"Ganz klar Kante gegen rechts zeigen"

Manuela Schwesig im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 29.07.2010
Die SPD-Politikerin Manuela Schwesig verlangt ab 1. August von Mitarbeitern in privaten Kindergärten ein Bekenntnis zum Grundgesetz. Damit will sie deutlich machen, "dass wir uns wehren" und "keine Angst vor den neuen Nazis haben". NPD-Mitglieder hatten versucht, Kindergärten zu unterwandern.
Liane von Billerbeck: Die Neonazis von der NPD schäumen und sprechen von einem "Radikalenerlass aus Schwerin". Ziel der Attacken ist das mecklenburgische Sozialministerium und Ministerin Manuela Schwesig. Die hat per Erlass ab 1. August alle neun Träger privater Kindergärten dazu verpflichtet nachzuweisen, dass ihre Mitarbeiter auf dem Boden der Verfassung stehen. Mit Manuela Schwesig bin ich jetzt telefonisch verbunden. Frau Ministerin, ich grüße Sie!

Manuela Schwesig: Ich grüße Sie, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Hintergründe für den Erlass gab es zwei: Da wollte ein NPD-Mann einen Kindergarten, für den der Gemeinde das Geld fehlte, unentgeltlich weiterführen, was der Gemeinderat dann letztlich verhindert hat – das war in Bartow im Landkreis Demmin. Und Idee Nummer zwei: Die Ehefrau eines NPD-Landtagsabgeordneten hat vor, Kinder einer Kita in Ferdinandshof bei Ueckermünde alte Haushaltspraktiken nahezubringen. Nun sollen Träger von Kitas bei Neugründungen und Trägerwechsel sich zum Grundgesetz bekennen. Wie wird das ablaufen?

Schwesig: Wir haben ein Kita-Gesetz verabschiedet mit vielen Verbesserungen für die Kinder jetzt im Juli diesen Jahres, und in diesem Kita-Gesetz haben wir auch klargestellt, dass die Betreuung und Bildung von Kindern auf Basis der grundgesetzlichen Werteordnung erfolgen muss. Und das ist nun für uns die Basis, um von den Trägern eine Erklärung zu verlangen, dass sie genau hinter diesen Werten stehen. Das ist bei den vielen Kitas in Mecklenburg-Vorpommern, die wir bisher haben, also 1100 Einrichtungen, grundsätzlich auch kein Problem.

Das machen wir auch nicht rückwirkend, sondern nur bei Trägerwechsel oder Neuanträgen, denn anerkannte Träger wie die Träger der freien Wohlfahrtsverbände oder kommunale Träger haben in ihrer Konzeption ja sowieso den freiheitlichen Gedanken und vor allem die Werteorientierung. Aber uns ist wichtig, dass wir für die Zukunft genau das verhindern, dass die neuen Nazis unsere Zivilgesellschaft unterwandern und auch vor Kitas nicht Halt machen. Und mir ist wichtig, dass die Kinder in unseren Einrichtungen mit toleranten und menschenfreundlichen Bildern aufwachsen und nicht mit den intoleranten, fremdenfeindlichen, rassistischen Gedanken der neuen Nazis.

von Billerbeck: So ein Bekenntnis kann ja aber auch ein Lippenbekenntnis sein, auch NPD'ler können es ablegen, selbst wenn die derzeit von "Radikalenerlass" schwadronieren und auf die Berufsverbotspraxis früherer Jahre abheben. Genügt so was?

Schwesig: So ein Bekenntnis kann natürlich auch bewusst unterwandert werden, wir haben aber mit diesem Bekenntnis gute Erfahrungen bei der Wahl, wenn man sich zum Bürgermeister zur Wahl stellt. Hier schrecken doch schon die klaren Funktionäre der NPD, aber auch ihre vermeintlichen Freunde zurück, so ein Bekenntnis abzugeben, weil sie sich ja dann auch in ihren Reihen widersprechen würden. Das ist das eine, wir haben aber ein mehrstufiges Verfahren. Wir werden zukünftig bei freien Trägern, wo wir eben die Trägerschaft nicht kennen, die Leute nicht kennen, die dahinterstehen, im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens zunächst die Gemeinde fragen, die Kommunen fragen: Ist euch etwas bekannt?

Und an dem Beispiel Bartow haben wir ja gesehen, dass die Gemeinde wachsam ist, dass sie auch darauf achtet, wer ist das. Das ist die erste Stufe. Die zweite Stufe ist, dass wir von den Trägern generell dieses Bekenntnis verlangen, dass sie sich zu diesen Werten bekennen, unserer Verfassung, unserer Grundwerte, und wenn es dann eben wie gesagt Träger sind, wo wir das noch nicht an der Gemeinnützigkeit oder anderen Dingen glaubhaft ablesen können, dann erwarten wir auch, dass hier persönliche Erklärungen abgegeben werden.

Wir haben außerdem im Land fünf Regionalzentren, Demokratiezentren, die ganz klar auch Erkenntnisse haben, wer in diesen extremistischen Bereichen unterwegs ist, und haben hier natürlich auch Anhaltspunkte. Es ist eine Masse von Bausteinen, und der Erlass macht natürlich eines deutlich: dass wir uns wehren. Wir haben keine Angst vor den neuen Nazis, wir ziehen klare Hürden und sagen: Wir werden es nicht zulassen, dass ihr unsere Zivilgesellschaft unterwandert und mit euren fremdenfeindlichen Ideen in die Köpfe oder die Herzen der Kinder kommt.

von Billerbeck: Nun ist die NPD, was viele bedauern, nicht verboten, in Mecklenburg-Vorpommern sitzen ihre Abgeordneten sogar im Landtag. Was, wenn irgendwann staatliche Kitas von NPD-nahen oder rechtsextremen Erziehern oder Erzieherinnen besetzt und genutzt werden, wie wollen Sie das verhindern?

Schwesig: Das können wir verhindern, indem wir ja verantwortlich sind für die Betriebserlaubnis. Wir entscheiden, wer Träger einer Kita werden darf. Und die Mitgliedschaft in Parteien oder in Organisationen, die die Demokratie, die unser staatliches Grundwesen überwinden wollen, die eben nicht auf dem Boden der Verfassung stehen, die Leute geben Anlass genug, dass wir Zweifel haben, dass das Kindeswohl berücksichtigt wird, dass es gesichert ist. Und das ist eine sehr große Hürde. Wir sind verantwortlich, das Kindeswohl zu schützen. Und wenn ich nicht die Sicherheit habe, dass hier Erzieherinnen und Erzieher unterwegs sind, die wirklich das Kindeswohl im Auge haben, sondern die Hass und Unfrieden schüren wollen, dann ist das Kindeswohl nicht mehr gesichert, und dann werden wir hier unsere Schranken ziehen und solche Trägerschaften ablehnen.

von Billerbeck: Nun stößt die NPD immer wieder in Lücken, die die sogenannte Zivilgesellschaft lässt. Wenn die Gemeinde Bartow in Demmin beispielsweise das Geld für die Kita gehabt hätte, dann hätte es diesen Vorstoß gar nicht geben können. Muss man nicht früher anfangen?

Schwesig: Natürlich muss man vorher versuchen, dass diese Lücken nicht aufgehen, aber es wird immer in unserer Zivilgesellschaft ein Thema sein: Bleibt eine Kindereinrichtung, wenn eben nur ganz wenig Kinder sind, erhalten oder nicht, oder auch andere Freizeiteinrichtungen. Natürlich müssen wir da vorher ansetzen, das ist ja auch gelungen, dass die Gemeinde Bartow sich weiter dazu bekannt hat. Wir haben ja auch viele andere gute freie Träger, die AWO oder Diakonie, andere, mit denen wir dann immer sprechen können.

Aber wir wollten ein klares Zeichen setzen, dass auch die Leute in der NPD, in der ganzen rechtsextremen Szene Bescheid wissen, dass wir wachsam sind. Und das ist natürlich auch schon ein abschreckendes Beispiel, und da sieht man auch, wie wild sie jetzt reagieren. Und darum geht es uns auch. Die Menschen im Land sollen wissen, dass wir nicht nur Zivilmut einfordern von den Bürgerinnen und Bürgern, sondern dass die Politiker auch vor allem klare Kante zeigen.

von Billerbeck: Nun ist es ja so, dass sich die demokratischen Parteien aus den dünn besiedelten Gegenden, von denen es in Mecklenburg-Vorpommern ja einige gibt, zurückziehen und oft der NPD das Feld überlassen, ganz schlicht einfach deshalb, weil sie nicht genug Leute haben. Oder ich erinnere an das Beispiel Ludwigslust, wo die NPD sehr stark ist, das sieht man bei jeder Landtagswahl schon an der schieren Zahl vieler Plakate. Wie wollen Sie verhindern, dass es nicht wieder passiert, dass sich Erzieherinnen mit rechtsextremer Einstellung, die man ja nicht vor vornherein kennt, ganz gezielt für staatliche Einrichtungen bewerben, die – einmal eingestellt – dann gar nicht mehr so leicht loszuwerden sind?

Schwesig: Wenn Erzieherinnen rechtsextreme Einstellungen haben, dann bringen sie nicht das mit, was wir von Erziehern und Erzieherinnen verlangen, und zwar, dass sie das Kindeswohl schützen, sondern sie gefährden es mit ihren fremdenfeindlichen Gedanken. Insofern würde ich immer vorgehen und sehe ich auch gute rechtliche Möglichkeiten vorzugehen. Aber Ihre Frage ist natürlich völlig berechtigt: Wie gehen wir damit um, dass wir immer mehr Lücken haben und auch die demokratischen Parteien Lücken hinterlassen? Ich sag es Ihnen ganz offen: Alleine die Parteien, die demokratischen Parteien, werden es nicht richten können. Wir sind trotz aller Unterschiede in anderen Fragen in Mecklenburg-Vorpommern in allen demokratischen Parteien einig, dass wir hier geschlossen stehen, das machen wir auch im Parlament – die NPD kommt mit keinem Antrag durch, wir stellen auch in unseren Reden dar, wie sie ja versuchen, unter fadenscheinigen Vorwänden im Grunde ihre alte Ideologie, alte Nazi-Ideologie durchzusetzen.

Wir haben fünf Regionalzentren im Land, die mit tollen Leuten die demokratische Gesellschaft vor Ort, die Bürger unterstützen, wenn sie Konflikte haben, und wir haben ein Bündnis zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen – Erfolg braucht Vielfalt im Land –, die Geschlossenheit zeigen und die versuchen, eben da, wo die Lücken sind, reinzugehen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, einer allein wird es nicht schaffen, die Gemeinschaft ist stark. Und das möchte ich am Ende sagen: Bei aller Notwendigkeit, dass wir solche Dinge auf den Weg bringen, wo wir zeigen, dass unsere Demokratie wehrhaft ist, es ist immer noch die Mehrheit der Demokraten und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die fremdenfreundlich denkt und die genau diese Ideologie der Nazis ablehnt und sich dagegen auch mutig wehrt.

von Billerbeck: Bisher, Frau Ministerin, gilt dieser Erlass, der bundesweit ja einmalig ist, nur für neue Träger von Kitas, er nimmt beispielsweise Tagesmütter aus. Werden wir irgendwann miteinander sprechen und Sie werden diesen Erlass auch auf diesen Bereich ausgedehnt haben?

Schwesig: Die Tagesmütter sind von dieser Idee gar nicht ausgenommen. Es ist so, dass wir mit dem Kita-Gesetz die rechtliche Grundlage geschafft haben, dieses Landesgesetz gilt für die Kindertagesstätten und die Kindertagespflege. Da steht ganz klar drin, dass die Bildung von Kindern auf Basis der grundgesetzlichen Werteordnung erfolgen muss. Jetzt ist die Frage, wie setzt man es praktisch um? Da hatte ich als Ministerin nur die Möglichkeit über das Betriebserlaubnisverfahren für Kindertagesstätten, dafür ist mein Haus zuständig, einen solchen Erlass, solche Ministerweisung zu machen.

Für die Genehmigung von Tagesmüttern sind bei uns die Kommunen zuständig, und ich schreibe gerade einen Brief an Landräte und Oberbürgermeister mit der Bitte, dass sie sich bei der Genehmigung von Tagesmüttern natürlich an dieses Gesetz halten, das Grundlage dafür ist, bei Tagesmüttern genauso zu verfahren, wie ich es bei Kindertagesstätten tue. Und da unsere Landräte und Oberbürgermeister auch ganz klar Kante gegen rechts zeigen, gehe ich davon aus, dass sie auch zukünftig diese Sache, weil es auch gesetzliche Grundlage ist, genauso bei Tagesmüttern umsetzen, und wir werden unsere Erfahrungen damit sammeln.

von Billerbeck: Mecklenburg-Vorpommern wehrt sich gegen Neonazis in Kitas. Die Sozialministerin Manuela Schwesig war das. Ich danke Ihnen!

Schwesig: Ich danke Ihnen!
Manuela Schwesig (SPD) soll Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern werden
Manuela Schwesig (SPD)© AP
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