Gefangen in der Stadt

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 02.11.2009
Die peruanische Regisseurin Claudia Llosa hat im Februar mit ihrem zweiten Film "La teta asustada" den Goldenen Bären gewonnen. Nun startet der Film unter dem Titel "Eine Perle Ewigkeit" in den deutschen Kinos.
Eine alte Frau singt von Mord, Zerstörung, Vergewaltigung und vom Leben in der Fremde, am Rande der Großstadt weit weg von ihrem Heimatdorf in den Bergen. Dann stirbt sie.

Fausta bleibt allein zurück. Schon seit Jahren lebte die junge Frau indigener Herkunft in den Vorstädten Limas. Sie ist ängstlich und in sich gekehrt, denn sie hat schreckliche Erfahrungen bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Jetzt ist die Mutter tot und Fausta möchte sie den alten Traditionen nach im Heimatdorf begraben. Aber sie hat kein Geld, und der Onkel will die Tote bald loswerden, denn seine Tochter heiratet.

"La teta asustada" startet in deutschen Kinos unter dem Titel "Eine Perle Ewigkeit" und ist der zweite Film der peruanischen Regisseurin Claudia Llosa. Er erzählt von den Spätfolgen und Ängsten nach Vergewaltigung und Folter im peruanischen Bürgerkrieg, in den Kämpfen zwischen der brutalen maoistischen Guerilla des "Sendero Luminoso", des "Leuchtenden Pfades, der staatlichen Armee und der Todesschwadronen, bei denen ganze Dörfer ausgerottet wurden. Für Regisseurin Claudia Llosa ist es aber besonders ein Film über Heilung, Selbstfindung und die Rückkehr ins Leben:

"Dabei wollte ich keine Lösung aufzeigen, das wäre mir doch sehr überheblich vorgekommen, aber als ich meinen ersten Film Madeinusa fertiggestellt hatte, hatte ich ein Bedürfnis, Fragen nicht nur zu stellen, sondern auch in gewissem Rahmen zu beantworten. Ich wollte einen Film über das wiedergewonnene Selbstwertgefühl machen. Dieses Gefühl ist so wichtig für die Entwicklung der Gesellschaft, aber besonders auch für die des einzelnen Menschen."

Wie in ihrem ersten Film "Madeinusa" spinnt Claudia Llosa die populären Legenden und Mythen weiter und schafft so eine ganz eigene Wirklichkeit. Die Kinder, die unter Angst geboren werden, sind selbst voller Angst, und ihre Heldin Fausta bekämpft die dunklen Schatten auf ihrer Seele mit dem Gesang. Als Zeichen dieser seelischen und körperlichen Verletzung trägt sie in der Vagina eine Kartoffel: In einigen Dörfern wurde das wirklich als Schutz gegen Vergewaltigungen angewandt, erzählt die Regisseurin, andererseits symbolisiert die Kartoffel ein bösartiges seelisches und körperliches Geschwür.

"Auf der einen Seite symbolisiert die Kartoffel die Wunde, das unbewältigte Trauma, den Schmerz in unserem Inneren, aber auf der anderen Seite steht sie auch für unsere Identität, für die Erde, symbolisiert Fruchtbarkeit und Fortpflanzung. Sie steht für unsere Tradition, aber im selben Moment ist das auch ein Ballast. Das ist das Paradox der Kartoffel, du musst sie aus dir herausreißen, um dich weiter zu entwickeln, aber wenn du sie herausreißt hörst du auch zum Teil auf, du selbst zu sein."

Der Film lebt von kräftigen, fast irrealen Bildern: Etwa die Mumie der toten Mutter unter dem Bett, das zerschmetterte Klavier im Garten der reichen Pianistin oder die Massenhochzeiten auf dem Berg über Lima. Mit der gefälligen Poesie des magischen Realismus habe das allerdings nichts zu tun, sagt Claudia Llosa:

"Ich habe in meinem Film viele Elemente, die uns magisch vorkommen, aber in Wirklichkeit überschreiten sie einfach unsere Vorstellung von der Wirklichkeit. Wenn die Realität unsere Vorstellung übertrifft, ist das wie ein Schock für uns, wir verstehen nichts mehr und beginnen unsere Vorstellung von der Welt zu hinterfragen. Das ist ein sehr interessanter Effekt und das ist die eigentliche Magie."

"La teta asustada" erzählt von der langsamen Selbstbefreiung der Protagonistin, erzählt aber auch von der doppelten Identität Perus, zwischen der Welt indigener und ländlicher Traditionen und dem modernen, auf die USA und Westeuropa ausgerichteten Bürgertum.

"Die dunkle Zeit des Terrorismus in Peru traf zunächst einmal die ländlichen Gebiete in den Bergen. In Lima tat man jahrelang so, als ginge das einen nichts an, und die Hauptstadt distanzierte sich von den ländlichen Gebieten. Das war für mich auch ein Thema, diese Distanz und die Unfähigkeit, miteinander zu sprechen."

So ist der Film ein Porträt der Elf-Millionen-Metropole Lima, mit ihren Vorstädten, in denen sich immer mehr Flüchtlinge aus den ländlichen Regionen einfinden, und ihrem wohlhabenden Bürgertum in abgeschirmten Wohnhäusern. "La teta asustada" erzählt auf ungewöhnliche und subtile Weise aber auch eine universelle Geschichte. Sie kann in jeder Gesellschaft verstanden werden, die die Traumata von Krieg, Vergewaltigung und Unterdrückung verarbeiten und überwinden muss.