Geburt einer Subkultur aus einer Party

Von Axel Rahmlow · 11.08.2013
Am 11. August 1973 fand in der New Yorker Bronx eine denkwürdige Party statt: Dort spielte DJ Kool Herc mit zwei Plattenspielern nur die Instrumentalteile beliebter Funk-Songs, ein Freund rappte darüber, auch wenn das damals nicht so hieß. Vielen gilt das als die Geburtsstunde des Hip Hop, der längst im Mainstream angekommen ist.
Seine Schwester Cindy Campell schreibt die Einladungskarten, per Hand. Die Partyzeit: Von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens. Seine Eltern sorgen für kleine Snacks und holen Limonade und Bier aus einem nahen Getränkeladen. Und im Mittelpunkt: Clive Campell. Er nennt sich DJ Kool Herc, hat eine Musikanlage, zwei Plattenspieler und jede Menge Funk aus den 60ern auf Vinyl.

Der Ort: Ein Wohnhaus in der Sedgwick Avenue im Süden der Bronx, einem New Yorker Stadtteil, der von Armut, Gewalt und Kriminalität geprägt ist. Wer kann, zieht weg. Der Rest muss bleiben, vor allem arme afroamerikanische Familien. Weil Gangs die Straßen terrorisieren, findet die Party im Gemeinschaftsraum des Wohnblocks statt. Genau der richtige Ort für etwas Neues, wie sich DJ Kool Herc 40 Jahre danach erinnert.

"Es war genau der richtige Ort. 25 Cent Eintritt waren es für die Frauen und 50 Cent für die Jungs. Und das wichtigste war: Ich wollte Respekt. Es gab keine Security und wer ein Problem hatte, sollte einen Block weiterziehen, denn da waren eine Kirche und ein Pfarrer."

Es ist ein bisschen vereinfacht, diesen 11. August als den Geburtstag von Hip Hop zu beschreiben. Keine Kultur entwickelt sich über Nacht. Aber richtig ist: Die Party in der Sedgwick Avenue ist ein Schlüsselereignis.

Denn Kool Herc spielt den ganzen Abend lang immer wieder nur die Instrumentalteile einzelner Songs, zu denen sich am besten Tanzen lässt. Weil er die Platten doppelt hat und sie auf beiden Plattenspielern liegen, kann er diese kurzen Sequenzen so oft er will wiederholen. Heraus kommen "Breakbeats".

Zu dieser Musik entsteht das B-Boying, das akrobatische Tanzen, das heute oft als Breakdance bezeichnet wird. Und viele andere DJs schauen sich bei Kool Herc auf den folgenden Partys ab, wie er mit den Plattenspielern die Songteile manipuliert. Daraus entwickelt sich das DJing. Es sind einige der Grundelemente der Hip Hop Kultur. Am bekanntesten davon ist heute das Rappen. Gerade das spielt 1973 aber noch gar keine Rolle. Laut dem Rapper Kurtis Blow steht der DJ im Mittelpunkt.

"Er war der Mittelpunkt der Party. Er hat bestimmt, ob überhaupt jemand ans Mikrofon darf. Ich musste den DJ fragen: Darf ich an das Mikrofon? Darf ich das Mikrofon haben? Und dann hat der DJ einen oft warten lassen und irgendwann ganz großzügig getan und gesagt: Okay, leg los!"

Die allerersten Raps waren auch keine richtigen Geschichten, sondern Anfeuerungsrufe an das Publikum.

Daraus wird schnell mehr: Ende der 70er erscheinen die ersten Rap-Platten. Die Reime sind im Vergleich zu heute eher noch etwas holprig gestrickt. Aber schnell geraten die anderen Hip-Hop-Elemente in den Hintergrund. Rap wird das Aushängeschild einer Jugendkultur, die sich in der ganzen Welt verbreitet.

Nach Deutschland schwappt die Welle unter anderem durch amerikanische Soldaten, die ihre Platten mitbringen. 40 Jahre nach der Party in der Sedgwick Avenue ist auch deutscher Rap so vielfältig und erfolgreich wie nie zuvor. So haben es zuletzt Rapper wie Prinz Pi, Genetikk oder Casper an die Spitze der deutschen Album-Charts geschafft.

Viele der Pioniere haben es heute schwer mit der Musik noch ihr Geld zu verdienen. Hip Hop ist zwar eine Kultur, die sehr viel Wert auf ihre eigene Geschichte legt, übrig geblieben sind für den Musikjournalisten Marc Leopoldselder vom Hip Hop Magazin "Juice" allerdings eher Ideale statt einer bewussten Heldenverehrung:

"Jeder kann rappen, jeder kann Musik auflegen, jeder kann tanzen, jeder kann Graffiti machen. Man kennt diese Geschichten vom Anfang der Kultur und den alten Helden zwar, aber sie spielen für jemanden, der heute Musik macht, keine große Rolle."

Das muss auch DJ Kool Herc erfahren. Nach einer recht kurzen Karriere schlägt er sich unter anderem als Werftarbeiter durch. 2011 kann er sich eine lebensnotwendige OP nicht leisten. Diese Episode zeigt aber auch, dass die alten Helden nicht ganz vergessen werden. Viele Hip-Hop-Musiker und Fans spenden für den "Vater von Hip Hop". Auch deswegen kann er mehrmals auftreten, um 40 Jahre Hip Hop zu feiern.