Gedenkfeier in St. Petersburg

Putin schwer bewegt

Von Gesine Dornblüth · 27.01.2014
Leningrad wurde im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen vollständig abgeriegelt. Die Bevölkerung sollte verhungern. Das heutige St. Petersburg gedenkt der Blockade mit einer Schweigeminute und einer Menschenkette mit 1944 Lichtern.
Das Geräusch aus den Lautsprechern ist den Blockade-Überlebenden vertraut. Der Leningrader Rundfunk warnte mit dem Signal vor Bombenangriffen der Deutschen. Schlug das Metronom langsam, war alles ruhig. Schnelles Tempo hieß: Alarm. Präsident Putin wirkte bei der Kranzniederlegung bewegt. Er stammt selbst aus St. Petersburg. Sein Bruder starb während der Blockade und soll in einem der Massengräber liegen.
Vor der Trauerzeremonie hatte das Militär unmittelbar vor dem Gedenkfriedhof, auf dem sogenannten „Prospekt der Unbeugsamen“, eine Parade abgehalten. Zunächst fuhr historisches Gerät auf: Sowjetische Panzer vom Typ T-34, Militärlaster, Geländewagen; anschließend moderne Waffen wie die Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander.
1500 Soldaten waren beteiligt. Die Parade wurde landesweit im Fernsehen übertragen. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg ist nach wie vor ein zentrales sinnstiftendes und einendes Moment in der russischen Gesellschaft.
"Heute sind die Banner der Sieger nach wie vor in guten Händen. Die Soldaten des Militärbezirks West ehren und mehren die militärischen Traditionen und erfüllen professionell und aufopfernd ihre militärische Pflicht. Diese Kontinuität garantiert den künftigen Ruhm Russlands und die Macht seines Militärs."
Zur Trauer mischen sich, wie so oft im russischen Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, Patriotismus und Heldenkult. Galina Schkolnik ist Mitarbeiterin der Organisation Memorial in St. Petersburg, die sich um Opfer des Stalinismus kümmert. Sie sieht das offizielle Gedenken mit einer gewissen Skepsis.
"Was hat es mit Heldentum zu tun, wenn die Menschen verhungern? Das ist eine Tragödie. Aber darüber redet keiner. Man muss die Blockade als ein Glied in der Kette der Repressionen gegen das eigene Volk sehen. Zur Blockade kam es nicht nur wegen des blitzartigen Überfalls, sondern auch wegen der Zustände hier bei uns."
Versäumnisse auf sowjetischer Seite hätten dazu beigetragen, dass so viele Zivilisten in Leningrad ihr Leben verloren, sagt auch die britische Buch-Autorin Anna Reid. Die sowjetische Führung habe es versäumt, den Überfall der Deutschen 1941 vorherzusehen und rechtzeitig eine Verteidigung aufzubauen.
"Außerdem haben die Behörden Leningrad nicht rechtzeitig evakuiert und zu wenig Lebensmittelvorräte angelegt."
Heute Abend um 19 Uhr Ortszeit soll ganz Petersburg in einer Schweigeminute verharren. Anschließend werden symbolhaft 1944 Jugendliche in einer Menschenkette Lichter entzünden.
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