Gefahrengut

Rollende Bomben mit schwarzem Gold

Öl und Gas werden mit Zügen quer durch die USA transportiert. Güterzug aufgenommen im kalifornischen Bay Area im Jahr 2005
Öl und Gas werden mit Zügen quer durch die USA transportiert. © picture-alliance/dpa/dpaweb/Keystone Mike Fox
Von Heike Wipperfürth · 09.02.2015
Albany, die Hauptstadt des US-Bundesstaats New York, ist seit dem Ölboom der wichtigste Umschlagplatz für Öl und Gas in den USA. Ununterbrochen rollen Züge voller Gefahrengut durch die Vororte der Stadt. Ein Sicherheitsrisiko für Millionen von Menschen, warnen Umweltschützer.
Ein sonniger Samstag Mittag in der Ezra Prentice Siedlung in Albany, der Hauptstadt des US Bundesstaates New York. Früher traten viele der rund 450 Einwohner am Wochenende gerne vor die Tür, um Klopse zu braten und ein wenig zu plaudern. Doch damit ist es jetzt vorbei. Hunderte bedrohlich schwarz glänzender Tankwaggons rollen an den 16 schmucklosen Sozialbauten vorbei – keine zehn Meter von Kinderspielplatz und Grillgeräten entfernt. Pausenlos, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, seufzt Portia Gaddy. Die langjährige Bewohnerin hält sich verzweifelt die Ohren zu.
"Ich bin sehr nervös geworden, denn ich wohne direkt neben den Gleisen. Jedes Mal wenn ein Zug vorbeikommt, hört es sich so an, als würde das ganze Gebäude in die Luft fliegen. Das macht mir Angst."
Das Problem ist nicht nur der unerträgliche Dauerlärm. Es ist vor allem die gefährliche Fracht: Rohöl aus der Bakken Formation in North Dakota – so flüchtig und leicht brennbar, dass es jederzeit explodieren kann und Millionen von Menschen gefährdet, die an der Strecke wohnen. "Rollende Bomben" – so werden die Ölzüge in den USA genannt, sagt Chris Amato.
"Schauen Sie sich die Kinder an, die dort spielen. Sie atmen Gefahrenstoffe ein und könnten Opfer eines katastrophalen Unfalls werden. Die Siedlung ist so nah an den Gleisen, dass sie sich in höchster Gefahr befinden."
Amato ist Rechtsanwalt bei der Umweltschutzkanzlei Earthjustice. Die drohende Gefahr ist sein Hauptanliegen. Per einstweiliger Verfügung will er eine Umweltverträglichkeitsprüfung der Öltransporte erzwingen – und das nicht nur in Albany.
"Wir haben ähnliche Klagen in Oregon, Washington und Kalifornien eingereicht. Es geht fast immer darum, dass ein Unternehmen ein Öllager in ein riesiges Rohöltransportunternehmen umwandelt, ohne dass geprüft wurde, wie sich das auf die Umwelt und die Bevölkerung auswirkt."
Extremes Beispiel für die Folgen des Ölbooms
Ganz anders die Stimmung im Port of Albany, dem Ziel der Rohöltransporte, nur eine kurze Autofahrt von der Ezra Prentice Siedlung entfernt. Hier warten enorme Gasturbinen und Schrottberge auf den Abtransport. Doch nun will der alte Industriehafen am Hudson River eine neue Bedeutung erlangen: als größter Umschlagplatz für Öl in den USA, das durch Fracking gewonnen wurde. Der Anfang ist gemacht: Seit 2012 rollen jährlich bis zu zwölf Milliarden Liter Rohöl aus dem fast 3000 Kilometer entfernten North Dakota in den Hafen. Und die lange Reise ist noch nicht zu Ende: Lastkähne bringen die explosive Fracht an New York City vorbei zu Raffinerien in New Jersey und Kanada.
"Jeden Tag kommen Lastkähne und Schlepper in unseren Hafen, um Öl abzuholen. Für unsere Hafenarbeiter heißt das mehr Arbeitsstunden. Und unser Einkommen ist alleine aufgrund dieser Mehrarbeit um 200.000 Dollar im Jahr gestiegen."
Sagte Richard Hendrick, der Chef des Hafens von Albany. Verantwortlich für 1400 Mitarbeiter und die schnelle und reibungslose Abfertigung der Ware. Das explosive Öl bereitet dem ehemaligen Polizisten keine Kopfschmerzen – trotz eines Ölunfalls in seinem Hafen erst vor drei Monaten und trotz des Rohölfrachtschiffes, das vor zwei Jahren kurz nach Verlassen des Hafens auf Grund lief – mit fast ebenso viel Öl an Bord wie die Exxon Valdez.
Und trotz der Katastrophe im kanadischen Lac-Megantic, bei der 47 Menschen starben, weil ein unbeaufsichtigter Güterzug entgleiste und 63 Kesselwagen explodierten, die gefracktes Rohöl transportierten. Richard Hendrick sagt, er sei gut auf einen Zwischenfall vorbereitet.
"Wir haben die Unfälle in den USA und Kanada analysiert, damit wir unsere Sicherheitsbedingungen verbessern können. Und wir arbeiten eng mit Stadt, Bund und Hilfstruppen zusammen, um schnell handeln zu können, wenn es sein muss."
Katastrophengefahr, Lärm, Dreck, Abgase – die Hauptstadt des Bundesstaates New York ist ein extremes Beispiel für die alarmierenden Folgen des Ölbooms in den USA. Der Blick auf eine Statistik genügt: Die Zahl der Güterzüge, die gefracktes Rohöl in den USA zu Raffinerien bringen, hat sich innerhalb der letzten fünf Jahre von 9500 auf mehr als 400.000 erhöht - das ist eine Steigerung von 4000 Prozent - und erst der Anfang, freut sich Karen Moreau, die Leiterin des New York State Petroleum Council, ein Lobbyistenverband der Ölbranche.
"Es sieht ganz danach aus, als ob demnächst nicht nur Rohöl aus North Dakota, sondern auch Teersande aus Kanada mit der Bahn hier ankommen werden."
Und zwar als Zwischenstation auf dem Weg nach Europa. Denn im vergangenen Oktober hat die EU Kommission die Türen für die Einfuhr des Klimakillers geöffnet: Auf Drängen Kanadas hat sie die zähflüssigen schwarzen Teersande mit anderen Brennstoffen gleichgesetzt – obwohl die Klimabilanz viel schlechter ist. Auch Öl aus den USA könnte demnächst auf den Weltmarkt fließen, sagt Moreau.
"Wenn die USA erst ihr Verbot von Rohölexporten aufheben, dann kommt noch viel mehr Öl hierher. Und von hier aus fließt es in die ganze Welt."
Wie reagiert die US-Regierung?
Eine Autofahrt durch den Hafen von Albany. Kate Hudson, eine Anwältin bei der Umweltorganisation Riverkeeper, steuert an Containergleisen und riesigen Öltanks hinter hohen Maschendrahtzäunen vorbei: Hier regieren zwei große Ölfirmen: Buckeye Partners aus Texas und Global Partners aus Massachusetts. Sie haben den Mangel an Pipelines als Marktchance erkannt und bringen das explosive Gebräu seit zwei Jahren mit der Bahn nach Albany. Dafür mussten sie weder die Genehmigung einholen, um die gefährliche Brühe durch bevölkerungsreiche Gegenden zu fahren, noch den Katastrophenschutz oder die Bevölkerung informieren. Die Risiken eines Unfalls wurden ausgeblendet.
"Die Firmen, die das Öl durch den Bundesstaat New York transportieren, brauchen nur sehr wenig Geld in den bundesstaatlichen Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden einzuzahlen – ich glaube, eineinhalb Cents pro Barrel oder so. Firmen, die ihr Öl in New York kaufen oder verkaufen, müssen wesentlich mehr bezahlen."
Hinzu kommt: Noch immer beruht die Kalkulation der Verschmutzungsschäden auf einer Studie aus dem Jahre 1978. Und das, obwohl sich die Ölunfälle häufen. Das Urteil der Experten: Die wahren Kosten des Ölbooms werden unterschätzt.
"In der Galveston Bay in Texas floss eine große Menge Öl nach einer Kollision zwischen zwei Frachtschiffen in ein Vogelschutzgebiet. Auf solche Desaster sind wir überhaupt nicht vorbereitet."
Die streitbare Anwältin verbringt viel Zeit damit, Kommunen in der Gefahrenzone über die " rollenden Bomben" aufzuklären. Und zeigt ihnen eine hässliche Welt: 69 Prozent der Tankwaggons verstoßen laut US Verkehrsministerium gegen die Sicherheitsmaßnahmen: ihre Wände, Ventile und Verschraubungen sind viel zu schwach für die hochexplosive Fracht. Und: Sie rollen über ein veraltetes Schienennetzwerk, das nie der neuen Zeit angepasst wurde.
"Die Bahnstrecke der CSX Eisenbahnlinie liegt an vielen Stellen direkt am Hudson River und verläuft über Brücken, die 100 Jahre alt sind und in letzter Zeit nicht überprüft wurden. Ein Unfall könnte den Fluss verseuchen."
Auch immer mehr Politiker in Albany sind einhellig von einer drastischen Zunahme der Gefahr durch Öltransporte überzeugt – und finden ein paar schlichte Worte: so geht das nicht weiter. An einem Mittag im August trafen sie sich mit Umweltschützern und Erziehern in einem prunkvollen Regierungsgebäude, um vereint vors Mikrofon zu treten. Eine Pädagogin zeigte auf eine Landkarte mit vielen roten Punkten: Sie markieren 75 Schulen, die nur eine Meile von den Gleisen entfernt sind - die höchste Gefahrenzone. Wie können Eltern mit der fehlenden Sicherheit für ihre Kinder umgehen? Eine Lehrerin fürchtet gar, dass eine Katastrophe eine ganze Generation von Kindern in der Region auf einen Schlag auslöschen könnte.
Und wie reagiert die US-Regierung auf die Bedrohung? Mit halbherzigen Reformvorschlägen. Sie fordert Geschwindigkeitsbegrenzung und Modernisierung der Tankwaggons – aber erst in drei Jahren. Die Idee wird von der Öllobby ignoriert – und bekämpft. Ihr neuester Vorstoß: Eine Studie des North Dakota Petroleum Council. Darin beharrt die Organisation auf der Meinung: die Modernisierung der Tankwagen sei reine Geldverschwendung, mit der Begründung, die Brühe sei in den veralteten Waggons durchaus sicher. Unsinn, sagt die liberale US Fernsehmoderatorin Rachel Maddow.
"Eine Studie von 500 Ölfirmen, die in der Presse auf große Aufmerksamkeit stößt, zeigt, dass alles beim Alten bleiben soll. Meine Damen und Herren, ich schlage vor, Sie freuen sich über die feurigen Explosionen alle paar Wochen an Gleisen zu ihren Städten. Stellen Sie sich vor, sie beobachten ein gigantisches, kostenloses Feuerwerk."
Das Trinkwasser ist verschmutzt
Midtown Manhattan, 49. Stock. Im Konferenzzimmer einer großen Anwaltskanzlei mit Blick auf Freiheitsstatue und Hudson River sitzt George Bochis aus Florida. Auch er will vom Ölboom profitieren: Mit einem Mammut Projekt. Er plant, eine 277 Kilometer lange Pipeline zu bauen – von Albany bis nach New Jersey. Vom Erfolg seines Projektes ist Bochis überzeugt.
"Die Luftverschmutzung und das Ölunfallrisiko sind bei einer Pipeline geringer als beim Öltransport auf Bahn und Schiffen. Viele Städtchen am Hudson werden von dem Fluss mit Trinkwasser versorgt – ein Ölunfall wäre eine Katastrophe. Wir würden unsere Pipeline landeinwärts bauen – daher könnte nichts passieren."
Um Aufsichtsbehörden und Kommunen für den Bau des Eine Milliarde Dollar Projektes zu gewinnen, braucht er treffende Argumente – sonst platzt das Geschäft.
Den Weg kennt Kapitän John Lipscomb wie im Schlaf, so oft ist er ihn schon gefahren – 250 Kilometer von Albany bis nach New York City – in einem kleinen weißen Holzboot. Von der Umweltschutzorganisation Riverkeeper hat er den Auftrag, den Hudson River zu patrouillieren, um Umweltverschmutzern auf die Schliche zu kommen. Egal ob mit Schiff, Zug oder Pipeline – die Öltransporte beobachtet er mit großer Sorge.
"Ich sehe zwei oder drei Zugladungen pro Tag, die am Ufer des Hudsons vorbeirollen. Jede transportiert elf Millionen Liter Rohöl. Einmal wöchentlich hat ein Frachtschiff namens Aphrodite 30 Millionen Liter Rohöl an Bord - das geht doch nicht."
Tag und Nacht beschäftigt er sich damit, die Umweltverschmutzung im Hudson River zu dokumentieren, in seinem kleinen Boot stapeln sich Ordner, Aktien, Kameras und Karten – er hält alles fest, was passiert. Auch den Unfall des ersten Rohöltransportschiffs, das im Dezember 2012 auf Grund lief. Auch wenn kein Öl auslief, weil es sich um einen doppelwandigen Tanker handelte – zufrieden mit der damaligen Rettungsaktion ist Lipscomb nicht.
"Es dauerte fünf Stunden, bis ein Hubschrauber an der Unglücksstelle erschien. Er musste extra aus Massachusetts kommen."
Er weiß: Nun üben Einsatzkräfte zum wiederholten Male die Reinigung des Hudson Rivers, um sich auf einen Ölunfall vorzubereiten. Vergebens.
Dabei, sagt Lipscomb, sei es höchste Zeit für die USA, ihre Prioritäten endlich richtig zu setzen
"Es geht bei unserer Arbeit auch um globale Themen wie die Erderwärmung, aber unser Schwergewicht liegt auf der Lösung lokaler Probleme wie zum Beispiel das Wasser vor Verschmutzung zu schützen, und deshalb bin ich hier."
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