Gedichtband

Zwischen Engeln und Epidermis

Dichter Gerhard Falkner
Schriftsteller und Dichter Gerhard Falkner © imago/gezett
Von Jörg Magenau · 02.02.2015
Gerhard Falkner ist ein Virtuose der Sprache, was er mit dem Gedichtband "Ignatien - Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs" erneut unter Beweis stellt. Griechische Mythologie ist darin ebenso präsent wie Trivialkultur und Videostills des Künstlers Yves Netzhammer.
Wer auf Weltkarten nach einem Land Ignatien sucht, wird nicht fündig werden. Das Ignatien des Lyrikers Gerhard Falkner ist ein poetisches Kunstprodukt. Der Titel bezieht sich auf die Ignatia amora, auch Ignaz-Bohne genannt, eine Pflanze, die Strychnin enthält und deshalb in höherer Konzentration gefährlich ist. In homöopathischen Dosen aber entfaltet sie einen wundersamen Wirkungsreichtum.
Im Anhang des Bandes ist eine Schrift des Begründers der Homöopathie, Christian Friedrich Samuel Hahnemann abgedruckt. Demnach ist die Ignazbohne bei "Wüstheit im Kopfe", "Jücken am After und im Mittelfleische" und bei Impotenz ebenso angeraten wie bei "Steifigkeit der männlichen Ruthe beim zu Stuhle gehen", bei heftigem Aufstoßen und "Aufschwulken bitterer Feuchtigkeit", vor allem aber bei Gemütseintrübungen und Nervenerregungen aller Art, bei Angstzuständen, Atemnot, traurigen Träumen, Zaghaftigkeit, Griesgrämigkeit und "zarter Gewissenhaftigkeit".
Falkners "Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs" zeitigen ähnliche Wirkungen. Sie sind gewissermaßen Naturprodukte, die auf Geist und Sprache zielen und die technische Verfasstheit der Welt in den Blick nehmen. Sie bewegen sich zwischen Amok und Psyche, zwischen David Lynch und Leukozyten, zwischen Engeln und Epidermis. Griechische Mythologie ist ebenso präsent wie Trivialkultur und digitales Rauschen und die Zeichenhaftigkeit der Dinge. Und inmitten des Chaos' der Welt versucht das sprechende Ich sich zu orientieren. Damit setzt Falkner ein:
"Wer, wenn nicht ich, hörte mich denn
aus der Enge der Ordnungen
dem Ingrimm der Zeichen
in entsprechender Zeit?"
Unfassbare Phänomene wie Seele und Liebe
Chromosomensätze sind ihm eine Grammatik, so wie die Buchstaben des Alphabets sich auf die Buchenstäbchen zurückführen lassen, die den Frühmenschen als Zeichen dienten. All das wird bei Falkner zu Gedichten, in denen die Sprache sich selbst zu fassen sucht und auch so unfassbaren Phänomenen wie Seele und Liebe eine Wirklichkeit zugesteht. Das melancholische Motto von Heinrich von Kleist, das dem Band vorangestellt ist, zieht sich als Grundton durch:
"Ach, ich trage mein Herz mit mir herum wie ein nördliches Land den Keim einer Südfrucht."
Manchmal ist Falkner ein bisschen zu sehr auf Effekte aus und lässt sich dazu verleiten, Ideen zu illustrieren oder in Spielereien abzugleiten, anstatt sich der Führung der Sprache zu überlassen. Dadurch entstehen Brüche, die aber die Kraft des Ganzen nicht mindern. So wie auch die Liebenden bei ihm aufs sprachliche Ganze gehen:
"Lieber von Göttern zerstört
als vom Wirrwarr zerbrochen
sind wir doch weiter nichts als das
winzige Drama im beweglichen Heer
von Metaphern."
Illustriert ist der Band mit Videostills von Yves Netzhammer: geometrische Muster und roboterhafte Figuren, die in ihrer künstlichen Körperhaftigkeit an Bilder von Oskar Schlemmer erinnern. Dazu gibt es auch noch die englischen Übersetzungen der Elegien von Ann Cotten, die in einem der Verse auch selbst vorkommt: "Der Unterschied zwischen Ann Cotten und Jerry Cotton", so heißt es da, "ist, genetisch gesehen, irrelevant." Denn alles ist ja das "gleiche trügerische Schillern von Aminosäuren."
Das Wunder aber besteht darin, dass aus den Proteinen so etwas wie Sprache entsteht, und aus der Sprache eine ganze Welt. Da kann man schon mal einen Nervenzusammenbruch erleiden.

Gerhard Falkner, Yves Netzhammer: "Ignatien. Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs"
Translated and, but rarely, transmuted by Ann Cotten
Starfruit publications, Fürth 2014
130 Seiten, EUR 19,90