Gedenkfeier in Dachau

Es ist wichtig, keinen Schlussstrich zu ziehen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (r, CDDU) geht am 03.05.2015 mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster (l), und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, zur Zentralen Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau auf dem ehemaligen KZ-Gelände in Dachau (Bayern).
Zentrale Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau © dpa / Andreas Gebert
Von Susanne Lettenbauer · 03.05.2015
Die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen darf nicht enden. Darin waren sich die Besucher einig beim Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 70 Jahren. An sie richtete die Kanzlerin ihre mahnenden Worte.
Über 120 Gedenkkränze wurden am Sonntagmittag am internationalen Mahnmal der KZ Gedenkstätte Dachau niedergelegt. Über 120 Kränze von den wichtigsten Botschaftsvertretungen der Welt. Ungeachtet des Dauerregens hatten über 130 Überlebende und deren Angehörige, aber auch ehemalige amerikanische Soldaten, die früheren Befreier den Weg nach Dachau gefunden zur wahrscheinlich letzten großen Gedenkfeier anlässlich der Befreiung eines der perfidesten Lagers des Deutschen Reiches.
"Als die Amerikaner uns befreiten, verstand ich erst, dass der Alptraum ein Ende haben sollte. Endlich hatte ich mein Leben wieder. Daran erinnern wir heute."
Als einer von 130 Überlebenden gedachten drei ehemalige Häftlinge während der 90minütigen Gedenkfeier der Ankunft der amerikanischen Truppen in Dachau vor gut 70 Jahren. Einer von ihnen begleitet von zwei seiner acht Urenkel.

Über 40.000 Menschen waren von 1933 bis 1945 in den engen Baracken von Dachau gestorben. Ähnlich wie in anderen Konzentrationslagern deutschlandweit. Doch Dachau nimmt unter den NS-Vernichtungslagern eine besondere Stellung ein. Hier wurde das Wachpersonal für die späteren Konzentrationslager in Osteuropa ausgebildet. Hier perfektionierte das Lagerpersonal Foltermethoden, die auf andere Lager übertragen wurden.
Die Jüngeren an den Leiden teilhaben lassen
Dachau war das Vorbild für die Vernichtungslager wie Auschwitz, Buchenwald, Bergen-Belsen. Kein anderes Lager bestand so lange wie Dachau – zwölf Jahre. Auf dem noch heute zu besichtigenden Schießplatz trainierte die SS die effektivsten Todesschüsse für den Einsatz an der Ostfront. Zum allerersten Mal in der Geschichte der Gedenkstätte trat am Sonntagmittag nun der höchste Repräsentant Deutschlands, die Bundeskanzlerin vor die Überlebenden: "Über 200 000 dieser gequälten und verfolgten Menschen waren zwischen 1933 und 1945 im Konzentrationslager Dachau oder in einem seiner Außenlager inhaftiert. Sie wurden verfolgt und inhaftiert, weil sie anders dachten, anders glaubten, anders lebten, als es der Ideologie der Nationalsozialisten entsprach."


Es sei ihr eine große Ehre, zu den Überlebenden sprechen zu dürfen, so Angela Merkel. Genauso sei es eine Ehre, dass die Überlebenden von ihrer Lebensgeschichte erzählen und die Jüngeren an ihren Leiden teilhaben lassen. Dachau stehe ebenso wie Auschwitz für den Zivilisationsbruch der Shoa, als Synonym für die Entrechtung und Verfolgung von Millionen von Menschen, nicht nur aus Europa:
Blumen und Kränze zum Gedenken an die Opfer des KZ Dachau
Blumen und Kränze zum Gedenken an die Opfer des KZ Dachau© Deutschlandradio Kultur / Susanne Lettenbauer
"Sie kamen aus ganz Europa, sie stammten darüber hinaus aus vielen Teilen der Welt, aus Asien und – das ist heute in der Öffentlichkeit wenig bekannt – aus Afrika. Aus dem Kongo, aus dem Senegal und aus Eritrea."
Es ist wichtig, keinen Schlussstrich zu ziehen
Genau deshalb sei es wichtig, keinen Schlussstrich zu ziehen. Es sei wichtig, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und aufzupassen, dass "unsere Wertvorstellungen auch wirklich gelebt werden". Man dürfe nicht die Augen davor verschließen, dass heute wieder Polizeiwachen vor jüdischen Einrichtungen stehen müssten, dass das jüdische Museum in Brüssel vergangenes überfallen wurde. Antisemitismus finde man nicht nur in Studien, sondern sei sichtbar geworden bei dem Überfall auf einen koscheren Supermarkt in Paris im Januar wie auch der Überfall auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo:
"Wir alle sind unablässig dazu aufgerufen, unmissverständlich klarzumachen, dass jüdisches Leben Teil unserer Identität ist, dass Diskriminierung und Ausgrenzung keinen Platz haben dürfen und sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden müssen."
Man müsse aber auch an der anderen Opfergruppen gedenken, mahnte ein Redner des Vereins der Häftlinge des KZ Dachau. Es reiche nicht, für die Sinti und Roma ein Denkmal in Berlin aufzustellen, auch an anderen Vernichtungsorten sei dies notwendig.
"Dachau ist eine Lektion über die Evolution der Dunkelheit, wie ungehemmte Intoleranz und ungehemmter Hass außer Kontrolle geraten können", hatte US-Präsident Barack Obama diese Woche erklärt.

130 ehemalige Häftlinge, zum Teil auf ihre Angehörigen gestützt, verfolgten die Rede der Bundeskanzlerin. Einige von ihnen sind zum ersten Mal und wahrscheinlich letzten Mal seit Kriegsende wieder auf dem Lagergelände.
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