Geburtsstunde von Bündnis 90

Von Kirsten Heckmann-Janz · 21.09.2011
Im Spätsommer 1991 trafen sich rund 200 Delegierte der Oppositionsgruppen der ehemaligen DDR in Potsdam. Aus der lockeren Vereinigung von Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen formierte sich die neue Partei "Bündnis 90". Vor Augen hatten die Gründer eine solidarische Gesellschaft. Ihr Fernziel: eine soziale und ökologische Weltwirtschaftsordnung.
"Wer im September 1989 'Demokratie Jetzt' gesagt hat, muss im September 1991 'Bündnis 90' sagen."

Der Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann im Herbst 1991. Rund 200 Delegierte der Organisationen "Demokratie Jetzt", "Initiative Frieden und Menschenrechte" und "Neues Forum" trafen sich unter dem Motto "vollenden und aufbrechen", um die Partei "Bündnis 90" zu gründen.

"'Demokratie Jetzt', das hieß Demokratie nicht von Gnaden irgendwelcher Zulassungen der SED oder deren Innenministerium, sondern Demokratie aus Kräften der Bürger und Bürgerinnen, und zwar aus den Kräften der Bürger- und Bürgerinnenfreiheit, die man sich nimmt und die einem niemand anderes geben kann."

1989/90 hatten die Oppositionsgruppen der DDR am Runden Tisch die Änderung des DDR-Wahlgesetzes erkämpft. Dadurch konnten die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen im März 1990 bei den ersten und einzigen freien Wahlen für die Volkskammer kandidieren. Petra Morawe, damals im "Neuen Forum" aktiv:

"Bis zur Volkskammerwahl waren es noch lauter kleine Einzelvereinigungen, und die mussten zusammengeführt werden zu einer Kraft, und die sollte dann eben 'Bündnis 90' sein, das Bündnis, was 1990 geschlossen wird unter uns Bürgerbewegten, und das ist sozusagen die Vorgeschichte."

Rund zehn Monate später - bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen im Dezember 1990 - war das "Bündnis 90" immer noch eine lockere Verbindung ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen.

"Anschließend ging es dann eben darum, eine wählbare politische Vereinigung zu gründen, was - auf Deutsch gesagt - eine Partei ist. Was wir aber damals möglichst nicht gesagt haben, weil viele, viele Bürgerbewegte, ich gehörte da auch durchaus dazu, mit Parteien eigentlich gar nichts am Hut hatten, ja. Partei war sozusagen immer nur SED oder Blockparteien und davon hatte man wirklich absolut genug."

Für zukünftige Wahlen mussten allerdings die Vorschriften des bundesrepublikanischen Parteiengesetzes erfüllt werden. Das schrieb der Einigungsvertrag vor. So war zum Beispiel eine Satzung erforderlich.

"Wir waren im engen Kontakt zum Bundeswahlleiter, der uns sozusagen schulte, weil wir ja auch nicht wussten, was ist denn jetzt sozusagen angesagt, wie muss denn so eine wählbare politische Vereinigung beschaffen sein' Alles so 'ne Fragen. Da kommt dann hinzu, dass wir auch in einem inneren starken Zerreißvorgang waren. Gerade viele Menschen, die sich zum 'Neuen Forum' gesellt hatten, da waren eigentlich die meisten, die Widerstand zeigten gegen diesen nächsten Schritt, denen ging das im Prinzip allen viel zu schnell. Und es gab ganze Landesverbände, die sich da verweigert hatten, die dann eben sagten, wir bleiben eine Bürgerbewegung, und wir wollen nicht eine Partei werden."

Die Bündnis-90-Gründer hatten eine solidarische Gesellschaft vor Augen, die – wie es hieß – "Frieden als Frucht von Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde" verwirklichen solle. Fernziel sei eine soziale und ökologische Weltwirtschaftsordnung. Nach intensiven Diskussionen stand der "Grundkonsens" – wie das Parteiprogramm genannt wurde - zur Abstimmung.

"Und woran ich mich auch noch sehr lebendig erinnere, wir standen alle in der Reihe, und wir waren alle so fröhlicher Stimmung, dieses Gefühl, man kann frei abstimmen, abzustimmen ohne Angst, ohne Druck, und das haben wir genossen, dass wir da anstehen müssen, um unsere Stimme dafür abzugeben, dass wir jetzt 'Bündnis 90' gründen wollen, ja."

Bei den Wahlen für den neunköpfigen Bundessprecherrat erhielt Petra Morawe die meisten Stimmen. Auch Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter der Listenverbindung "Bündnis 90/Grüne-BürgerInnenbewegung", wurde gewählt. Er hatte sich in einer Rede für das Zusammengehen mit der westdeutschen Grünen Partei ausgesprochen:

"Bündnis 90/Grüne, Die Grünen/Bündnis 90, wir werden in der Öffentlichkeit längst nicht mehr unterschiedlich wahrgenommen. Aus dem Schrägstrich sollte ein Bindezeichen werden, aber vermeiden wir die Umkehrformel: Drum prüfe ewig, wer sich bindet."

Bis sich allerdings "Bündnis 90" und "Die Grünen" zusammenschlossen, vergingen noch fast zwei Jahre. Der erste gemeinsame Parteitag fand im Mai 1993 in Leipzig statt.