Gabriel García Márquez

"Einfach ein Genie der Worte"

Gabriel García Márquez
Gabriel García Márquez im Jahr 1994 © dpa / picture alliance / Eduardo Abad
Héctor Abad im Gespräch mit Elena Gorgis · 18.04.2014
"Es ist, als wäre er unser Homer", sagt der Autor Héctor Abad Faciolince über seinen Landsmann, den kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez. Lateinamerika verliere einen wunderbaren Denker.
Elena Gorgis: Gabo, so nannten seine Landsleute liebevoll Gabriel García Márquez, wie kaum ein Zweiter prägte der Literatur-Nobelpreisträger das Bild Lateinamerikas rund um den Globus und wohl kaum einer hat die lateinamerikanische Literatur so beeinflusst wie er. Auch in seiner Wahlheimat Mexiko wurde García Márquez geliebt und verehrt, dort wird es am Montag eine nationale Trauerfeier für ihn geben.
Geboren wurde García Márquez 1927 in der Kleinstadt Aracatacá an der Karibikküste Kolumbiens. Sie war wohl das Vorbild für den fiktiven Ort Macondo in seinem epochalen Roman "Hundert Jahre Einsamkeit" aus dem Jahr 1967, der ihn schlagartig berühmt machte.
Was für ihn das Herausragende am literarischen Werk von Gabriel García Márquez ist, das wollen wir jetzt von dem kolumbianischen Schriftsteller Héctor Abad Faciolince erfahren. Er stammt aus Medellín, lehrt zur Zeit als Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität Berlin, ist Autor von Erzählungen und Gedichten sowie Kolumnist. Héctor Abad kennt seinen Landsmann García Márquez unter anderem aus der gemeinsamen Arbeit für die Zeitschrift "Cambio", deren Miteigentümer García Márquez lange war. Guten Abend, Héctor Abad!
Héctor Abad: Guten Abend und danke.
Gorgis: Was genau macht für Sie die Bedeutung von Gabriel García Márquez aus? Was machte seine Literatur so einzigartig?
Abad: Von ihm ging etwas seltsam Magisches aus. Seine Prosa fließt geradezu wie Öl. In "Hundert Jahre Einsamkeit" bringt er zum Beispiel gegensätzliche Elemente wie den Aberglauben und die Rationalität, die Gewalt und den Sex zusammen. Und zwar mit einer hypnotischen Leichtigkeit. Man liest seine Prosa und kann nicht mehr aufhören. So fasziniert ist man von dem Witz, von der Fantasie, von dem menschlichen Mitgefühl. Das ist gleichzeitig humorvoll und tiefsinnig und wird genauso von hochgebildeten wie einfachen Menschen gelesen. Für uns Kolumbianer und Lateinamerikaner ist er ein Klassiker. Das mag jetzt vielleicht übertrieben klingen, aber García Márquez liebte die Übertreibung, und jetzt mache ich es ihm nach, wenn ich sage: Es ist, als wäre er unser Homer.
Gorgis: Man spricht ja bei García Márquez immer vom "Magischen Realismus", er ist einer der wichtigsten Vertreter dieser Gattung – was ist das Magische und was ist das Reale an den Texten von García Márquez?
Abad: Meiner Meinung nach ist der "Magische Realismus" eine Erfindung der Schriftsteller, die ihn nachgeahmt haben. Er ist zu einer Karikatur verkommen. Denn das Magische bei García Márquez ist immer sehr maßvoll gewesen. Man nimmt ihm das auch alles ab, weil er sehr ernst und elegant schreibt. In seinem Spätwerk hat García Márquez den Magischen Realismus auch fast vollständig aufgegeben. Seine Nachahmer aber haben daraus eine Kuh gemacht, die keine Milch mehr gibt. Ich glaube, Lichtenberg hat einmal gesagt: Das einzig Schlechte an guten Büchern ist, dass sie so viele schlechte Bücher nach sich ziehen.
Héctor Abad Faciolince
Héctor Abad Faciolince© dpa / picture alliance / Alfredo Aldai
Gorgis: Sie haben ihn einen Homer für Kolumbien genannt; welche Rolle spielt sein Werk für die Literatur Lateinamerikas? Sowohl innerhalb des Kontinents, aber auch außerhalb, in der ganzen Welt?
Abad: Das einzige Genie der lateinamerikanischen Literatur, das ihm ebenbürtig ist, ist Jorge Luis Borges. Beide sind Klassiker. Die Welt wird auch in Zukunft "Hundert Jahre Einsamkeit" lesen, genauso wie die Erzählungen und die Gedichte von Borges. Die Leistung von García Márquez bestand darin, dass er uns Kolumbianern und den Lateinamerikanern das Gefühl gegeben hat, dass nicht nur die Europäer und Nordamerikaner schreiben können, sondern dass es auch bei uns in den Tropen, wo es von Insekten nur so wimmelt, in armen Dörfern wie dem, in dem García Márquez aufgewachsen ist, große Literatur geben kann.
Gorgis: "Gabo" stand ja nicht nur für eine außergewöhnlich kraftvolle Literatur, die Sie ja eben schon auch sehr schön beschrieben haben, er war auch bekannt als Journalist und bekannt für sein gesellschaftliches Engagement. Die Zeitschrift "Cambio" − das bedeutet Wandel, Wechsel − war ein Heft für politische und soziale Themen. Sie haben auch für diese Zeitschrift gearbeitet, wie flossen Literatur und politisches Engagement bei ihm zusammen?
Abad: Er war Journalist, Romanautor und auch jemand, der sich gern mit einflussreichen Leuten umgab. Als er seine Arbeit als Journalist begann, hatte er kaum etwas zu essen. Aber zum Schluss besaß er soviel Geld, dass er sich die Zeitschrift "Cambio" kaufen konnte.
Er hatte nur einen Fehler, nämlich diese Faszination für mächtige Männer, mit denen er befreundet war: Bill Clinton, zahlreiche kolumbianische Präsidenten und Fidel Castro. Aber das sollten wir ihm nachsehen. Schließlich hat es ihm die Nähe zur Politik ermöglicht, den großartigen Roman "Der Herbst des Patriarchen" über einen Diktator zu schreiben. Ein Genie muss kein Heiliger sein.
Vargas Llosa schlug Márquez ein blaues Auge
Gorgis: Über diese politische Fragen haben sich García Márquez und der andere große Chronist Lateinamerikas, der peruanische Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, entzweit. Repräsentieren die beiden vielleicht auch so ein bisschen die entgegengesetzten Sichtweisen auf den Kontinent?
Abad: Die beiden waren am Anfang ja dicke Freunde. Vargas Llosa hat sogar seine Doktorarbeit über García Márquez geschrieben. Schließlich haben sich die beiden aber aus persönlichen Gründen überworfen. Das ging sogar so weit, dass Vargas Llosa García Márquez ein blaues Auge geschlagen hat. Einmal habe ich selbst versucht, die beiden in einem Restaurant miteinander zu versöhnen, aber vergeblich. Ihre Positionen waren dabei gar nicht so gegensätzlich. Nur hat sich Vargas Llosa sehr politisch und ideologisch geäußert. Dagegen war García Márquez eigentlich nie ein Ideologe. Das sieht man, wenn man seine journalistischen Kommentare liest. Seine Reportage über Hugo Chávez etwa ist keineswegs ein reiner Lobgesang. Er hat die beiden Gesichter von Chávez aufgezeigt. Deshalb hat er wahrscheinlich auch nie über Fidel Castro schreiben wollen, weil er wusste, dass Castro ihm seine Ehrlichkeit nie verziehen hätte.
Gorgis: Was verliert Lateinamerika – die Kultur, aber auch die Gesellschaft – mit dem Tod von Gabriel García Márquez?
Abad: Lateinamerika verliert einen wunderbaren Denker. Er war eine Ausnahmeerscheinung. Einfach ein Genie der Worte. Aber er hat sich schon vor sechs, sieben Jahren vom Leben verabschiedet, als ihn sein Gedächtnis nach und nach verließ. Ganz so wie manche der Figuren in seinen Texten, die über Jahre in Stillschweigen verharren, ohne sich an irgendetwas zu erinnern.
In der vergangenen Nacht habe ich noch einmal in zwei seiner Bücher hineingelesen. Eines davon hatte ich gerade vor ein paar Tagen meinen Studenten hier an der Freien Universität vorgestellt. Wenn ich diese Texte lese, empfinde ich eine ungeheure Zärtlichkeit und Dankbarkeit, ein ganz großes Gefühl.
Er ist unter wenig traurigen Umständen gestorben, in hohem Alter und umgeben von seiner Frau und seinen Kindern. So sollte jeder gute Mensch sterben.
Gorgis: "Der Homer Kolumbiens", der Literatur-Nobelpreisträger Gabriel García Márquez ist gestern im Alter von 87 Jahren in Mexiko-Stadt gestorben. Sein Landsmann und Weggefährte, der kolumbianische Schriftsteller Héctor Abad Faciolince hat seine Erinnerungen an ihn mit uns geteilt. Ganz herzlichen Dank dafür!
Abad: Danke schön!
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