Gaza-Konflikt

Mitten in Deutschland

Teilnehmer einer pro-palästinensischen Kundgebung in Berlin schwenken Palästina-Fahnen
Pro-palästinensische Kundgebung vor der israelischen Botschaft in Berlin © Daniel Bockwoldt / dpa
Ein Kommentar von Stephan Detjen, Hauptstadtstudio · 22.07.2014
Wenn Israel seine Armee in Marsch setzt, bricht sich Judenhass Bahn. Doch es ist nicht der deutsche und europäische Antisemitismus der 1930er-Jahre, der hier wiederbelebt wird – meint Stephan Detjen.
Ganz anders als die anderen Konflikte erreicht die Auseinandersetzung am Gaza-Streifen auch Westeuropa und Deutschland. Weder der Abschuss eines vollbesetzten Zivilflugzeuges über der Ukraine noch die Giftgasattacken in Syrien haben auf ähnliche Weise zu Wut und Hassausbrüchen geführt, wie die israelischen Militäraktionen in den vergangenen Tagen.
Es waren keine von Megaphonen verzerrten Schlachtrufe zu hören, die Russen in die sibirischen Sümpfe treiben wollen und niemand schmähte die Alewiten, weil der syrische Machthaber Assad und sein Clan dieser Religionsgemeinschaft angehören.
Das ist der Unterschied. Wenn Israel seine Armee in Marsch setzt, bricht sich Judenhass Bahn. Auch in Deutschland. Der israelische Botschafter in Berlin Yakov Hadas-Handelsmann fühlt sich verständlicherweise an die Tiraden erinnert, die vor 70 Jahren auf deutschen Straßen zu hören waren. Dennoch ist es nicht einfach der deutsche und europäische Antisemitismus der 30er-Jahre, der hier auf schauerliche Weise wiederbelebt wird.
Die jungen Männer, einzelne Frauen und Kinder, die heute mit den Parolen von damals durch Fußgängerzonen und Straßen in Berlin, Frankfurt, Essen und anderen Städten ziehen, sind Migranten arabischer und zum Teil auch türkischer Herkunft. Sie kündigen den Grundkonsens auf, der die Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik geprägt und vereint hat. Er tabuisierte und sanktionierte jeden Ausdruck des Antisemitismus durch das Strafrecht sowie durch soziale Ausgrenzung.
Die Parolen meinen die Juden, treffen aber den Kern der deutschen Gesellschaft
Von diesen Drohungen aber werden die hasserfüllten Anführer der Palästina-Demonstrationen nicht erreicht. Die Demonstration ihres Antisemitismus verschafft ihnen einen fatalen Distinktionsgewinn: Sie stilisieren sich dadurch zu einer Gemeinschaft von Outcasts, die die Mehrheit der Gesellschaft herausfordert. Die antisemitischen Parolen dieser Tage meinen die Juden, aber sie treffen den Kern der deutschen Gesellschaft. Die Rufe hallen aus einem kulturellen Abgrund hervor, der zugleich eine Grenze aller Integrationsbemühungen der vergangenen Jahre markiert.
Zu einem realistischen Bild der Problematik gehören nicht allein die radikalisierten Jugendliche auf den Straßen, sondern auch der salafistische Hassprediger, der Ende letzter Woche hinter den verschlossenen Türen einer Berliner Moschee zum Heiligen Krieg und zur Vernichtung aller Juden aufrief.
Zu diesem Bild gehört aber auch die siebenköpfige palästinensische Familie, die gestern Abend offenbar zum Opfer eines israelischen Militärschlags im Gaza-Streifen wurde. Mindestens ein Familienmitglied soll einen deutschen Pass gehabt haben. Auch diese Opfer werden nicht nur betrauert, sondern in einem Kampf instrumentalisiert werden, der längst auch in mitten der deutschen Gesellschaft stattfindet.
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