Gangster und Kavalier

Von Rebecca Partouche · 21.04.2009
Statt zu schießen, soll er den Bankangestellten Rosen vor die Füße geworfen und seine Geiseln mit eigenen Kreationen bekocht haben. Dafür lieben die Franzosen den Bankräuber Jacques Mesrine. Er ist wie sie: ein wenig Anarchie, viel Esprit und im Innersten ein Kavalier. Eine zweiteilige Monumentalbiografie setzt ihm ein weiteres Denkmal.
Regisseur Jean-Francois Richet: "1978 war Mesrine der populärste Mann Frankreichs. Ein Mann, der in sechs Monaten über 150 Banken ausraubt ohne Blutvergießen – einfach so, indem er den Bankangestellten Rosen vor die Füße wirft - das haben die Leute geliebt. Ich stamme aus dem Pariser Vorort und kann mich gut erinnern, wie beliebt er dort war. Er war ein richtiger Held. Nicht nur für die Linken. Auch für die reaktionären Typen. Man kann über Mesrine sagen, dass er zum kollektiven Unbewusstsein Frankreichs gehört."

In der Tat. Als Mesrine stirbt, trauert ganz Frankreich um den Gangster. Es gibt Chansons, die von ihm erzählen, Bücher über sein Leben und Filmbiographien von den größten Regisseuren der Zeit – unter ihnen Jean-Luc Godard. Ein wenig Anarchie, viel Esprit und im Innersten ein Kavalier - so sehen sich die Franzosen gern selbst. Dass einer im Land der Liebe und der guten Küche Banken mit Blumen überfällt und seine Geiseln mit eigenen Kreationen bekocht - dafür muss man ihn einfach lieben. Selbst in der größten Hektik bleibt er höflich und offen für spontane Zweitüberfälle…

Mesrine wird zum nationalen Großereignis. Er mobilisiert mehr Polizisten als RAF und Rote Brigaden zusammen. Dabei hat er nie jemanden umgebracht. Offiziell ist er bloß ein Bankräuber. Aber Mesrine scheint das nicht genug zu sein. In seinen Memoiren prahlt er mit 40 Morden. Die Leichen hat aber nie einer gefunden – und es hat auch nie jemand gefehlt.

Mag sein, dass Mesrine ein großes Herz hat, seine Klappe ist noch größer. Er gibt andauernd Interviews, lässt sich liebend gern fotografieren und sieht sich im Grunde als "Popgangster". Selbst im Gefängnis braucht er Publikum. Er schreibt Bücher über die schlimmen Bedingungen im Hochsicherheitstrakt. Und stößt die nächste Lawine an. Ganz Frankreich diskutiert die Zustände in den Gefängnissen und prompt werden Gesetze für bessere Haftbedingungen erlassen. Als die Gesetze in Kraft treten, ist Mesrine allerdings längst wieder geflüchtet.

Für Regisseur Jean-Francois Richet war immer schon klar, dass dies der Stoff für großes Kino ist: "Ich hätte am liebsten drei Filme gedreht. Aber das ging aus finanziellen Gründen nicht. Stoff hätte es genug gegeben. Ich habe mich mit zwei Filmen zufriedengeben müssen. Aber es sollten auch wirklich zwei ganz unterschiedliche Filme werden. Mesrine ist im ersten Film ein völlig anderer Mensch als im zweiten. Im ersten Teil ist er Opfer, er erlebt den Algerienkrieg und die Folter im Gefängnis. Dieser Film hat ein viel ruhigeres Tempo als der zweite. Es ist eine Art Kriegsvorbereitung. Im zweiten Film schlägt er zurück. Und wird zum Staatsfeind Nr. 1. Ich habe die Geschichte wie einen Kriegsfilm gedreht: hektisch, dynamisch und paranoid. Wie die Figur selbst."

Diese zwei völlig unterschiedlichen Filme konnte nur ein Schauspieler zusammenhalten: Vincent Cassel. Cassel besitzt beides: Größe, die Leinwand zu füllen. Und die Feinheit des Spiels.

Richet: "Vincent kann alles. Er ist einer der seltenen französischen Schauspieler um die 40, die sowohl eine rührende Szene spielen können – zum Beispiel am Sterbebett seines Vaters – die man gleichzeitig auch mit einer Waffe in der Hand rausschicken kann, ohne dass er an Glaubwürdigkeit verliert. Er kann Action und er kann Rührung."

Und vielleicht wäre er Mesrine sogar ein bisschen zu gut gewesen. Denn Cassel hat nach dem Film das bekommen, was Mesrine als Gangster schon immer wollte, aber nie bekam. Einen Werbevertrag. Für den neuen Duft von Yves-Saint Laurent.