Große. Gerade deswegen sind seine Geschichten nie langweilig.

Grandiose Bilder

Perfekt passend dazu sind seine unverwechselbaren Zeichnungen. Typisch in braun, grau, blau und ockergelb gehalten, sind sie sehr detailliert gezeichnet. Kein Härchen, kein Lippenschwung, kein Augenschlag, nichts entgeht diesem aufmerksamen Illustrator. Seine Bilder wirken aber nicht nur realistisch, sondern surrealistisch zugleich. So tragen die Mädchen alle streng nach hinten gekämmte Pferdeschwänze oder Dutts, die immer so aussehen, als würden sie Kopfschmerzen machen. Ihre Gesichter sind meist flächig weiße Mondgesichter mit Knubbel-Nase und Erdbeermund. Schön sind sie nicht. Und doch sind Heidelbachs Bilder genau deshalb wunderschön: Sie sind grandios und immer ein bisschen böse. Der Kölner schont seinen Leserinnen und Leser nicht. Seine Zeichnungen sind keine lieblichen Kinderbuchillustrationen, sondern sie zeigen das wahre, das echte Leben. Und das ist selten rosa-rot. Und genau das macht diesen Ausnahme-Kinderbuchautor aus. Immer. Auch dieses Mal. Ein Hoch also auf "Schornsteiner", diesen klugen Talisman, den jeder gerne sein eigen nennen würde und dem man mindestens genauso viele Leserinnen und Leser wünscht.

Nikolaus Heidelbach: Schornsteiner
Beltz und Gelberg, Weinheim 2017
44 Seiten, 14,95 Euro

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