"Gaucho-Gate"

Nur nicht anecken

Der "Gaucho-Song" bei WM-Feier in Berlin: Roman Weidenfeller, Shkodran Mustafi, André Schürrle, Miroslav Klose, Mario Götze, Toni Kroos
Die Sänger des "Gaucho-Songs" in Berlin von links nach rechts: Roman Weidenfeller, Shkodran Mustafi, André Schürrle, Miroslav Klose, Mario Götze, Toni Kroos © dpa / picture alliance / Alex Grimm/Kay Nietfeld/Ho
Von André Zantow · 17.07.2014
Typisch deutsche Überheblichkeit oder ein Dummerjungenscherz? Wie auch immer, meint André Zantow anlässlich des umstrittenen "Gaucho-Songs" bei der WM-Feier. Die Aussichten für die Profifußballer seien trübe: Sie dürften keine Schwächen mehr zeigen.
Ein Riesen-Aufreger war das. Oder? Der Siegtorschütze der WM verlangt genug Alkohol an Bord, sonst steige er nicht ein. Damit zeigt er öffentlich den Alkoholismus unter den Nationalspielern – was sollen da die Nachwuchs-Fußballer denken?
Nichts, liebe Zuhörer, Sie müssen nicht das Mario Götze-Trikot ihrer Tochter verbrennen. Gemeint war der Siegtorschütze von 1990: Andreas Brehme. Der soll sich vor dem Rückflug aus Italien geweigert haben das Flugzeug zu besteigen, wenn nicht genug Alkohol an Bord sei. Im Nachhinein erklärte er, es sei nur eine "Gaudi" gewesen.
Und was passierte dann? Kein Entrüstungssturm! Es gab ja auch noch nicht die Empörungs-Medien Twitter und Facebook. Außerdem skandalisierten Fernsehen und Zeitungen dieses Thema nicht, sondern freuten sich feixend, wie normal doch die Helden auf dem Olymp geblieben sind. Auch die besten Fußballer der Welt haben Spaß an einem Saufgelage. Wie bei unserem Schützenfest. Beruhigend.
Heute geht das nicht mehr. Heute müssen alle Spieler permanent Vorbild sein.
Der Fußball ist zu groß geworden für Schwächen. Die Werbeindustrie stilisiert die Stars auf Plakaten und in Videos zu Supermenschen. Keiner raucht natürlich, obwohl Paparazzi-Aufnahmen Özil und Co. schon mal mit Zigarette zeigen.
Der Druck, die Erwartungen von allen Seiten – sportlich, gesellschaftlich, sogar politisch ist gewaltig.
Und in diesem Umfeld befinden sich am Dienstag sechs übermüdete Fußballer, die kaum noch aufrecht stehen können vor lauter Schulterklopfen. 400.000 Menschen warten auf sie seit sieben Stunden in der Hitze, nun wollen sie "geil unterhalten" werden. Pokal hochhalten ist zu wenig. Für Gedichte und Choräle blieb auf dem Fußball-Internat wenig Zeit – was also tun?
Der Rückgriff auf die altbewährten Fußball-Lieder, die die Jungs seit ihrer Kindheit begleitet haben – Wochenende für Wochenende. Damals ging es nur um Sport, um Wettkampf, um das Gewinnen. Wer verliert, kriecht vom Platz, wer gewinnt, geht aufrecht. So war das 20 Jahre lang. Aber nach dem größten Sieg ihres Lebens ist das verboten.
Jetzt müssen die Spieler umschalten: Ihre Emotionen zügeln, jede Äußerung abwägen, nicht anecken, Meinungen unterdrücken – kurzum, sie müssen so sein wie Angela Merkel.
Trübe Aussichten. Hoffentlich müssen wir künftig nicht singen: Ohne Holland wäre die WM nur halb so schön.