Gammler im Film

Die langsamste Jugendbewegung aller Zeiten

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Gammler sitzen auf dem Bürgersteig vor dem "Picnic", einem beliebten Treffpunkt der Gammler- und Hippieszene in der Leopoldstraße in München. (Aufnahme Anfang Ende der 60er- / Anfang der 70er-Jahre). © dpa - Bildarchiv - Rudi Otto
Von Laf Überland · 06.05.2016
Seit den frühen 60er-Jahren gehörten die Gammler zum alltäglichen Bild der europäischen Metropolen. Das Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums zeigt jetzt eine Reihe mit Filmen aus dem Geist jenes Aufruhrs unter dem Titel "Komödie der Gammler".
Passant: "Die gehören ins Arbeitshaus oder mit Knüppeln hier runter jagen."
Mitte der 60er-Jahre war in Westdeutschland aus dem jugendlichen Aufbegehren der Rock'n'Roll-Halbstarken die jugendliche Verachtung der Aussteiger geworden, die ihren Namen den Beschimpfungen der Bürger verdankten.
Interviewer: "Sind Sie ein Gammler?"
Gammler: "Ich rechne mich zu der Gruppe, ja."
Interviewer: "Wie lange gammeln Sie schon?"
Gammler: "Seit vierzehn Monaten."
Interviewer: "Und wie lange wollen Sie noch?"
Gammler: "Das weiß ich nicht, das ist unbestimmt."

Gemächlicher, aber lebendiger Protest

Die Gammler waren gemächlicher, aber lebendiger Protest. Meist ungepflegt und teilweise heruntergekommen, schockierten sie das bürgerliche Sauberkeitsempfinden; ihr langes Haar verhöhnte das Image vom männlichen Mann, und sie stellten öffentlich die Leistungsgesellschaft infrage, indem sie lieber in der Sonne lagen und lasen oder Gitarre spielten, während der anständige Bürger mit Arbeit und Fleiß das Sozialprodukt mehrte: Und dem machte das Angst. Große Angst!
Passanten: "Wenn ihr nicht bald verschwindet, dann nehm ich die Streichhölzer und brenn euch die Haare ab. Früher hat man so was verbrannt."
"Wir kommen von Dortmund, bei uns gibt's gottseidank so was nicht, wir sind hier in Urlaub."
"Dass die Polizei da nichts sagt, das ist ja unverständlich."

Sie fläzten sich im öffentlichen Raum

Naja, die Polizei reagierte ein bisschen mit vermehrten Kontrollen. Das war den Gammlern zwar nur lästig, aber mehr konnte sie nicht tun, denn Drogen waren zuerst noch kein echtes Thema. Und die Gammler probten ja auch keinen Aufstand. Sie erhoben sich nicht. Im Gegenteil: Sie legten sich hin und fläzten sich im öffentlichen Raum. Und praktizierten Konsumverweigerung.
Kanzler Erhardt, der Herr der sozialen Marktwirtschaft, wetterte: "Solange ich regiere, werde ich alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören." - Aber was war schon so ein alter Sack – gegen die junge Uschi – nein, nicht Uschi Obermaier: Uschi Glas, die als Gespielin des schlaffen Totalverweigerers Werner Enke - der sich sogar weigerte, auch nur irgendwas ernst zu nehmen - nichts mehr versteht in "Zur Sache Schätzchen".
Glas: "Ich weiß nicht ..."
Enke: "Es wird böse enden. Damit ist es sowieso bald aus."
Glas: "Womit?"
Enke: "Mit allem."
Glas: "Wieso ist es damit bald aus?"
Enke: "Man wird alt, man wird alt!"
Glas: "Jaja ..."
Die Jungfilmer der weniger ernsten Fraktion bildeten eine Zeit lang gerne die Anarchie des Verweigererhumors ab, und vor allem Enkes Rumgeblödel war ein Zeichen der Respektlosigkeit genau wie das regellose Rumhängen im Englischen Garten in München oder an der Gedächtniskirche in Berlin.

Viele wollten vor der Bundeswehr abtauchen

Hauptsächlich waren das übrigens junge Männer, und viele von ihnen wollten vor der Bundeswehr abtauchen - Gammler-Frauen waren meistens eher Groupies, die sich bei den Trappern und Gesetzlosen der modernen Gesellschaft unterhakten. Und die hatten natürlich ihren Stolz!
Interviewer: "Gibt es für euch Unterschiede zwischen Gammlern und Gammlern?"
Gammler: "Ja, sehr große sogar! Zum Beispiel die Stadtgammler, die rechnen wir nicht zu uns, denn die gehen ja abends nach Hause und stecken die Füße untern Tisch und sagen: Mutti, bring das Essen ran, und dann hauen sie sich anschließend ins weiße Bett, ne ..."
Aber natürlich war das Durchsickern des Gammler-Habitus in die Massenkultur nicht aufzuhalten: Und als dann in den späten 60er-Jahren das Hippietum einrieselte - es war ja dem Gammler verwand, und für beide galt: Lange Haare - kurzer Verstand! - und als dann auch noch das linke Gedankengut vom Studentenprotest kam, da wurden wetterfeste Parkas, vergammelte Jeans und blank gescheuerte Wildlederstiefel zur Mode samt Armyschlafsack und gebrauchten Falschschirmspringertaschen für den jungen Pazifisten. Bald gab es in jeder westdeutschen Kleinstadt eine pittoreske Marktplatz-Gegengesellschaft! Und so brachten die späten Freizeitgammler dann zusammen, was zusammen gehörte: das Abschütteln der strengen nationalsozialisierten Ordnung – und Freizeit für alle! Aber schön war's doch! Wirklich!
Passanten: "Bei Adolf hätt's so was nicht gegeben."
"Warum nicht Arbeitslager, Arbeitsdienst oder so was Ähnliches – wäre eine vollkommene Lösung da."
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