Ganz oder gar nicht

Von Carolin Pirich · 27.12.2010
Lena Nedauer war 15 Jahre alt, als einer fabelhaften Karriere als Geigerin nichts mehr im Weg zu stehen schien. Doch sie pubertierte, rebellierte und entzog sich dem Klassikbetrieb. Jetzt ist sie 26, hat ihre erste CD veröffentlicht und ist eine der jüngsten Musik-Professorinnen in Deutschland.
Musik Schumann

"Als Kind haben andere Geigenkinder virtuose, effektvolle Stücke gespielt. Und ich am liebsten langsame Sätze von Beethoven oder Mozart oder so, also absolut uneffektvoll. Ich hatte dafür ein ganz gutes Gespür."

Wenn Lena Neudauer Geige spielt, hält sie die Augen geschlossen. Ihr Gesicht ist entspannt und glatt als würde sie schlafen. Ihr schmaler, fast ein wenig dünner Körper wiegt sich kaum merklich in der Musik von Robert Schumann, dem Zweifler.

"Dieses Schweben zwischen größtem Glück, aber nie so ganz laut ausgesprochen, immer hinter vorgehaltener Hand. Also, er traut sich nicht so ganz, zu sagen: Leute ich bin so glücklich! Sondern es ist immer so: Ich würde es so gerne sagen, aber ich kann nicht."

Lena Neudauer hat gerade etwas Ruhe. Ihr Sohn ist im Kindergarten, die kleine Tochter schläft. Sie sitzt auf dem hellen Sofa im Wohnzimmer, spielt mit einer Hand in den langen braunen Haaren, die wie ein weiches Tuch über ihre Schultern fallen. Wenn sie nach Worten sucht, sieht sie immer wieder in den kleinen Garten, wie jetzt, wenn sie das Gefühl beschreiben will, das in ihr aufsteigt, wenn sie Geige spielt.

"Der Notentext läuft als Bild in meinem Kopf ab. Da ich nie etwas anderes gemacht habe, ist es so selbstverständlich, dass ich nie darüber nachgedacht habe, was ich empfinde, wenn ich einen gewissen Klang höre. Das löst ein spezielles Gefühl aus. Ich finde keine Worte dafür, das ist genau nur dieses Gefühl..."

Lena Neudauer ist 1984 in München geboren. Als sie drei Jahre alt ist, hört sie einen kleinen Jungen auf seiner Kindergeige ein Kinderlied spielen.

"Von da an war ich nicht mehr zu bremsen. Ich muss eine Geige haben, sofort, und ich will und ich will und ich will."

Das wiederholt die kleine Lena so lange, bis ihre Mutter sie zu einem Lehrer bringt. Die Bedingung: Sie macht es richtig oder gar nicht.

"Richtig bedeutet: Jeden Tag üben. Sie kam immer zum Geigenunterricht mit. Sie war immer dabei, hat mit mir zuhause geübt. Das war nicht immer ganz tränenfrei, sagen wir so."

Bevor sie Freunde treffen darf, muss eine bestimmte Stelle fehlerfrei klappen. Wenn sie nicht klappt, darf sie nicht gehen. So fällt der eine oder andere Kindergeburtstag aus.

"Das klingt jetzt grausam, aber es war einfach so. Natürlich habe ich gelitten, aber im Nachhinein denke ich, ohne diese Strenge, diese Disziplin über viele Jahre, wäre ich nicht so weit, wie ich bin."

Als Teenager wird es ihr dann doch zu viel. Sie ist Jungstudentin am berühmten Mozarteum in Salzburg und spielt Konzerte. Sie gewinnt nicht nur einen, sondern gleich vier Preise des Leopold-Mozart-Violinwettbewerbs in Augsburg. Das Leben danach lässt sich in fünf Worten zusammen fassen: Üben, Konzert, Applaus, Schlafen. Und Konversation - mit Konzertveranstaltern, Plattenlabelvertretern und Presse. Lena Neudauer ist 15, sie fühlt sich einsam und überfordert. Sie weigert sich, so weiterzumachen.

"Dann bin ich in die Rockband meines Freundes in die Proben gekommen, dann habe ich meine Geige ausgepackt und habe begonnen, zu improvisieren, das erste Mal in meinem Leben. Da hat sich dann eine ganz neue Welt aufgetan. (…) Da einfach drauflos spielen zu dürfen, rotzig-dreckige Musik, die nicht diesen feinen Geist von Klassischer Musik hat."

Die Geige aber bleibt Verbündete, nur eben anders, als persönliches Ausdrucksmittel, nicht als virtuose Wunderwaffe.

Lena Neudauer heiratet einen Musiker, sie bekommen zwei Kinder, ziehen in ein Haus in den Süden von München. Es ist, als hätte sie sich erst einen Ruhepol schaffen müssen, um wieder auf das Karussell der Klassikwelt klettern zu können; Üben und Anspannung, Konzert und Konversation.

"Wenn ich dann wirklich in der Musik drin bin, dann ist die Konzertsituation das einzig Wahre, weil es alles gibt."

Die Pflichten, die ein Musiker hat, der klassische Musik spielen und davon leben will, akzeptiert Lena Neudauer heute. Zum Glück, denn sie hat einen sprachmächtigen und innigen Ton, der ihre Zuhörer an die Gegenwart fesselt.

Zu hören ist Lena Nedauer vom 1.1.2011 bis 4.1.2011 bei den Neujahrskonzerten in der Philharmonie Südwestfalen Hilchenbach.