Gefühl und Größe

Von Jochen Stöckmann · 12.06.2006
Seit seiner Ausbildung an der Münchener Akademie hat Günther Förg ein Werk vorgelegt, das sowohl durch seinen Umfang als auch durch Vielseitigkeit und Qualität beeindruckt. Mit der Kamera hat Günther Förg zahlreiche Gebäude regelrecht seziert, analysiert und in neue Bilder gefasst. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Bremen gibt erstmals einen umfassenden Überblick der wichtigsten fotografischen Projekte Förgs. In über 60 kleinformatigen Abzügen wird seine Arbeitsweise sichtbar, das Umkreisen der Objekte, "wie in Trance" fotografierend.
Fünf meterhohe Fotografien, Architekturaufnahmen, hängen hinter spiegelndem Glas dicht nebeneinander: Auf die Außenfassade eines Natursteingebäudes mit schlichten Fensterbändern folgt der lichte Gang vorbei an wandhohen Glasflächen hinein in einen Innenhof mit glitzernder Wasserfläche. Was nach beliebigen Orten aussieht, entpuppt sich beim Lesen der Bildlegende als Monument, als Denk- und Ehrenmal der Architekturgeschichte: Vor dem Frankfurter IG Farben Haus von Hans Poelzig und im Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe hat Günther Förg Mitte der Achtziger die Kamera gezückt - ohne jeden Respekt:

"Vielleicht geht man da mit einer gewissen Ehrfurcht dran, aber während der Arbeit löst sich das einfach auf. Das ist ein Arbeitsprozeß, wie wenn man ein Bild malt. Am Anfang hat man vielleicht die Angst des Torwarts vorm Elfmeter oder die Angst vor der leeren Leinwand. Aber wenn man dann anfängt, da ist man so drin - das verselbständigt sich."

Begonnen hat die Fotoleidenschaft des Malers und Bildhauers in Cinécitta, der heruntergekommenen Filmstadt bei Rom. Schon damals ging es Förg nicht darum, blätternden Putz zu dokumentieren oder besondere Konstruktionen hervorzuheben, sondern - wie im Kino - einer Atmosphäre nachzuspüren:

"Ich sehe meine Arbeit jetzt nicht als klassische Architekturfotografie, dazu ist es wirklich zu dilettantisch gemacht, mit der Filmkörnigkeit, mit der Unschärfe. Viele Fotografen hassen ja meine Arbeit, und die sagen 'Das ist der letzte Dreck!' Aber ich meine, das ist eine emotionale Beschreibung von einem Gebäude."

Allein vom Gefühl hat sich Förg bei der Auswahl seiner Motive allerdings nie leiten lassen: Mit seinen Inszenierungen der Casa del Fascio von Giuseppe Terragni und weiteren modernistischen Bauten aus der Zeit des italienischen Faschismus zog er ganz bewußt jene politisch korrekten, mehr moralisch denn ästhetischen Bewertungen in Zweifel, die als Klischees und Stereotypen so manches Bauwerk des 20. Jahrhunderts förmlich umstellen:

"Inwieweit kann ein Haus faschistisch sein? Erstens ist die Zeit vorbei und zweitens: Wie kann ein Stein faschistisch sein - das geht ja nun wirklich nicht."

Aufschlussreich ist Förgs Spiel mit dem Fenster. Für manchen Architekten ist es - ähnlich wie die Leinwand für den Maler - ein rechteckiger Ausschnitt der Welt. Ganz nüchtern und rational ging dagegen der Philosoph Ludwig Wittgenstein in seiner Villa in Wien mit diesem für Förg so bedeutsamen Detail um:

"Bei Mies van der Rohe im Haus Lange und im Haus Esters in Krefeld ist es anders. Der hat über diese sehr breiten, tiefen Laibungen den alten Baumbestand von diesem Park gerahmt. Aber den Wittgenstein hat es wirklich nicht interessiert, was draußen ist. Das Fenster war einzig und allein dazu da Licht hereinzubringen, und ähnlich ist es bei Melnikov."

Von Konstantin Melnikov stammt ein runder Wohnkubus mit Wabenfenstern, den Förg bei seiner Suche nach den Hinterlassenschaften der Sowjetarchitektur der zwanziger Jahre ansteuerte. In Moskau - und einige Jahre später auch in Israel - ging es um die Relikte des Neuen Bauens, um Monumente der Moderne, die im städtischen Alltag an den Rand gerückt, vielfach dem Verfall preisgegeben waren. Das würde ein Denkmalschützer mit größtmöglicher Präzision dokumentieren. Förg jedoch läßt sich treiben, und die Kamera hat sichtlich Mühe, dem bildersüchtigen, umherschweifenden Auge zu folgen:

"Als ich zum Beispiel in Israel war, da ist man natürlich gefangen. Weniger von den Gebäuden, weil man die ja kennt aus den Büchern, aber von dieser ganzen Stimmung. Und auch diese Spannung Jerusalem - Tel Aviv: Das eine ist Glaubenssache und das andere ist Halligalli. Tel Aviv ist Halligalli, und zwar 24 Stunden am Tag. Da geht’s um Strand, da geht’s um Baden und da geht’s um Sex."

Bei Förg dagegen geht’s um Frauen. Frauengesichter tauchen - als Porträt aus geradezu intimer Nähe fotografiert - plötzlich zwischen den menschenleeren Architekturen auf. Beim Gang durch die Villa Malaparte, dem Schauplatz für Jean-Luc Godards Film "Le Mépris", schiebt sich in der Folge von Fensterbildern allmählich ein Sessel vor die Kamera, unversehens hat darin eine junge Frau Platz genommen. Und dann hängt in der Bremer Kunsthalle auch dieses beeindruckende Einzelbild, die Aufnahme der berühmten Freitreppe der Villa Malaparte, über deren ins Endlose aufsteigende Stufen eine Frau ganz allein himmelwärts stürmt.

"In dem Film geht es um eine Beziehung, es geht um Kino, um die Antike, wie man damit umgeht. Im Prinzip geht’s natürlich um das Scheitern einer Beziehung - und das bot sich dann so an. Das war meine Freundin, meine jetzige Frau ist das, die da mit einzubeziehen. Und ich meine: Was ist eine Treppe, ohne daß jemand hinaufläuft?"

So hat Förg mit seinen Fotos nicht nur versucht, hinter und in spröden Fassaden die Architekturgeschichte aufdecken, sondern auch, den sich in all diesen Großformaten spiegelnden Betrachter zu Geschichten zu inspirieren. Dahinter steckt aber auch die Absage an sterile Konzepte und serielle Hochglanzbilder, die in Förgs Augen der Grenze zur Werbeästhetik allzu nahe kommen:

"Die Kunstfotografie, die langweilt mich immer mehr, das ist gähnende Leere. Was interessiert mich ein Prada-Shop - interessiert mich nicht! Und die Konsequenz war, daß ich sagte, ich höre jetzt mehr oder weniger mit der Fotografie auf. Mich interessiert Malerei."

Das kann man nach diesem reich bestückten Rückblick gut verstehen: Über mehr als zwanzig Jahre hat es Günther Förg immer wieder geschafft, mit seinen erfrischend unkonventionellen, sowohl den Gesetzen der Zentralperspektive als auch den technischen Standards der Zunft spottenden Fotos Architekturmonumente aus ihrer Verankerung zu reißen, ihnen ganz eigentümliche, neue Bilder abzugewinnen. Jetzt aber, nach der Bremer Retrospektive, ist alles gesagt. Und sich selbst zu zitieren, das soll Sache der Architekten bleiben.


Service:
Die Ausstellung "Günther Förg - Fotografien" ist bis zum 16. Juli 2006 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.