Gefährliche Entwicklung

Der globale Ausverkauf von Recht und Gesetz

Die "Justitia" in Frankfurt am Main.
Die "Justitia", Göttin der Justiz und der Gerechtigkeit, steht auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt am Main. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Peter-Alexis Albrecht · 21.08.2014
Weltweit wird Rechtsstaatlichkeit in einem rasanten Prozess abgebaut, meint der Jurist Peter-Alexis Albrecht. Stattdessen habe inzwischen die Ökonomie die Zügel in die Hand genommen.
Uncle Sam hört Frau Merkels Handys ab, ohne Scham. Freunde betreiben gegeneinander Spionage, ohne Scham. Uncle Sam tötet mit Drohnen Verdächtige - in Ländern, mit denen die USA nicht im Krieg liegen; Kollateralschäden, also die Tötung völlig Unbeteiligter eingeschlossen.
Ist das alles mit dem Recht, mit universellen Menschenrechten, vereinbar? Nur um sich präventiv vor Straftaten zu schützen?
Mitnichten! Weltweit wird Rechtsstaatlichkeit in einem rasanten Prozess abgebaut. Die Grundlagen der Aufklärung geraten in Vergessenheit: das Recht, nicht der Mensch regiert. Aus der Sicht machtvoller Exekutiven hindert das Recht die Politik, also Regierungen und Behörden, am schnellen und wirksamen Zugriff. So wird Recht im Sinne effektiven Schutzes der Menschrechte offenbar selbst als politischer Störfaktor angesehen. Aber das ist der Ausverkauf des Rechtsstaates.
Und die Juristen reagieren nicht, verkriechen sich - wie meist - in den Tiefschlaf.
Globale Player geben den Ton an
Nicht mehr das Recht ist gesellschaftliches Steuerungsmittel, sondern die Ökonomie hat die Zügel in die Hand genommen. Globale Player sind es, die den Ton angeben. Verstößt ein Land gegen das Völkerrecht der Mehrheiten, werden nicht rechtliche Schritte angepeilt, nein, ökonomisch wird agiert: wirtschaftliche Sanktionen sollen Abweichler wieder auf Vordermann bringen.
Machtausübung anstelle von Verhandlung und Recht ist die Devise. Und da sind wir am springenden Punkt. Es zählt allein, dass sich die vielen kleinen und mittleren Länder an den wenigen großen ausrichten.
Uncle Sam ist der Meister-Player und er ruft zum Anschluss auf: Mitmachen oder untergehen! Das ist die Devise des Unilateralismus der Vereinigten Staaten von Amerika. Russland und China lassen grüßen.
Dabei hatte es ab 1945 hoffnungsvoll begonnen. Die Nürnberger Prozesse über Nazideutschland stärkten eine Rechtsentwicklung, die sich primär an universellen Menschenrechten orientierte. Sie schien als Völkerrecht richtungsweisend zu werden. Doch der damalige minimale internationale Konsens führte eben nicht dazu, dass sich alle in der Staatengemeinschaft dauerhaft internationalen Normen zu unterwerfen bereit waren.
Papiertiger, die viel Gerede produzieren
Die Rechtsvernichtung, die die USA im Gefolge ihrer Überreaktion auf terroristische Akte seit Jahren produzieren und von den Verbündeten ebenso einfordern, schafft Feinde und Märtyrer in aller Welt und auf unabsehbare Zeit.
Es bleibt Utopie, dass universelle Menschenrechte nur durch internationalen Rechtszwang durchgesetzt werden; es ist leider Realität, dass mächtige Staaten oder große Wirtschafträume gewaltsam ihre Interessen vertreten.
Vereinte Nationen und Europäische Union sind Papiertiger, die zwar viel Gerede produzieren, jedoch mangels wirksamer Legitimation wenig bewirken. Den Weltsicherheitsrat blockieren die fünf ständigen Atommächte nach Belieben mit ihrem Vetorecht.
Nicht anders ergeht es der Justiz. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg ist lediglich für wirtschaftliche Verstöße innerhalb der EU zuständig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dient sogar nur als eine Art rechtsgeschichtliche moralische Instanz.Und dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sind Weltmächte wie die USA, Russland und China bewusst nicht beigetreten.
Zurück in alte imperialistische Strukturen
Allein Schiedsgerichte vermögen ansatzweise durchzugreifen, aber nur in Handelsfragen, ohne Öffentlichkeit und außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
Was bleibt also vom Recht als Mittel der Begrenzung staatlicher und ökonomischer Macht? Es bindet vornehmlich die Schwachen – und wird von der Macht der Stärkeren ausgehebelt. Keine gute Aussicht für eine Welt, die wieder in die alten imperialistischen Strukturen zurückfällt.
Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor (em) für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Bezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems. Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" (3. Auflage, 2011) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010). Mit dem Beginn der Unruhen in der Ukraine im November 2013 gab er zusammen mit Professoren aus drei ukrainischen Universitäten den dreisprachigen Band „Der eigene Weg der Ukraine" (BWV, 2013) heraus.
Peter-Alexis Albrecht
Peter-Alexis Albrecht© Gisèle Zandel