Ganz langsam und zum Anfassen

Von Axel Schröder · 22.10.2013
In Alten- und Pflegeheimen dient der Fernseher oft nur der Berieselung, da die Menschen dort den Filmen gar nicht folgen können. Diese Erfahrung hat Sophie Rosentreter bei den Besuchen ihrer demenzkranken Großmutter gemacht - und beschlossen, daran etwas zu ändern. Heute produziert sie mit einem professionellen Team Filme für Menschen mit Demenz.
Der Film beginnt. Und schnell ist klar: Es ist ein langweiliger Film, ein schrecklich langweiliger Film, der allen Sehgewohnheiten widerspricht: acht winzige, karamellbraune Welpen schmiegen sich ans Muttertier, eine Golden-Retriever-Hündin. Ihr Frauchen zählt die Tiere, streicht ihnen durchs weiche Babyfell. Die Kameraeinstellung bleibt unverändert, vier Minuten lang.

Gebannt von dem Film ist das Publikum im Pflegeheim "Emilienhof": fünf alte Damen und ein älterer Herr sitzen vor einem riesigen Flachbildschirm auf Sofa und Sesseln. Alle leiden an Demenz, in ganz unterschiedlichen Ausprägungen. Adelheid Steinmann und Helga Söhl sitzen nebeneinander, verfolgen das Gewusel der Welpen:

"Das sieht man gar nicht, dass das alles Tiere sind ... ! Das sind Mutter und Kleintiere. Wenn die da so liegen und schlafen. Aber da große Tier mit den kleinen ... Das ist die Mutter ..."

Steinmann und Söhl sind Freundinnen. Beide mit hellgrauen, leicht verwuschelten Haaren. Einen halben Meter vor sich haben sie ihre Rollatoren geparkt. - Noch immer werden die Welpen gestreichelt, eine zweite Kameraeinstellung hat die erste abgelöst. Produziert hat den 15-Minuten-Film Sophie Rosentreter, früher Model und Moderatorin beim Musiksender MTV. In T-Shirt und Jeans sitzt sie neben Adelheid Steinmann und legt ihre Hand auf die der alten Dame.

Rosentreter: "Haben Sie denn auch mal so einen Hund gehabt? So einen nicht, oder? Andere haben Sie gehabt? Nein, ja ... was ist für einer? Golden Retriever heißen die. Ganz ausgefallen ... Wie zärtlich die Mutter ist ...""

Im Hintergrund schießt ein Fotograf seine Bilder, eine Reporterin vom "Neuen Blatt" macht sich Notizen, während die dritte Einstellung die zweite ablöst: ein Hundebaby in Nahaufnahme: Frauchens Hand krault - ganz langsam! - das Fell. Anwesend ist auch Ralf Krenzin, Heimleiter und Pressesprecher von "Casa Reha", einer Unternehmensgruppe, die 59 Pflegeheime in der ganzen Republik betreibt.

Produktionsfirma "Ilses weite Welt" nach Großmutter benannt
Krenzin: "Wir haben zurzeit in drei Einrichtungen die ersten Vorführungen, die ersten Nachmittage auch zusammen mit Angehörigen. Wo wir eben diese Art der Therapie, der Betreuung, die Frau Rosentreter wie sie gesehen haben, exzellent verkörpert, auch bei uns austesten."

Rosentreter und ihre Assistentin kümmern sich um das Publikum: setzen sich neben die Alten, suchen Körperkontakt, ruhig und freundlich, professionell. Die Filme produziert und vertreibt Rosentreter mit ihrer Firma "Ilses weite Welt", benannt nach ihrer Großmutter, die vor drei Jahren an Alzheimer starb.

Im Online-Shop kosten die Filme 30 Euro pro Stück, ein Knuddel-Muff mit Hundegesicht 40 Euro. Nach dem Welpenfilm begrüßt nun Rolf Zuckowski auf DVD die Zuschauer: bekannt durch seine Kinderlieder. Jetzt lächelt er aus dem Fernseher, singt zusammen mit seinem Sohn Lieder für Menschen mit Demenz.

Rolf Z.: "Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle ..."

Die Alten singen mit, wiegen sich im Takt, manche haben Mühe, summen nur leise die Melodie mit.

Nach dem Frühlingslied im Herbst singen alle zusammen noch "Hoch auf dem gelben Wagen" und Schuberts "Am Brunnen vor dem Tore". Und obwohl das Publikum schon fast erschöpft wirkt, folgt der nächste Zeitlupen-Film: "Ein Tag im Tierpark". Mutter und zwei kleine blonde Kinder, adrett gekleidet, mit geflochtenen Zöpfen, besuchen junge Hängebauchschweine und anderes Getier im Gehege. Unkommentiert, mit klassischer Musik.

Adelheid Steinmann-Rosentreter: "Tschüss und vielen Dank! Das war ganz schön mit Ihnen! Wunderschön! Das freut mich! Wiedersehen!"

"Über das Medium Film kommen wir wieder ins Gespräch"
Eine dreiviertel Stunde dauert die Vorstellung, dann verabschiedet Sophie Rosentreter ihr Publikum, stellt die Rollatoren bereit und redet mit den Journalisten. Die Idee zu den Filmen, erklärt sie, entstand nach den Besuchen bei ihrer kranken Großmutter, beim Anblick der vielen stummen alten Menschen vor dem Fernseher im Gemeinschaftsraum, vor TV-Werbung und stumpfen Serien.

Rosentreter: "Und da ich nun aus dieser Fernsehlandschaft komme, dachte ich mir: jedes Mal, wenn ich Omi sozusagen verlassen habe, dachte ich: Ich würde ihr gerne etwas anstellen, wo ich weiß, dass sie für die nächste Stunde mal gut beschäftigt ist."

Mittlerweile hat sie die Leitung dieser Pflegeheim-Kette längst vom positiven Einfluss der neuen, superlangsamen Filme, von den Lieder-DVDs und von sich selbst überzeugt. Und wird dem Pflegepersonal und den Angehörige beibringen, wie die Filme auf die Demenzkranken wirken können. Nicht durch bloßes Abspielen, sondern durch gemeinsames Erleben:

Rosentreter: "Und das man dann mal aus diesem ‚Du kannst nichts mehr!‘, ‚Du bist krank!‘, ‚Lass das!‘ ausbricht und sagt: ‚Guck mal da! Über das Medium Film kommen wir wieder ins Gespräch und erinnern uns gemeinsam und haben ein Erlebnis gemeinsam, was wir jetzt und hier teilen!‘ Das ist das Wichtige."

Sophie Rosentreter muss noch mal zum Fotoshooting. Professionelles Lächeln von der Medienexpertin mit großen Plänen: Neue Filme sind schon in Arbeit. Darunter ein - beschaulich ruhiger - Auto-Film für demenzkranke Männer.
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