Gabriel: Notfalls komplette Trennung von Netz und Stromerzeugung

Im Gespräch mit Matthias Thiel und Ulrich Ziegler · 08.12.2007
Bundesumweltminister Gabriel schließt eine eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Erzeugung nicht aus, um den Wettbewerb auf dem deutschen Energiemarkt zu beleben. Zunächst müsse man die Energiekonzerne dazu zwingen, Netz und Betrieb in unterschiedliche Gesellschaften zu bringen, und eine starke Aufsichtsbehörde schaffen, sagte der SPD-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: Noch eine Woche dauert die Klimakonferenz auf Bali. Mit einem Durchbruch im Kampf gegen die Erderwärmung rechnet niemand so richtig. Die Erwartungen werden ständig nach unten geschraubt. Herr Gabriel, besteht die Gefahr, dass es am Schluss heißt: Außer Spesen nichts gewesen?

Sigmar Gabriel: Es kommt immer darauf an, welche Erwartungshaltung Sie haben. Sie müssen ja sehen, wo standen wir vor einem Jahr. Vor einem Jahr bei der letzten Klimakonferenz auf Nairobi wollte niemand aus den Entwicklungsländern und auch die Vereinigten Staaten und Australien nicht über ein Folgeabkommen für das bislang einzige Klimaschutzabkommen, das Kyoto-Protokoll, überhaupt verhandeln.

Das heißt, die Länder haben gesagt, das brauchen wir nicht. Die Industrienationen müssen alleine ihre CO2-Reduktion machen. Die USA haben gesagt, sie machen da nicht mit, die Australier auch nicht. Das war die Ausgangslage. Bei dieser Klimakonferenz vor einem Jahr wurde Mikado gespielt. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Und jetzt, ein Jahr danach sind wir in einer Situation, dass die Europäische Union erklärt hat, wir durchbrechen dieses Mikadospiel. Wir beginnen mit massiven Senkungen von Treibhausgasen. Die USA haben erklärt, o.k., wir machen mit bei den Verhandlungen, auch wenn sie noch nicht genau gesagt haben, wie denn ihre eigentliche Position ist. Das wird auch sicher erst nach den Präsidentschaftswahlen passieren.

Und wir haben eine Situation, dass sich inzwischen die Staats- und Regierungschefs mit dem Klimawandel befassen. Früher waren das 200 Umweltminister und 5.000 Wissenschaftler, die bekanntermaßen das Problem ohne Wirtschafts-, ohne Finanzminister, ohne Regierungschefs nicht lösen können

Deswegen finde ich, wir sind einen Riesenschritt nach vorne gekommen. Und auf Bali werden wir den Startschuss für zwei Jahre dauernde Verhandlungen über ein Vertragswerk geben, das das Kyoto-Protokoll ersetzen wird.
Deutschlandradio Kultur: Dieses Mandat wird es geben, da sind Sie sicher?

Sigmar Gabriel: Da bin ich sicher. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand nach dem Jahr Debatte, nach der Klarheit der Wissenschaft trauen kann, nach Hause zu fahren und zu sagen, nein, wir haben diese Verhandlungen in Bali blockiert.

Deutschlandradio Kultur: Ist das das Minimalziel oder ist da noch mehr drin?
Sigmar Gabriel: Das ist, wenn Sie so wollen, das Minimalziel. Ich glaube, dass man darüber hinaus sich auch bereits verständigen sollte, welche Ziele man bei den Verhandlungen verfolgt und welche Wege man dafür einschlagen will. Ich habe mal bei einer Außenministertagung hier in Berlin gesagt: Das ist ein bisschen so wie im 5.000-Meter-Lauf in einem Stadion.

Wir müssen sagen, wo ist der Startpunkt. Das ist das Jahr 1990. Wo ist der Zielpunkt? Das ist die Senkung von CO2 unter das Jahr 1990. Und dann müssen wir entscheiden, wer läuft in der Innenbahn, wer läuft in der Mitte, wer außen? Wer hat einen längeren Weg, wer einen kürzeren Weg? Dann müssen wir entscheiden, wer kriegt zwischendurch ein bisschen Wasser, damit er den Stadionlauf auch übersteht. Also, der braucht Unterstützung. Darum geht es eigentlich, das dann festzulegen in den Verhandlungen.

Deutschlandradio Kultur: Wie viel Wasser brauchen die Amerikaner?

Sigmar Gabriel: Ich glaube, die Amerikaner brauchen kein Wasser, aber vielleicht eine andere Wegstrecke als die anderen. Aber wer zum Beispiel, um im Bild zu bleiben, Wasser braucht, sind die Entwicklungsländer. Die brauchen Hilfe bei der Einführung moderner Technologien. Es wird auch Hürden geben. Da müssen wir auf diesem Stadionlauf überlegen, wer darf denn seine Hürde umrennen oder wer muss drüber springen. All das wird dann in den Verhandlungen zu geschehen haben.

Das Entscheidende ist, dass wir Startpunkt, Zielpunkt, die Wege, also die Bahnen, bereits auf Bali beschreiben.

Deutschlandradio Kultur: Macht es den Lauf sehr viel leichter, weil die Australier auch mit bei sind?

Sigmar Gabriel: Es ist jedenfalls ein ziemlich deutliches Signal. Das sind jetzt nur noch die USA, die Kyoto nicht unterschrieben haben. Und die Australier sind natürlich, weil sie selber auch einer der nicht gerade kleinen Emittenten von Treibhausgasen sind, ein gutes Signal an die Entwicklungsländer, dass reiche Länder wie Australien jetzt auch mitmachen. Da ist, glaube ich, schon viel Dynamik.

Deutschlandradio Kultur: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Europäer sagen gerne, wir sind da die Vorreiter. Mag sein. Aber wenn man mal guckt, was konkret an CO2-Emissionsreduktion seit 1990 europaweit stattgefunden hat, so laufen wir eigentlich diesen Zielen hinterher. Spanien hat beispielsweise seine CO2-Emissionen sogar verdoppelt. Also gibt es einen Widerspruch zwischen dem, was gesagt wird, auch auf europäischer Ebene, und dem, was tatsächlich passiert?

Sigmar Gabriel: Ja und nein. Es gibt Mitgliedsstaaten, die schaffen ihre CO2-Ziele nicht. Und es gibt andere Staaten, zu denen zählt Deutschland, die ihre CO2-Ziele einhalten. Deutschland trägt zurzeit 75 Prozent aller Einsparungen von CO2 in Europa. Aber man muss natürlich der Fairness halber auch sagen, dass die eigentliche Kyoto-Phase, also dort, wo gesenkt werden soll, erst am 1. Januar beginnt. Und die läuft bis zum 31.12.2012.

Was wir jetzt vor dem 31.12.2007 oder dem 01.01.2008 erlebten, waren Probephasen. Die Europäische Union hat ja in diesem Jahr massiv eingegriffen. Sie hat ja alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, ihre Treibhausgase deutlich abzusenken. Von daher glaube ich, dass wir das schon schaffen können.

Aber Sie haben recht. Wenn die Europäer glaubwürdig sein wollen, wenn sie sagen wollen, man kann wirtschaftliches Wachstum und Klimaschutz miteinander vereinbaren, dann müssen wir es auch zeigen. Und das zeigen in Europa nicht alle. Deutschland allerdings, das muss man eben auch sagen, zeigt, dass das geht.

Deutschlandradio Kultur: Werden diese ehrgeizigen Ziele in Europa wirklich umgesetzt? Im März gab es einen Gipfel. Da wurde viel beschlossen, aber so richtig angepackt ist doch von diesen Zielen noch nicht so viel.

Sigmar Gabriel: Das stimmt ja nicht. Wenn Sie sich das anschauen, selbst Deutschland ist davon betroffen gewesen. Der Emissionshandel, das muss man vielleicht erst mal erklären, ist sozusagen die Begrenzung der CO2-Emissionen, die man überhaupt in die Luft bringen darf. Und wenn jemand in moderne Technik investiert und weniger in die Atmosphäre bringt als er eigentlich darf, dann darf er den Rest verkaufen - deswegen Emissions-"Handel".

In der ersten Handelsperiode hatte Deutschland nur eine Senkung von zwei Millionen Tonnen zu verkraften. Das war fast nix. Jetzt sind wir bei fast 60 Millionen Tonne pro Jahr ab dem nächsten Jahr. Und so geht es den anderen Staaten auch. Das, was unter der deutschen Präsidentschaft im Frühjahr beschlossen wurde, zum Beispiel 20 Prozent erneuerbare Energien in Europa, dafür wird die Kommission am 23. Januar den Umsetzungsvorschlag machen.

Und sie geht noch weiter. Sie wird sagen, wie gering die Emissionsbudgets ab 2013 sein werden, und sie wird vor allen Dingen dafür sorgen, dass die Berechtigungen für CO2 europaweit einheitlich vergeben werden, nicht mehr wie jetzt, 27 Mitgliedsstaaten entscheiden das jeder für sich. Sondern die Kontrolle wird die EU übernehmen und die Unternehmen werden 100 Prozent der Berechtigungen kaufen müssen, was ja bisher nicht der Fall ist, sondern maximal 10 Prozent. Das wird zu einem echten Marktpreis führen.

Das Ergebnis ist eigentlich, dass wir endlich dem CO2 eine Abfallgebühr verpassen. Denn wir haben ja aus der Atmosphäre eine Deponie gemacht. Und es war kostenlos, die Treibhausgase da oben einzulagern. Kostenlos war es in Wahrheit auch nicht, weil die Schäden, die dadurch entstanden sind, höhere Fluten, Wüsten, die hat die Allgemeinheit bezahlt. Wir haben - wenn Sie so wollen - "Schadenssozialismus" betrieben. Jetzt führen wir eine Abfallgebühr ein, damit sich jeder überlegt, ob es für ihn nicht preiswerter ist, CO2 einzusparen, anstelle hohe Abfallgebühren zu bezahlen. Das ist das System, das wir hier eingerichtet haben.

Deutschlandradio Kultur: Wäre es in dem Zusammenhang nicht auch sinnvoll, auch in Deutschland auf Kohlekraftwerke zu verzichten. Beispielsweise Neuseeland sagt: Wir wollen das in den nächsten zehn Jahren nicht mehr machen, keine Genehmigung mehr für Kohlekraftwerke, die bekanntermaßen immens viel CO2 rausschmeißen?

Sigmar Gabriel: Die Grünen und ein paar Umweltverbände verweisen immer auf Neuseeland, vergessen aber dabei den zweiten Absatz der Rede der dortigen Ministerpräsidentin, die gesagt hat, o.k., auf Kohle wollen wir verzichten, aber die ganzen Emissionen aus der Landwirtschaft, die wir haben, die muss Neuseeland bitte weitermachen dürfen, weil da sind unsere nationalen Interessen berührt. Also, man muss schon genau hingucken.

Was das Kohlethema in Deutschland angeht: Was wir erstens brauchen, ist sicherlich weniger Kohle und sicherlich eine andere Technik, als wir sie heute haben. Wir haben einfach uralte CO2-Schleudern da rumstehen. Aber wer den Leuten weismachen will, wir könnten in Deutschland bis zum Jahre 2020, das ist in zwölf Jahren, sowohl auf die Atomenergie als auch auf die Nutzung der Kohle verzichten, der muss den Menschen sagen, wie der Strom dann aus der Steckdose kommt. Denn bis zu diesem Jahr wollen wir zwar 30 Prozent erneuerbare Energien haben, aber da bleiben ja 70 Prozent am Strommarkt übrig. Dann bleibt nur noch Gas.

Deutschlandradio Kultur: Einsparungen zählen auch.

Sigmar Gabriel: Entschuldigung, das ist natürlich auch eine Milchmädchenrechnung. Entschuldigen Sie, dass ich das offen sage. Aber wir wollen durch die Einsparungen erreichen, dass wirtschaftliches Wachstum nicht mit Energieverbrauch einhergeht. Wir haben ja auch Wachstum in unserem Land.

Wenn wir jedes Jahr 2 - 2,5 Prozent Wachstum haben wollen und jedes Jahr 2,5 - 3 Prozent Energieeffizienzsteigerung haben wollen, dann wird natürlich gerade das, was wir an Effizienz haben, durchs Wachstum wett gemacht. Am Ende bleibt die Frage: Wie kriegen Sie, wenn Sie 30 Prozent erneuerbare Energien haben, die restlichen 70 Prozent dargestellt.

Zurzeit nutzen wir Gas nur zu 10 Prozent zur Stromerzeugung. Das hat auch einen Grund. Gas ist verdammt teuer. Wenn Sie die gesamte Kohle und die Kernenergie durch Gas ersetzen wollen, dann brauchen Sie den Gasanteil ganz Italiens noch mal. Da müssen Sie auch bereit sein, das zu bezahlen.

Die Folge wird sein, dass ein Elektrostahlwerk dann garantiert nicht mehr in Deutschland steht. Deswegen ist es einfach unfair so zu tun, als könnte man zeitgleich aus Kernenergie und Kohle aussteigen. Sondern, was man machen muss, ist: Man muss alte Kohlekraftwerke abschalten und man muss einige wenige, hoch effiziente Kohlekraftwerke, am besten mit Kraftwärmekopplung, bauen, weil man damit bis 2012 zum Beispiel 42 Millionen Tonnen CO2 einsparen kann.

Die Behauptung von Greenpeace unter anderem, wir würden 25 Kohlekraftwerke bauen, ist schlichter Quatsch. Wir bauen bis 2012 ganze neun. Nicht mal die sind sicher. Und darüber hinaus wird nur dann ein neues Kohlekraftwerk entstehen, wenn man überhaupt genug Emissionsberechtigungen im Emissionshandel kriegt - und die Emissionsberechtigungen sinken.

Um es mal ganz zugespitzt zu sagen: Von mir aus kann jeder Energiekonzern in Deutschland entscheiden, dass er nur noch Braunkohlekraftwerke baut. Ich würde ihm das nicht verbieten. Ich würde ihn nur darauf hinweisen, dass er Pleite machen wird, weil er diese Braunkohlekraftwerke nicht anschmeißen darf und weil wir ihm gar keine CO2-Berechtigung dafür geben.

Und ich sage Ihnen eins: Man kann den vier großen Energiekonzernen in Deutschland eine Menge vorwerfen, aber nicht, dass sie nicht rechnen können. Deswegen, sage ich Ihnen, ist es einfach Unsinn zu behaupten, wir würden 25 Kohlekraftwerke kriegen. Es ist übrigens auch Unsinn der Öffentlichkeit weiszumachen, man könnte komplett auf Kohle verzichten.

Deutschlandradio Kultur: Sind denn bei diesen Rechnungen auch die Langfristkosten damit dabei? Wenn ich daran denke, dass Braunkohle relativ leicht in der Lausitz, aber auch zum Beispiel im Rheinland aus dem Boden zu holen ist, sind aber die Nachfolgekosten noch nicht berechnet, wenn ich an den Boden denke, an die Landschaftszerstörung und ähnliches. Ist das nicht doch eine Milchmädchenrechnung, die da aufgemacht wird, wenn ich an die Folgekosten denke?

Sigmar Gabriel: Die Folgekosten, selbst die Renaturierung, sind ja sehr wohl drin. Die machen ja Rückstellungen sogar für die Renaturierung hinterher. Was bis heute nicht drin ist und was zum 01.01.2008 reinkommt, sind die Kosten, die die CO2-Emissionen beim Klimawandel bewirken, also der Schaden, der durch den Klimawandel entsteht.

Das bringen wir jetzt in die Kosten der Nutzung von Braunkohle und Steinkohle und übrigens auch beim Gas hinein. Diese Kosten steigen, und zwar immer dann, wenn wir die Emissionsberechtigungen in Deutschland senken. Denn dann wird sozusagen das Recht, überhaupt CO2 zu emittieren, immer seltener. Und was selten ist, ist teuer. Deswegen steigen die Kosten pro Tonne CO2 in den nächsten Jahren. Das wollen wir ja. Wir wollen ja endlich Marktwirtschaft machen.

Ich sage es mal ein bisschen drastisch: Wenn jemand die Umwelt mit CO2 versaut, dann soll das nicht kostenlos sein, sondern dann soll er dafür so viel bezahlen, dass es für ihn lohnenswerter ist, was anderes zu machen, nämlich in Technologie, in Energietechnik zu investieren, wo er das nicht mehr macht. Wenn er das trotzdem macht, soll es für ihn richtig teuer werden. Das ist der Emissionshandel. Deswegen wird es nicht zu einer unendlichen Anzahl von Kohlekraftwerken kommen, weil das gar nicht zu bezahlen ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber richtig umweltfreundlich wäre doch die Vermeidung. Beispielsweise Altbausanierung: 12 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser könnten saniert werden, sind sanierungsbedürftig, die vor 1984 gebaut wurden. Da gehen Sie aber nicht mit voller Kraft ran.

Sigmar Gabriel: Wie kommen Sie auf die Idee? Wenn Sie so was im Radio behaupten, ist man dankbar für einen Hinweis.

Deutschlandradio Kultur: Weil die Frankfurter Allgemeine beispielsweise schreibt, dass in diesem Bereich nur bei Neubauten diese Sanierungs- und Energieeffizienzsparmaßnahmen gefördert werden, dass Sie aber in diesem Altbaubereich sehr zurückhaltend seien.

Sigmar Gabriel: Ich würde vorschlagen, wir lesen die Zeitung noch mal gemeinsam, weil das natürlich schlicht nicht im Gesetz steht. Sondern wir haben eine Förderung, bei der jeder in Deutschland, egal ob Sie einen Neubau oder einen Altbau machen, vom Staat Geld dafür kriegt, dass er das saniert.

Wir stellen dafür 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich glaube, das ist das Vierfache dessen, was früher zur Verfügung gestellt wurde. Wir satteln noch mal 200 Millionen Euro oben drauf, damit die Kommunen das mit ihren Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern auch machen können, weil das die preiswerteste Form des Klimaschutzes ist, weil Sie nämlich leider in viel zu vielen Häusern, Wohnungen und Gebäuden eher den Garten heizen als das eigene Wohnzimmer.

Sie sparen Geld dabei, weil Sie Ihre Heizkostenrechnungen nicht ständig in die Höhe schießen sehen. Und wir schaffen auch noch Jobs im Handwerk. Deswegen ist es natürlich richtig, dass wir alle Formen der Gebäudesanierung finanzieren.

Was wir in Zukunft nicht mehr machen, ist: Wir geben kein Geld mehr dafür, wenn einer ein neues Haus baut. Wir wollen, dass er in diesem neuen Haus auch einen Teil erneuerbare Wärmenutzung einbaut, also Solarthermie zum Beispiel oder Pellets. Das haben wir früher gefördert.

Da sagen wir, das ist heute Standard. Das muss jeder, der ein neues Haus baut, selber machen. Im Altbau bleibt es dabei, dass wir das fördern wollen. Wir sagen, wenn einer kommt und hat das Interesse seinen Kessel auszutauschen und meinetwegen Holz-Pellets reinzubauen oder Solarthermie, dann gibt es dafür Geld. Früher hatten wir dafür im Bundeshaushalt 130 Millionen Euro. Jetzt werden es 350 Millionen im nächsten Jahr, und ab 2009 500 Millionen Euro sein.

Deutschlandradio Kultur: Entsprechendes haben Sie diese Woche im Kabinett beschlossen. Woher kommt das Geld?

Sigmar Gabriel: Es kommt aus dem Bundeshaushalt. Das heißt, ein Teil der Steuereinnahmen, die wir bekommen, nutzen wir, um das mit zu finanzieren. Wir hätten auch das machen können, was wir beispielsweise beim Strom gemacht haben. Wir hätten es auf den Gaspreis umlegen können. Da hätten wir aber noch mal zur Verteuerung der Energiepreise beigetragen. Es gibt Umweltpolitiker, die finden das richtig.

Ich habe mein Ministerium in Ostberlin sitzen. Ich gucke auf einen Plattenbau. Und ich muss mir immer überlegen, ob das, was ich hier beschließe, von denen, die da wohnen, noch bezahlt werden kann. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, lieber Zuschüsse aus dem Steuerhaushalt.

Was übrigens voraussetzt, dass man einen so guten Finanzminister wie Peer Steinbrück hat, der dafür sorgt, dass da noch was übrig ist, um es zu investieren. Das, Gott sei Dank, können wir. Wir steigern die Ausgaben für Klimaschutz im Bundeshaushalt um 200 Prozent im nächsten Haushalt. Das ist richtig gut, keine ganz einfache Arbeit und ist auch nur mit Hilfe der Finanzpolitik gelungen.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt noch eine schöne Entwicklung. Beispielsweise Städte wie Kassel und Nürnberg haben sich entschieden, dass sie auf Ökostrom für ihre Kommune umstellen. Die sind bereit diese Mehrkosten zu bezahlen.

Wenn man sich vorstellt, dass das Schule macht, und das sind sozialdemokratisch regierte Städte und das passiert bundesweit, stimmt denn eigentlich dann noch der Energiemix, wenn dann keiner mehr die Braunkohle überhaupt noch haben will?

Sigmar Gabriel: Sie werden es nicht schaffen, dass Sie vor 2020 den Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland im Strommarkt haben, den Sie dafür brauchen. Sie tun gerade, wie einige andere auch, in der Frage so, als könnten wir mal durch Schalter umlegen von heute 14 Prozent erneuerbare Energien am Strommarkt im Jahre 2020 auf 100 Prozent kommen.

Deutschlandradio Kultur: Da müssen Sie die stoppen, wenn es zu viele sind, die umstellen wollen.

Sigmar Gabriel: Nein, das werden wir nicht, keine Sorge. Wir werden Hand in Hand mit gehen. Ich habe keine Sorge, dass es zu viele werden. Lassen Sie es am Ende von mir aus auch 30 oder 33 Prozent werden, aber Sie können das ja nicht gegen die Physik machen. Sie müssen zum Beispiel Netze ausbauen. Dafür werden Sie Zeit brauchen. Wir kommen gar nicht rechtzeitig mit den Offshore-Windenergieanlagen hin, um deutlich mehr als 30 Prozent erneuerbare Energien am Strommarkt zu haben.

Ich finde es ja Klasse, wie viel Leute sich jetzt für erneuerbare Energien interessieren. Das war ja in Deutschland nicht immer so. Aber ich finde auch, man muss auch als Umweltminister den Leuten natürlich die Wahrheit sagen und kann ihnen nicht irgendwas sozusagen vor malen. Wir machen ja hier nicht "Wünsch dir was", sondern das alles muss ja auch gebaut werden, muss geplant werden, muss bezahlt werden, muss realisiert werden.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Greenpeace macht "Wünsch dir was"? Die fordern andere Dinge.

Sigmar Gabriel: Nein, nein. Greenpeace fordert ja nicht mehr als 30 Prozent erneuerbare Energien. Greenpeace behauptet, man könnte Kohle durch Gas ersetzen.

Deutschlandradio Kultur: Zum Teil, auch über Energieeinsparung und über virtuelle Kraftwerke und nicht über diese große Grundlast.

Sigmar Gabriel: Die Grundlast wird ja gerade in Deutschland durch die erneuerbaren Energien, was die fossile Grundlast angeht, Gott sei Dank gesenkt. Das ist ja vernünftig. Aber ich kann nur einfach sagen: Das Experiment, das Greenpeace oder Sie in Ihrer Frage vorschlagen, dass ich mal hingehe und sage, es ist mir völlig egal, wie hoch der Strompreis im Stahlwerk ist, in der Chemie ist, in der Automobilindustrie, in der Keramik, in der Zementindustrie.

Das ist mir völlig egal, was die Menschen in Deutschland für den Strom zu bezahlen haben. Ich mache jetzt mal das Experiment, ob ich auf dem internationalen Strommarkt die Russen davon überzeugen kann, dass sie mir fünfmal so viel Gas liefern wie heute und bin bereit das zu bezahlen.

Dieses Experiment kann man machen, solange man dafür nicht verantwortlich gemacht wird. Wenn Sie dafür verantwortlich gemacht werden und sich überlegen, was das für ökonomische, soziale Folgen hat, dann dürfen Sie das, ehrlich gesagt, nicht treiben.

Sondern wir finden, wir können mit dem Schließen alter Kohlekraftwerke, dem Bau neuer Kohlekraftwerke in einer begrenzten Zahl und dem Setzen auf Kraft-Wärme-Kopplung eine Kombination hinbekommen, wo wir alle Klimaschutzziele erreichen - schon dadurch, dass wir ja gar nicht mehr emittieren dürfen, mehr erlaubt uns die Europäische Union ja gar nicht - und den Ausbau der Erneuerbaren so schnell vorantreiben, wie das kein anderes Land in Europa tut.

Deutschlandradio Kultur: Herr Gabriel, ein anderes Thema sind die Biokraftstoffe. Die Bundesregierung will nun den Anteil am Kraftstoffverbrauch bei Biokraftstoffen auf 20 Prozent steigern. Da gibt es den negativen Effekt, dass die Wälder abgeholzt werden. Ist das der richtige Weg?

Sigmar Gabriel: Die Frage ist, welche Form von Forstwirtschaft nutzen Sie. Wir werden zum Beispiel keine Biomasse zulassen, die nicht aus nachweislich nachhaltigem Anbau kommt. Wir wollen nicht, dass der Regenwald abgeholzt wird, damit man hier Biokraftstoffe daraus macht. Deswegen werden wir die Zulieferung von nachwachsenden Rohstoffen aus Ländern nicht zulassen, die nicht nachweisen können, dass sie aus nachhaltigem Anbau kommen. Übrigens, Brasilien ist bereit einen solchen Vertrag zu schließen. Indonesien ist dazu auch bereit.

Das Zweite ist: Eigentlich wollen wir ja synthetische Kraftstoffe haben. Ich möchte ja nicht in Zukunft ausschließlich aus Getreide oder aus Raps oder aus Palmöl Kraftstoffe machen, sondern ich möchte gerne, dass wir dazu kommen, aus Klärschlamm Diesel und aus Stroh Benzin zu machen. Das allerdings ist Hightech. Dafür brauchen Sie eine Raffinerie, Facharbeiter, Ingenieure. Das ist die Antwort, die ein Hochtechnologieland wie Deutschland oder wie Europa geben kann.

Und dann kommen Sie nicht in Nahrungsmittelkonkurrenzen. Sie kommen nicht in Nachhaltigkeitsprobleme. Wir glauben, dass die erste großtechnische Anlage 2011 dafür in Deutschland in Betrieb gehen kann. Vor allen Dingen haben Sie eine Antwort auf die Frage, wie wir eigentlich ein Land wie China mit Kraftstoffen versorgen wollen. Dafür wird das Öl wohl kaum noch reichen.

Deutschlandradio Kultur: Was die Verbraucher richtig ärgert, sind die steigenden Strompreise. Viele werden es zum 1. Januar wieder erleben. Es geht wieder nach oben. Jetzt fordert Bayerns Ministerpräsident, dass man möglicherweise die Atomkraftwerke länger laufen lassen soll. Das wollen Sie auf keinen Fall.

Sigmar Gabriel: Vor allen Dingen müsste mir Herr Beckstein erklären, wieso dann die Preise sinken.

Deutschlandradio Kultur: Ja, suchen wir nach anderen Möglichkeiten. Sie haben mal über die Zerschlagung der Stromriesen laut nachgedacht. Was stellen Sie sich eigentlich da vor?

Sigmar Gabriel: Ich würde schon gern noch ein Argument sagen. Dass nun ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Atomkraftwerke laufen, ein CDU-CSU-Politiker sagt, wenn wir die Atomkraft länger laufen lassen...

Deutschlandradio Kultur: Na die sind abgeschrieben und möglicherweise verkaufen sie den Strom dann billiger.

Sigmar Gabriel: Ja das machen sie ja nicht. Die sind ja abgeschrieben. Die verdienen an abgeschriebenen Kraftwerken pro Tag eine Million Euro. Trotzdem steigen die Strompreise. Das ist ja gerade der Irrsinn, dass es keinen Grund dafür gibt. Und die Strompreise steigen ja nicht, weil die Kosten steigen, sondern Strompreise entstehen an der Börse. Da gibt es natürlich eine Reihe von Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass man hinreichend Grund hat, Preise an die Verbraucher weiterzugeben.

Was kann man dagegen tun? Erstens, es können Verbraucherinnen und Verbraucher eine Menge tun, zum Beispiel indem sie den Anbieter wechseln. Ich habe es auch gemacht. Es geht, es ist ganz einfach.

Deutschlandradio Kultur: Die Margen sind relativ klein.

Sigmar Gabriel: Wenn Sie sehen, welche Erhöhungen jetzt kommen, dann werden Sie schon feststellen, dass die sich lohnen können. Zweitens kann man selber darauf achten, dass man weniger Energie verbraucht. Wenn man nix gegen steigende Preise machen kann, kann man manchmal was gegen steigende Kosten machen.

Und das Dritte ist natürlich, wir brauchen mehr Wettbewerb am Strommarkt. Ich glaube, dass am Ende natürlich das Problem ist, dass wir in Deutschland ein ziemlich offensichtliches Oligopol - manche sagen Monopol - haben, bei dem sich die Verbraucher oft nicht wehren können. Jedes neue Kraftwärmekopplungskraftwerk, jedes neue Windrad, jede neue Photovoltaikanlage bringt neue Anbieter in den Markt.

Das ist ja der Grund, warum die vier Konzerne jahrelang die Erneuerbaren bis aufs Messer bekämpft haben. Die investieren ja in Erneuerbare, bloß nicht in Deutschland, weil sie sich hier keine Konkurrenz an den Leib holen wollten. Deswegen ist mehr Wettbewerb, Verschärfung der Aufsicht, Marktkontrolle und Verschärfung der Trennung von Netz und Erzeugung eine Möglichkeit dafür was zu tun.

Es gibt einen Streit darum, ob man richtig eine eigentumsrechtliche Trennung zwischen Erzeugung und Netz machen muss, weil der Verdacht nicht völlig falsch ist, zu sagen: Na ja, wenn die gleichzeitig Eigentümer des Netzes sind, dann werden die schon dafür sorgen ...

Deutschlandradio Kultur: Sie wollen Sie nur organisatorisch auseinander nehmen. Wie soll das funktionieren?

Sigmar Gabriel: Indem Sie zwei Sachen machen, indem Sie die dazu zwingen, Sie in andere Gesellschaften zu bringen und eine starke Aufsichtsbehörde drüber setzen. Das ist, wenn Sie so wollen, die Kompromissvariante. Ich glaube, dass man das gerne mal ausprobieren kann. Wenn das nicht funktioniert und wenn sich auch so kluge Leute wie Jürgen Großmann, der neue Chef von RWE, nicht durchsetzen, der ja dafür plädiert, zum Beispiel mal Strompreismoratorien zu machen, dann wird am Ende nichts anderes übrig bleiben, auch die eigentumsrechtliche Trennung durchzuführen.

Wobei es eine Gefahr gibt, die man der Fairness halber auch sagen muss. In Leipzig ist gerade ein Stadtwerk in öffentlicher Hand verkauft und privatisiert worden. Gekauft hat es ein französischer Staatskonzern. Also, wenn jetzt das Ergebnis der Trennung von Netz und Betrieb ist, dass die Netze im Gasbereich an Gazprom verkauft werden und im Strombereich an EDF, den französischen Staatskonzern, ja dann haben wir nix gewonnen. Dann haben wir vier Monopolisten durch zwei ersetzt.

Deutschlandradio Kultur: Was kann der Gesetzgeber tun, um endlich dort mehr Markt reinzubringen, um Transparenz zu schaffen, damit die Kunden tatsächlich auch richtig auswählen können, von wem sie den Strom beziehen, und damit Konkurrenz auch tatsächlich stattfindet?

Sigmar Gabriel: Mehr Erzeuger reinbringen. Das tun wir im Erneuerbare-Energien-Gesetz und jetzt mit der Novelle des Kraftwärmekopplungsgesetzes. Das sind Stadtwerke, die das bauen, nicht die vier Großen. Zweitens das Gesetz zur Wettbewerbskontrolle verschärfen. Das tut die Bundesregierung jetzt auch.

Und drittens die Regulierungsbehörde so zu stärken, dass sie wirklich kontrollieren kann, dass die Netze nicht missbraucht werden, um sich Wettbewerber vom Leib zu halten. Und viertens, die europäischen Stromnetze aufzumachen, damit wir auch innerhalb Europas mehr Wettbewerb bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Ihr hessischer Kollege Riehl will da gleich mit Zwangsmaßnahmen kommen und den Verkauf von Kraftwerken anordnen. Ist das ein gangbarer Weg?

Sigmar Gabriel: Das ist, wenn man sich die Marktsituation anschaut, durchaus ein gangbarer Weg zu überlegen, ob man beim Neubau eines Kraftwerks die nicht dazu verpflichtet, bestimmte Kraftwerksanteile an andere zu verkaufen. Das ist schon eine Möglichkeit, für mehr Wettbewerb zu sorgen.

Deutschlandradio Kultur: Sigmund Gabriel, zum Schluss reden wir mal über das Unwort des Jahres 2007: "Herdprämie" liegt ganz gut im Rennen, auch der "Bundestrojaner". Gibt es vielleicht auch einen Begriff aus Ihrem Bereich? Ich denke an "klimaneutrale Flüge" oder "Treibhausgasverminderungspotential" Hätten Sie da vielleicht einen Favoriten aus Ihrem Bereich?

Sigmar Gabriel: Das letzte wäre ein Wortungetüm. Ich hoffe nicht, dass das aus unserem Haus kommt. Wenn doch, muss ich es sofort streichen.

Ja, weiß ich nicht, vielleicht ist "Restlaufzeit" eines der Wörter. Oder im Umgang mit den Problemen im Sommer mit den Kernkraftwerke ist ja immer gesagt worden: Das sind alles nur "Kommunikationsprobleme". Vielleicht wäre das auch ein Vorschlag.

Sigmar Gabriel: Herr Gabriel, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.